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Klimakiller Web 2.0

Sei es bei Flugreisen, Hochzeitsfeiern oder Lebensmitteln – vielerorts blüht der Handel mit Emissionszertifikaten. Der Konsument zahlt freiwillig oder unfreiwillig, Umweltorganisationen führen im Gegenzug Naturschutzprogramme durch. CO2-neutrales Arbeiten am Computer ist allerdings kaum ein Thema.
9. Dezember 2009

     

Von Julia Nierle und Oliver Bendel


Die Politik, die Medien und der Umweltschutz haben sich auf energiesparende Geräte im Haushalt und auf die Glühbirne eingeschossen. Der Tipp, Energiesparlampen einzusetzen, rangiert in etlichen Listen auf Platz 1, und er scheint berechtigt zu sein, wenn man sich vor Augen hält, dass durch eine 100-Watt-Glühbirne laut einer Berechnung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) rund 1,8 Kilogramm CO2 pro Tag freigesetzt werden.


Klimakiller Computer


Worüber sich die wenigsten Gedanken machen: Ein 24 Stunden lang betriebener Computer verursacht ganze 2,16 Kilogramm des klimaschädlichen Gases, wie das UNEP ebenfalls herausfand. Man muss natürlich berücksichtigen, dass in einem Haushalt in der Regel mehr Glühbirnen als Computer vorkommen. Der direkte Stromverbrauch durch den PC ist indes nur ein Faktor; ein anderer ist die Hardware selbst. Mit dem Schlagwort "Green IT" werben Lobbyverbände, Ministerien und Umweltschutzorganisationen dafür, alte Stromschleudern durch neue, energiesparende Hardware zu ersetzen. Dieser Aufforderung scheint Folge geleistet zu werden: Bereits jetzt fallen in Deutschland jährlich 114 000 Tonnen IT-Schrott an. Wer ältere Computer im Sinne der "Abwrackprämie" gegen neue austauscht, schont freilich nur bedingt die Umwelt. Zwar lässt sich mit neuen Geräten Strom sparen; allerdings sollte man deren "graue Energie" nicht vernachlässigen. Dieser Begriff steht für die Energiemenge, die für Herstellung, Transport und Entsorgung des Computers benötigt wird und alles andere als unerheblich ist.


Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen verursacht die Herstellung eines Computers und eines Monitors so viel CO2-Emissionen (durchschnittlich 275 Kilogramm) wie der Betrieb von etwa 15 europäischen Kühlschränken pro Jahr. Das Umweltbundesamt Deutschlands spricht gar von 850 Kilogramm CO2. Dass zur Herstellung eines Computers eine Vielzahl giftiger Stoffe gebraucht wird, ist ökologisch gesehen ebenfalls mehr als problematisch. Von einzelnen Unternehmen produzierte "Öko-Computer", die sich neben einem geringeren Stromverbrauch durch Gehäuse aus biologisch abbaubaren Materialien auszeichnen, sind jedoch nicht mehr als ein netter Versuch. Der Grossteil der mehr als 700 verschiedenen, überwiegend schwer recycelbaren Rohstoffe steckt im Inneren des Computers.

Weiterhin muss man berücksichtigen, wie viele CO2-Emissionen durch die Netze inklusive Routern sowie die riesigen Serverparks anfallen, die über den halben Erdball verstreut den reibungslosen und rasanten Datenverkehr gewährleisten. Eine Suchanfrage bei Google wird in Sekundenbruchteilen an hunderte Server weitergeleitet, die sich ein Rennen um die schnellste Antwort liefern. Experten gehen davon aus, dass für Google und seine verschiedenen Dienste insgesamt bis zu 1,5 Millionen Rechner im Einsatz sind. Dass diese Unmengen an Strom verbrauchen, zeigte bereits 2007 eine Studie, die der Wissenschaftler Jonathan Koomey von den Lawrence Berkeley National Laboratories im Auftrag des Prozessor-Herstellers AMD durchführte. Koomey ging davon aus, dass weltweit mindestens 14 Kraftwerke der 1000-Megawatt-Klasse einzig für die Versorgung der Rechenzentren mit Strom betrieben werden. Pro ein bis zwei Google-Suchanfragen wird so viel CO2 freigesetzt wie durch eine 11-Watt-Energiesparlampe in bis zu einer Stunde oder während einer Autofahrt von einem Kilometer, rechnen Experten vor.


Ansätze, unser Surfen im Web klimaverträglicher zu machen, gibt es nur vereinzelt. Die grüne Suchmaschine Ecocho etwa verspricht, für jeweils 1000 Suchanfragen bis zu zwei Bäume zu pflanzen. Die Aktion "Mein Blog ist CO2-neutral" der deutschen Verbraucherplattform KaufDA wiederum spendiert für jeden Blog, in dem ein Post über die Initiative veröffentlicht und ein Button aufgeschaltet wird, einen Baum. Die CO2-Emissionen des Blogs sollen so für 50 Jahre neutralisiert werden. Und an E-Mails mancher Unternehmen werden Grafiken angehängt, die zur Schonung der Umwelt und zum Verzicht auf den Papierausdruck aufrufen; allerdings kostet der Versand der E-Mails durch diese Grafiken und die erhöhte Datenmenge noch mehr Strom als ohnehin schon.


Kraftwerke für das Mitmachweb


Aber helfen Informations- und Kommunikationstechnologien und das Internet nicht auch dabei, Energie zu sparen? Dies suggerieren Websites und Veröffentlichungen mächtiger Verbände wie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM), die vehement eine höhere Durchdringung und grössere Verbreitung von ICT fordern. Argumentiert wird etwa damit, dass veraltete, energiefressende Prozesse, Strukturen und Geräte substituiert werden.

Man fühlt sich erneut an die Abwrackprämie erinnert, und tatsächlich helfen solche Behauptungen eher der Wirtschaft als der Umwelt. Selbstredend sind Einsparpotentiale vorhanden, etwa wenn dank E-Mail und Instant Messaging weniger Briefe transportiert werden müssen. Auch Reisewege zu Meetings können durch Videokonferenzen und Firmenblogs reduziert werden. Was für das Internet und das Web 1.0, ja sogar für das betriebliche Web 2.0 in gewisser Weise gelten mag, kann man beim Freizeit-Web-2.0 bezweifeln. Die positiven Aspekte der Informations- und Kommunikationstechnologien werden durch die massiv ansteigende, vielfach überflüssige Nutzung des World Wide Web wieder aufgehoben, wenn nicht ins Gegenteil verkehrt. Internetuser, allen voran die sogenannten Digital Natives, bloggen und twittern im Stunden- respektive Sekundentakt über ihre Befindlichkeiten, dass dem Eisbären die Eisscholle unter den Tatzen wegschmilzt. Sie laden Millionen von Fotos und Videos hoch, und weil YouTube nun in den hochauflösenden Bereich drängt, müssen die Kraftwerke Sonderschichten fahren. Zur Freude der Stromkonzerne gruschelt, stupst und spickt man sich in Social Networks auf Teufel komm raus und pflastert sich gegenseitig die Pinnwände zu.


Indirekt verursache die IT weltweit so viel Treibhausgase wie der globale Flugverkehr, hat Marktforscher Gartner ausgerechnet. Welchen Anteil Social-Web-Applikationen daran haben, lässt die Studie im Verborgenen. Dave Douglas von Sun Microsystems berechnete, dass ein Second-Life-Avatar – der Stromverbrauch der 4000 Second-Life-Server mit einkalkuliert – jährlich 1,17 Tonnen CO2-Emissionen verursacht. Wenn man diese Zahl vor Augen hat, müsste klar sein, dass der Stromverbrauch durch das Web 2.0 keine vernachlässigbare Grösse ist. Und man müsste sich fragen, ob es einen Sinn ergibt, wenn unser virtueller Stellvertreter eine fast so schlechte Ökobilanz hat wie wir selbst. Laut einer Studie des Borderstep-Instituts, die der BITKOM in Auftrag gegeben hat, verbrauchten die Rechenzentren in Deutschland 2008 so viel Strom, wie etwa vier mittelgrosse Kohlekraftwerke produzieren (rund zehn Terawattstunden). Die neueren Supercomputer, die in von der Europäischen Union finanzierten Projekten – etwa zur Überfischung und zur Klimaforschung – eingesetzt werden, dürften diesen Verbrauch noch deutlich erhöhen. Um Ansätze zu finden, wie man den Klimawandel eventuell aufhalten kann, muss dem Klima offenbar erst einmal weiter geschadet werden. In diese Richtung geht auch eine Aktion von Greenpeace in Deutschland. Die Umweltorganisation rief anlässlich der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen dazu auf, Bundeskanzlerin Angela Merkel via Twitter zu sagen, was man von ihr auf der Konferenz erwartet, und versprach, die Tweets am 5. Dezember 2009 vor dem Brandenburger Tor auf einem grossen Bildschirm anzuzeigen.

Unlösbare Paradoxe


Für Facebook gibt es einen CO2-Rechner, der den persönlichen CO2-Fussabdruck anhand von Angaben zur Lebensweise ermittelt. Wie viel Energie allerdings durch das Kommunizieren über das Social Network verbraucht wird, von der Hardware über die Software bis hin zu den Netzen, erfährt man nicht. Noch ist der ganze afrikanische Kontinent im Internet schwächer vertreten als die Stadt New York, sagt die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung. Was aber, wenn auch diese Länder den digitalen Graben überwinden und das Mitmachweb für sich entdecken? Bereits jetzt liegt Facebook bei der Zahl der Unique Visitors weltweit auf Platz 4. Können wir es uns ökologisch leisten, dass jeder rund um die Uhr via Computer und Smartphone seine Profile und Kontakte pflegt, jeder bloggt, twittert, chattet und mailt? Kommunikationswerkzeuge und soziale Netzwerke können, wie angedeutet, sinnvoll sein, wenn man sie so nutzt, dass sie andere wichtige Tätigkeiten ersetzen. Wer aber auf Kosten der Umwelt seinen Mitmenschen mitteilt, dass ihm gerade langweilig ist oder er einen Kaffee trinkt, muss sich Kritik genauso gefallen lassen wie jemand, der im Hochsommer wöchentlich das Auto wäscht oder zu Hause das Licht brennen lässt, wenn er in die Ferien geht.


Ein grosser Teil der Twitter-Nachrichten ist belanglos – zu diesem Schluss kommt auch Pear Analytics. Das kalifornische Unternehmen hat in einer Studie herausgefunden, dass 40 Prozent aller Tweets reines Geschwätz sind. Verfechter des Microbloggings werden entgegnen, dass die meisten der jährlich produzierten Bücher ebenso wenig hochwichtig oder Hochliteratur sind. Auf den Bestsellerlisten finden sich regelmässig Beziehungsratgeber und Kochbücher, deren Herstellung die Umwelt schliesslich auch unnötig belastet. Durch Dienste wie BOD oder Lulu kann zudem jeder sein eigenes Buch auf den Markt werfen; immerhin wird in diesem Fall das Buch erst nach der Bestellung gedruckt, was durch Informations- und Kommunikationstechnologien und den digitalen Druck möglich geworden ist.


Es scheint also jede Menge unlösbarer Paradoxe zu geben; dennoch führt kein Weg daran vorbei, dass wir das Web 2.0 nicht nur in Bezug auf das Kommunikationsverhalten und die generierten Inhalte, sondern auch in Bezug auf die Ökobilanz kritisch betrachten. Denn wie viel man auch auf der Hardware-Seite einsparen mag: Die weltweite Kommunikation über Twitterfunktionen, über Blogs und über Social Networks kostet Strom und Geld und belastet unsere Umwelt.


Julia Nierle und Oliver Bendel vom Institut für Wirtschaftsinformatik der Hochschule für Wirtschaft, Fachhochschule Nordwestschweiz.




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