Auf die Strasse statt in die Halle

Die Orbit/Comdex leidet unter Ausstellerschwund – viele Unternehmen setzen in diesem Jahr auf eigene Alternativprogramme wie Roadshows.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/15

     

Immer mehr Unternehmen verzichten auf einen Messeauftritt an der Orbit/Comdex. Die prunkvollen Stände von Firmen wie HP, SAP oder Sony sucht man vergebens an der diesjährigen Ausgabe der einst grössten Schweizer IT-Messe. Die Gründe sind vielfältig.



Sun erklärt ihre Abwesenheit beispielsweise damit, dass in der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Lage die Teilnahme an einer zweiten IT-Messe (neben der iEX) im gleichen Jahr nicht tragbar sei.




Budget-Einsparungen sind auch für Sage Sesam der Hauptgrund für den Messeverzicht. Zudem habe die letztjährige Orbit/Comdex nicht den Vorstellungen des Unternehmens entsprochen. Wie auch andere Abwesende, lässt sich Sage durch Partner auf der Messe vertreten.


Neuausrichtung zwingt zum Umdenken

Für viele Abwesende ist aber auch die neue Strategie der Messe Schweiz der Grund, auf einen Auftritt zu verzichten. SAP zum Beispiel begrüsst zwar grundsätzlich die Anstrengungen der Veranstalter nach einer Neuausrichtung, hat aber bereits im März ihre Absage bekanntgegeben. Die Konvergenz von Privat- und Businessanwendern, die von der Messeleitung noch zu Jahresbeginn in den Mittelpunkt gerückt wurde, deckte sich nicht mit den Bedürfnissen und Zielvorstellungen des grössten europäischen Softwarehauses.
Dass sich die Orbit/Comdex immer mehr zu einer Plattform für Schweizer KMU entwickelt, ist zwar aus Schweizer Sicht äusserst erfreulich. Es veranlasst aber gleichzeitig zahlungskräftige, internationale Unternehmen, sich nach Alternativen umzusehen. Denn gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssen die Investitionen einer Firma kontrollierbar sein.



Dies gilt auch für die Werbung. Wer auf Messen ausstellt, kann nur vage abschätzen, wie gross der Return on Investment (ROI) ist. Ganz auf Werbung verzichten kann hingegen niemand. Deshalb setzen Unternehmen vermehrt auf Aktionen, die sich direkt messen lassen. In Mode gekommen sind Alternativveranstaltungen wie die sogenannten Roadshows.




Sage Sesam ist davon überzeugt, dass Alternativprogramme einerseits durch die Einsparung von Stand- und Personalkosten billiger kommen und andererseits das Zielpublikum gezielter angesprochen werden kann.



Mit dieser Meinung steht die Firma nicht alleine da. Auch Orange entschied sich für eine Business-Roadshow. Das Unternehmen will damit die Kundensegmente gruppenspezifischer und auch nach unterschiedlichen Regionen differenziert ansprechen.




Aufwand und Ertrag

"Für viele Kunden ist eine Messe ein Get-together und nicht mehr eine Beschaffungsquelle für Informationen", urteilt Roger Semprini, Geschäftsführer von Fujitsu Siemens Schweiz. Semprini ist der Meinung, dass ein Marketingbudget auf Kunden-Events gezielter eingesetzt werden kann. Fujitsu Siemens nennt diese Strategie "hin zum Kunden". "Anders als an einer grossen Messe, kann man so Kunden und Partnern in kürzester Zeit und mit grösstmöglicher Kompetenz alles zeigen. Da auch unsere wichtigsten Partner bei diesen Events immer dabei sind, hat der Kunde das ganze nötige Know-how aus einer Hand. Das ist an einer normalen Messe leider nicht immer möglich", kommentiert Roger Semprini.



Bereits seit 1998 stellt Dell nicht mehr an der Orbit/Comdex aus. Die Gründe für diesen Entscheid beruhen auf den zu hohen Kosten einer Messe, die sich verglichen mit den Resultaten nicht rechtfertigen liessen. Gerade in der heutigen Zeit werde eine individuelle Veranstaltung, an der sich Kunden schnell und umfassend informieren können, sehr geschätzt. Dies belegen, gemäss Dell, auch die ständig steigenden Besucherzahlen an den Dell-Foren. Letztlich gehe es darum, dass Aufwand und Ertrag stimmen und die Ziele erreicht werden.





Weniger Streuverluste

Auch für Hewlett-Packard sind Messen aufgrund des grossen Streuverlusts ein relativ teures Medium. Eine breit angelegte Messe sei nicht die optimale Plattform, um anspruchsvolle Themen einem ausgesuchten Kundenkreis vertieft zu vermitteln. HP sieht in Alternativprogrammen vor allem den Vorteil der klaren Fokussierung auf aktuelle Themen sowie die gezielte Adressierung von Kunden und Interessenten. Ausserdem seien Alternativprogramme billiger. Zum einen gebe es aufgrund der thematischen und zielgruppenorientierten Fokussierung keine Streuverluste. Zum anderen sei der finanzielle Aufwand für Personal sowie Standmiete und Standbau deutlich geringer als bei Grossveranstaltungen.



Apple (das Unternehmen stellt schon seit vier Jahren nicht mehr an nationalen Messen aus) sieht die Vorteile von Alternativprogrammen vor allem darin, dass auch Partner dabei sein können. Die Kosten seien dabei vertretbar. Für Apple kommt es für eine Kostengegenüberstellung auf die Zielgruppe an. Kunden in professionellen Anwendungsbereichen können für eine Roadshow mit vertretbarem Aufwand per Direct Mailing oder mit gezielten Hinweisen in Newsletters und über die Website angesprochen werden. Im Consumer-Bereich liege der Kommunikationsaufwand schon beträchtlich höher. Es sei deshalb schwer zu sagen, was letztlich billiger sei, so Apple.




Auf jeden Fall spielt der personelle Aufwand eine grosse Rolle. Dieser sei bei Roadshows in der Regel erheblich geringer als auf einem grossen Messestand. Hier gilt natürlich die Sicht eines Keyplayers, der also auch mit einem vergleichsweise grossen Messestand und entsprechendem Personal an einer Messe vertreten sein muss. Für einen kleinen Stand mit nur wenigen, spezifischen Lösungen sieht die Rechnung wieder ganz anders aus.




Prominenz als Lockvogel

Ein weiterer wichtiger Abwesender ist Sony. Das Unternehmen setzt auf verschiedene Aktivitäten. InfoWeek hatte Gelegenheit, eine typische Roadshow zu besuchen, die vor zwei Wochen in der Maag-Musical-Hall in Zürich unter dem Titel "Sony News Show" stattfand. Der Partner- und Kunden-Event, an dem eine ganze Reihe neuer Produkte gezeigt wurden, hat durchaus Anklang gefunden. Das demonstrierte auch das, trotz strahlendem Wetter, sehr zahlreich erschienene Publikum. Natürlich dürfen an solchen Anlässen gewisse Lockvögel nicht fehlen - ganz im amerikanischen Stil: Als Moderator fand man in Hannes Hug (SF DRS) die nötige Prominenz und als Zückerchen lud man die Gäste anschliessend zu einem Spielabend ins improvisierte Spielcasino.



Ob der Roadshow-Trend bei den Anwendern aber generell Anklang findet, ist fraglich. Dies zeigt zumindest die InfoWeek-Online-Umfrage. Nur gerade 9 Prozent der Umfrageteilnehmer ziehen eine Roadshow der Messe vor. Die detaillierten Umfrage-Ergebnisse finden Sie unter www.infoweek.ch/quickpoll.





Die Abwesenden und ihre Alternativprogramme

Apple: Das Unternehmen aus Cupertino setzt schon seit längerem auf die Apple Expo, die vom 16. bis 20. September 2003 in Paris über die Bühne geht. Ausserdem finden regelmässig Roadshows statt, die nächste Mitte November in Zürich zum Thema "Lösungen für den Architekturmarkt" (Orte und Daten sind noch nicht bekannt).



Cisco Systems: Der Netzwerkspezialist plant die Cisco Connection 2004, die am 19. und 20. Januar 2004 im Kursaal/Casino in Interlaken stattfindet. Das Motto der Veranstaltung lautet: "The First Networking Community Event". Effizient, und Produktivitätssteigerung durch den Einsatz von IP-basierten Lösungen wird der Fokus dieses Events sein.




Dell: Das Dell-Interactive-Forum findet zweimal im Jahr in Zürich (21.10.03, World Trade Center) und Lausanne (23.10.03, Palais de Beaulieu) statt. Ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist die Einbindung der Partner aus dem Service-, Software- und Hardwarebereich. Das Forum gliedert sich jeweils in einen Präsentations- und einen Ausstellungsteil.



Fujitsu Siemens: Fujitsu Siemens veranstaltet neben seiner Hausmesse diverse nationale und internationale Anlässe. Schweizer Events: 5.9.03 Fujitsu Siemens Golf-Trophy, Küssnacht (mit Channel-Partnern und deren Kunden); 9.9.03 CentricStor in Genf mit Partner Avitis; 18.9.03 Consolidation Day, Zürich (mit Partnern Siemens SBS, Citrix und Visionapp); 21.10.03 Dr. Reger, CTO Fujitsu Siemens Computers, Glattbrugg - Visions für VIPs; 30.10.03 Out of the Box, Zürich (mit Partner EMC). Internationale Events: 17. bis 19.9.03 9th Siemens International User Conference - Information and Communication, in der Hofburg in Wien; 23.9.03 CRM-Kompetenztag "test the best way", Paderborn; 23.9.03 Citrix Kundenveranstaltung iForum, Neuss; 23./24.9.03 Consolidation Days III - Fokusthema Storage, Düsseldorf und Berlin; 7./8.10. Consolidation Days III - Fokusthema Storage, München und Frankfurt; 28. bis 30.10.03 Mobile Computing Conference 2003, Spitzingsee; 29./30.10.03 OctoberFestival 2003, Augsburg.



Hewlett-Packard: HP veranstaltet jeweils im Frühjahr das SwissInnovate Forum sowie weitere zielgruppenspezifische Veranstaltungen. Im Oktober und November stehen die Themen "Storage & Data Management" (13.11.03) und "Workplace Migration" (22.10.03) im Vordergrund. Der Ort der Veranstaltungen ist noch nicht festgelegt, wird aber im Grossraum Zürich sein.



Oracle: Oracle-Kunden haben die Möglichkeit, an der Oracle World das Neueste aus dem Technologie-Bereich zu erfahren und Erfahrungen auszutauschen. Die nächste Oracle World, an der das Unternehmen die Version 10g seiner Datenbank vorstellen wird, beginnt am 8. September in San Francisco. Die Oracle World in Paris geht vom 20. bis 23. Oktober über die Bühne. Ausserdem organisiert Oracle am 23. September einen Event in Zürich, der den Launch von 10g begleitet.



Orange: Orange wird eine Business-Roadshow durchführen, die im November beginnt. Es werden jeweils spezifische Lösungen für die jeweiligen Kundensegmente vorgestellt wie beispielsweise mobile Kommunikationslösungen für die Bauwirtschaft. Die Roadshow wird verschiedene Regionen der Schweiz abklappern. Detaillierte Angaben zu Orten und Daten der Roadshow wird Orange zu gegebener Zeit veröffentlichen.



Sage Sesam: Sage wird an der Retail Swiss ausstellen,
die vom 14. bis 16. September 2003 in Luzern stattfindet. Themen: Sage Office Line, Edifact und EAN 128. Ausser-dem sind diverse Veranstaltungen und Roadshows in
Vorbereitung.



SAP: Das grösste deutsche Softwarehaus organisiert kein eigentliches Alternativprogramm zur Orbit/Comdex. Es ist allerdings in der glücklichen Lage, dass der europäische SAP NetWeaver Kongress sowie die SAP TechEd vom
30. September bis 2. Oktober 2003 in Basel stattfinden. Davon kann der Schweizer Ableger profitieren.



Sony: Sony ist auf internationalem Niveau an der IFA Berlin vertreten und veranstaltet am 6. und 7.9.03 die Sony Dream World in Paris. Vom 7. bis 11. September nimmt Sony an der Expo Morschach im Swiss Holiday Park teil. Im nächsten Frühling findet die alljährliche Sony Ville im Sony-Hauptsitz in Schlieren statt. Ausserdem sind bis Ende Jahr weitere Aktivitäten in der ganzen Schweiz geplant.



Sun: Als einziges der von uns befragten Unternehmen bietet Sun kein Alternativprogramm für seine Orbit-Abstinenz.



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