IT Realities: Einsteins Kälber oder die Krux mit den IT-Beratern

Stefan E. Fischer über professionelle E-Business-Beratung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/43

     

Vielleicht haben auch Sie irgendwann über den Witz gelacht, in dem ein einsamer Schäfer Besuch von einem smarten Typ bekommt und den Deal akzeptiert, ihm eines seiner Schafe zu schenken, sofern er die genaue Zahl der Tiere in der Herde ermitteln könne. Natürlich kann er's - dank Laptop, Internet und Satellitenfoto - und darf ein Tier einladen. Der Schäfer kehrt den Spiess um und möchte es zurückhaben, falls es ihm gelingt, den Beruf des Besuchers zu erraten. Abgemacht - und klar, er kann's: Der Besucher ist Unternehmensberater bei einem der "Big Five".




Des Schäfers Weisheit: Erstens, der smarte Herr kam, ohne dass man ihn gerufen hatte, zweitens er erzählte etwas, das man schon lange selber wusste, und drittens, er versteht nichts von der Sache, hatte er doch den Schäferhund für ein Schaf gehalten und eingeladen.


Allwissende Berater?

Vermutlich gibt es in diesem Land kaum einen Consultant, der diesen Witz nicht von einem seiner Kunden zugespielt bekam. Abzutun als kleine Häme von ein paar wenigen Consulting-geschädigten Zeitgenossen?



Machen wir uns nichts vor. Dieser Beratertyp lebt! Und dummerweise spielt ihm momentan ein Trend wacker in die Hände: das E-Business.



Das Problem liegt darin, dass jeder Berater zu wissen glaubt, wie und wo heute die Post abgeht.



Also hetzen ganze Trupps von teuren Beratern zum Kunden, tragen gewaltige Folienschlachten aus - alle Zahlen natürlich aus den USA - und spielen Think Big, auf dass Hintergümlingen aus Ehrfurcht über Nacht zur Goldgräberstadt mutiert.



Es ist zu hoffen, dass die versammelte Runde mit dem Auftrag mindestens so lange zuwartet, bis sich der Pulverdampf verzogen hat. Denn dann werden die Inhalte sichtbar. Und die sind meistens mehr als bescheiden.




Kein Vergleich mit den USA

Vorneweg: Europa und die Schweiz liegen nicht in den USA und werden das auch in den nächsten Jahren nicht. Die Geschäftskulturen sind nicht direkt vergleichbar und die Konsumentenschar ist auf diesem Kontinent viel zersplitterter. Folglich wird bei uns noch sehr viel Lehrgeld zu zahlen sein.



Bei der professionellen E-Business-Beratung aber müsste es zuerst darum gehen, die Wissensbasis betreffend Kunde und dessen Geschäftsumfeld sauber aufzuarbeiten. Das ist natürlich Knochenarbeit: Sie besteht vor allem darin, in die Niederungen der Kunden-Geschäftsfelder hinabzusteigen. Und es heisst zudem, den Kunden direkt in die Projektarbeit einzubinden, weil er dem Berater in Bezug auf Markt-, Produkt- und Zielgruppenkenntnisse nach wie vor weit überlegen ist. Elektronik schafft diese Randbedingungen nicht ab!




Der unverzeihlichste Beraterirrtum besteht darin, E-Business beispielsweise nur als neuen Vertriebskanal zu sehen. Das ist tödlich. Alles was mit "E-" anfängt, endet in der Regel bei tiefgreifenden Veränderungen in den Unternehmensstrukturen und Geschäftsprozessen. Wenn der Berater diese Zusammenhänge ignoriert und mit Hurra-Mentalität direkt auf IT-Systeme und Softwareapplikationen losmarschiert, lebt der Kunde ab sofort gefährlich.



Damit ist auch gesagt, dass ein Berater ohne Verständnis für kundenspezifische Zusammenhänge im E-Business kaum eine glückliche Hand haben wird. Also nichts für Frisch-ab-Stange-Newcomer und Oberflächenritzer.



Entgegen anderslautenden Gerüchten gibt es hingegen auch in good old Switzerland bereits etablierte Beratungsunternehmen, die E-Projekte erfolgreich umgesetzt haben und über genügend interne Ressourcen für eine effiziente Projektabwicklung verfügen. Nur sollte sich der potentielle Kunde getrauen, statt allein auf Grösse auch auf echte Referenzprojekte innerhalb europäischer Businesskultur zu achten. Falls nicht, grüsst ihn Albert Einstein bald mit seiner hellsichtigen und ebenfalls leicht tierischen Aussage: "Manchmal frag' ich mich selber, bin ich's - oder sind die andern Kälber?"



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