Open Source in der Verwaltung: Dietrich Feist vs. Claudia Balocco
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/12
Der Entscheid der Stadt München, auf die PCs ihrer 14’000 Angestellten Linux statt Windows zu laden, hat für Schlagzeilen gesorgt. Die Fachwelt ist verwundert und fragt sich: Ist das der Beginn eines goldenen Pinguin-Zeitalters in der öffentlichen Verwaltung oder nur ein kurzes Strohfeuer? Während die Open-Source-Verfechter das Kostenargument in den Vordergrund rücken, setzen die Gegner auf standardisierte Plattformen.
Pro: Eine langjährige Studie des bayrischen Landesrechnungshofes belegt, dass freie Software in der öffentlichen Verwaltung deutlich günstiger ist als proprietäre Lösungen. Eine Studie der Robert Frances Group errechnet etwa für Linux im Vergleich zu Microsoft Windows und Sun Solaris über drei Jahre hinweg Einsparungen von 61 bzw. 87 Prozent. Die Lizenzkosten pro Arbeitsplatz haben sich beim Bund - so das EFD - durch die neue Lizenzpolitik von Microsoft von heute auf morgen mehr als verdoppelt. Damit ist das Standardargument der Gegenseite, eine Migration sei nicht finanzierbar, bereits auf mittlere Sicht entkräftet.
Kontra: Kostenwahrheit ergibt sich nicht aus dem Lizenzeinkauf, der ist nur ein kleiner Teil. Wesentlicher sind die Effizienz der Anwendung, die Software-Verteilkosten, die kontinuierliche Nutzung von angesammeltem Wissen der User sowie der Betriebsorganisation. Unter dieser Betrachtung der TCO (Total Cost of Ownership), benötigt eine Organisation eine sehr lange Zeit, um Investitionen in Open-Source-Software zu amortisieren. Ob Open Source dann noch "hype" ist, ist zur Zeit bei weitem nicht sichergestellt.
Pro: Freie Software ist nicht per se sicherer als proprietäre. Durch die Verfügbarkeit des Quellcodes kann der Fachmann eventuelle Sicherheitslecks aber aufspüren und eliminieren. An freier Software arbeiten meist Hunderte von Entwicklern nach klaren Qualitätssicherungskriterien. Ein Release geht erst an die Öffentlichkeit, wenn das System auf Herz und Nieren geprüft und für sicher befunden wurde. Proprietäre Entwicklung sieht sich hingegen dem Trade-Off von Qualität und Time-to-Market ausgesetzt. Die Vergangenheit hat leidvoll gezeigt, dass den Herstellern dabei das eigene Portemonnaie meist näher ist als der Sicherheitsgedanke.
Kontra: Sicherheit hat auch mit Haftung zu tun, auch wenn diese von Herstellern immer wieder ausgeschlossen wird. Trotzdem haften diese in der Praxis für gewisse Aspekte ihrer Produkte. Bei Open-Source-Software ist in der Praxis nicht kontrollierbar, ob einer der unzähligen involvierten Programmierer nicht irgendwelche Fallen und Sicherheitslöcher gezielt einbaut. Da Open-Source-Software - von den Server-Betriebssystemen einmal abgesehen - noch wenig im unternehmenskritischen Bereich eingesetzt ist, werden vorläufig erst wenige Sicherheitslöcher bekannt.
Pro: Freie Software ist in der Anschaffung zwar kostenlos, für Support hingegen muss bezahlt werden. Zentral ist dabei die Frage, ob flächendeckender Support in ausreichender Qualität zur Verfügung steht. Mit IBM hat Linux für Betriebssysteme einen Anbieter auf seiner Seite, der dies garantiert. Neben den Global Players verfügt die Schweiz aber auch heute schon über mittelständische Unternehmen, die von Office- bis zu Sicherheitslösungen kompetenten Support und zuverlässige Wartung für freie Software bieten. Je grösser dabei der Markt ist, desto breiter wird auch das Angebot.
Kontra: Für Open-Source-Software fallen zwar meist keine Lizenzkosten an, dafür ist für die Wartung noch kein strukturiertes Supportangebot vorhanden. Die unterstützenden Hersteller IBM und Sun zeichneten sich in der Vergangenheit unter anderem auch durch Proprietät, vorzeitige Abkündigungen von als strategisch vermarkteten Produktlinien sowie durch in der Regel im Wettbewerbsvergleich hohe Kosten aus. Als Alternative bietet sich für die öffentliche Hand nur der Aufbau eines eigenen Competence Centers an. Ob sich das mit dem, inzwischen gemäss allseitigen Bekenntnissen, angestrebten schlanken Staat verträgt, bleibe dahingestellt.
Pro: Die Open-Source-Gemeinschaft bietet nicht für alle Bedürfnisse der staatlichen Verwaltung eine pfannenfertige Lösung. Gleiches gilt aber ebenso für den proprietären Bereich. Der Staat muss in vielen Fällen die Entwicklung von Software in Auftrag geben. Verlangt er dabei, dass diese Lösungen Open Source sind, können Verwaltungen Systeme weitergeben, ja sogar Staaten Software untereinander austauschen, wie es die Europäische Kommission fordert. Mit diesem System werden nicht nur heilsame politische Prozesse angestossen, die Informatik verliert auch den Nimbus vom Fass ohne Boden.
Kontra: Vorläufig ist die Open Source Community weit davon entfernt, ein komplettes Leistungsspektrum abzudecken. Ein grosser Teil des benötigten Leistungsspektrums muss erst noch entwickelt werden und auch bei Open-Source-Software gilt die Bananentaktik: Das Produkt reift beim Konsumenten. Als Steuerzahlerin und Politikerin bin ich nicht daran interessiert, den Lernprozess der Open Source Community zu finanzieren.
Pro: Mit Microsoft, Oracle und SAP beherrschen wenige Firmen die Softwarearchitekturen staatlicher Institutionen - eine bedenkliche Abhängigkeit, die von Seiten der Verwaltung erkannt wurde. Dennoch zeigt man sich ihr gegenüber überraschend hilflos. Freie Software gehört keiner Unternehmung, der Käufer unterstellt sich nicht der Willkür einer Lizenzpolitik, die je nach dem Grad der Abhängigkeit zu Kostenexplosionen führen kann. Wenige Anbieter bedeuten Monopole mit allen negativen volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Der freie Wettbewerb ist jedoch eine staatliche Aufgabe von Verfassungsrang.
Kontra: Auch ohne Open Source ist eine Vielzahl von Software-Produkten von verschiedensten Herstellern erhältlich. Die Offenlegung des Source Codes ist keine Spezialität von Open Source, vielmehr ist das eine reine Frage von vertraglichen Abmachungen zwischen Hersteller und Kunde, wie beispielsweise die Abkommen zwischen Microsoft und der Eidgenossenschaft beweisen. Open Source ist ein undefinierbarer Hersteller mehr, bestehend aus Entwicklern, welche in ihrer Freizeit als Hobby Software programmieren. Eigentlich kann es ja nicht sein, dass professionelle Organisationen sich von einem solchen Konstrukt abhängig machen.
Pro: Dietrich Feist ist Präsident der Lobbyorganisation Wilhelm Tux. Die Wilhelm-Tux-Organisation macht sich für den Einsatz von quelloffener Software in der öffentlichen Verwaltung stark. Die "Kampagne für freie Software", wie der Vereinszweck umschrieben wird, besteht seit einem Jahr.
Kontra: Claudia Balocco ist IT-Beraterin bei 1eEurope in Thalwil und Kantonsrätin. Als IT-Beraterin arbeitet sie unter anderem auch für Organisationen der öffentlichen Hand. 1eEurope ist Anbieter für Collaborative Solutions und entwickelt Individual-Software für ihre Kunden.