Messen in der Krise: Alain Pittet vs. Giancarlo Palmisani


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/15

     

IT- und Computermessen erleiden weltweit einen dramatischen Bedeutungsverlust. Viele haben ihre Pforten für immer geschlossen. Andere kämpfen ums Überleben. So auch die beiden grössten Schweizer IT-Messeveranstaltungen Orbit und Internet Expo. Wie begegnen die Veranstalter der Krise? Mit welchen neuen Konzepten warten sie auf? InfoWeek hat dem Messeverantwortlichen der Orbit, Alain Pittet und iEX-Messeleiter Giancarlo Palmisani auf den Zahn gefühlt.


Braucht es überhaupt noch zwei IT-Messen in der Schweiz?


Orbit: Ich kann sehr gut verstehen, dass Aussteller die Forderung nach einer vereinten allumfassenden Messe stellen. Doch es sind darunter auch Aussteller, die an jeder Publikumsmesse präsent sind und sogar eine Gewerbeausstellung nicht auslassen. Bei diesen Ausstellern erstaunt es schon, wenn sie ein Problem mit zwei Fachmessen im Jahr haben.



iEX: Ich möchte hier eine Prophezeiung wagen: In dem Moment, in dem sich die Internet Expo und die Orbit zusammenschliessen, geht ein Zeitfenster auf und eine neue IT-Messe würde entstehen. Ich glaube fest daran, dass es zwei Messen im Jahr braucht. Eine im Frühjahr und eine im Herbst.


Trotzdem kommt es zu einer Annäherung zwischen Orbit und IEX.


Orbit: Es ist klar, dass sich die beiden Messen in einzelnen Bereichen überlappen. Das ist aber nichts Aussergewöhnliches und bei vielen anderen Messen auch der Fall.



iEX: Ich wünschte mir natürlich, dass sich die Orbit wieder dorthin bewegt, wo sie einmal war. Das heisst: Die Hardware müsste wieder ein wichtiger Teil sein. Ich wünschte mir auch, dass die Orbit in Zukunft wieder das ganze Messegelände in Basel füllt - mit allen grossen Anbietern, die das gesamte Portfolio zeigen würden. Damit wäre die Positionierung der iEX als Web-Business-Plattform auch klar abgegrenzt.




Orbit: Ich wäre selbstverständlich froh, wenn wir dies erreichten. Aber man muss realistisch bleiben: Die Bedürfnisse der Aussteller haben sich radikal gewandelt. Die Zeit der IT-Messe als eierlegende Wollmilchsau, wo eine allumfassende Industrieleistungsschau der Sinn war, ist definitiv vorbei.


Warum zeigt die Orbit denn keine Hardware mehr?


Orbit: Die Frage, die sich stellt, ist, inwiefern beeinflusst die schöne oder weniger schöne Hülle von Produkten die Kaufentscheidung? Früher gab es Messen, die Hunderte von verschiedenen Bildschirmen zeigten. Das interessiert heute nur noch themenbezogen - die Messen sind heute vermehrt lösungsorientiert. In diesem Sinne zeigt auch die Orbit 2003 Hardware und zwar im Rahmen von Themenparks. Man wird also WLAN-Hardware oder Storage-Geräte sehen, aber immer im Zusammenhang mit einer Lösung. Die Produkteschau der Drucker oder PC sucht man an der diesjährigen Orbit allerdings vergeblich.


Das Konzept der Orbit wurde in den letzten Jahren wiederholt umgeschrieben. Sehen wir bald wieder vermehrt Drucker und Kopierer?


Orbit: Diese Entscheidung treffen wir nicht für uns alleine. Wir werden die Aussteller- und Besucherbedürfnisse genau analysieren und dann entscheiden. Bei einer Messe gibt es auch immer Brüche zwischen den Interessen der Besucher und denjenigen der Aussteller. Eine Feststellung, die wir in den letzten Jahren immer wieder gemacht haben.


Muss nicht auch die Internet Expo ihr Konzept ändern?



iEX: Auch die Internet Expo hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Themen ändern sich, und so ändert sich auch die Messe. Wir sind bestimmt stärker in Richtung allgemeine Informationstechnologie gerückt. Doch im Kern geht es immer noch um das Internet. Die Internet Expo bleibt auch eine Solutions-Messe. Wir werden indessen nie die Hardware ins Zentrum stellen. Wenn die Orbit jetzt die Hardwareaussteller verloren hat, kann das für mich nur heissen, dass man in einer veränderten Form wieder Hardware in einer Ausstellung sehen wird. Die Messe muss nicht Orbit heissen. Aber ich bin überzeugt, dass es für Hardware Platz unter einem Messedach gibt und braucht.


Messen stehen ganz allgemein in der Krise, IT-Messe im Besondern. Warum?


Orbit: Das Marketinginstrument Messe steht weltweit auf dem Prüfstein. Davon sind alle Branchen betroffen. Besonders stark trifft es aber die dienstleistungsorientierten Bereiche. Dies vor allem deshalb, weil Lösungen per Definition schwieriger darzustellen sind als etwas Greifbares. Das besondere am Niedergang der IT-Messen ist, dass es der IT-Branche zur Zeit noch schlechter geht als anderen. Auf die Messe bezogen führt dies zu einem Lawineneffekt. Sagt ein Grosser ab, sagen viele Kleine mit ab. Diese formieren sich nämlich wie Satelliten um den Grossen herum. Die IT-Branche ist geprägt von ganz wenigen grossen Anbietern. Wenn einer von diesen nicht teilnimmt, kommt es schnell zur Eskalation.




iEX: Andere Branchen haben zudem über Jahrzehnte eine Messekultur geschaffen. Für die Werkzeugmaschinenindustrie beispielsweise ist die Messe eines der wichtigsten Marketinginstrumente überhaupt. Daran ändert auch eine Wirtschaftskrise nichts. In der IT-Branche waren Messen in den letzten Jahren zwar hip. Es wurde tüchtig selbstinszeniert und viele der neuen Unternehmen hatten ein überdurchschnittliches Branding-Bedürfnis. So konnte sich aber nur äusserst schlecht eine nachhaltige Messekultur entwickeln.

Die Kontrahenten

Orbit: Alain Pittet ist Leiter Business Unit Dienstleistungsfachmessen der Messe Schweiz AG. "Die Zeit der IT-Messe als allumfassende Industrieleistungsschau ist definitiv vorbei."






iEX: Giancarlo Palmisani ist Leiter Internet Expo bei Exhibit AG. "In dem Moment, in dem sich die Internet Expo und die Orbit zusammenschliessen, geht ein Zeitfenster auf und eine neue IT-Messe würde entstehen."




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