Editorial

Keiner braucht alle zwei Jahre ein neues OS ausser Microsoft

Nur Microsoft braucht alle zwei Jahre ein neues Betriebssystem, um überhaupt am Ball bleiben zu können.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/43

     

Im letzten Februar bescherte uns Microsoft Windows 2000. Erst jetzt beginnen Firmen den Einsatz des neuen Betriebssystems voranzutreiben. Die Redmonder arbeiten aber schon mit Hochdruck am nächsten grossen Release - schliesslich braucht die Welt ja alle zwei Jahre ein neues OS. Davon geht zumindest Microsoft aus. Die Praxis zeigt ein ganz anders Bild. Ich liege sicher nicht falsch mit der Annahme, dass die meisten Unternehmen - wenn überhaupt mit Windows - nach wie vor mit NT 4.0 oder sogar mit Windows 9x arbeiten.



Auf Windows 2000, das zuerst einmal noch Windows NT 5.0 hiess, musste man lange warten. Dafür brachte das Betriebssystem auch einige nützliche Neuerungen. So zum Beispiel das Active Directory, das im Zusammenspiel mit Server-Applikationen wie Exchange oder SQL die Administration eines Netzwerks enorm vereinfacht. Und schliesslich kann Microsoft seit dem Release von Windows 2000 Datacenter Edition Ende September in der oberen Liga der Server-Betriebssysteme mitspielen.




Trotz vielversprechender Neuerungen folgte bei Microsoft kurz nach der Windows-2000-Einführung die Katerstimmung. Viele Kunden wollten mit dem Einsatz noch abwarten - mindestens so lange, bis das erste Flickwerk Ende Juli ausgeliefert wurde. Das Service Pack 1 ist 83 Megabyte gross, ein ausreichender Beweis, dass es einmal mehr vieles zu korrigieren gab.



Brian Valentine, der bei Microsoft das Entwicklerteam für Windows 2000 leitete, rechtfertigte mir gegenüber kürzlich in einem Interview die abwartende Haltung der Unternehmen damit, dass die Firmen viel Zeit damit zubrachten, das Betriebssystem zu evaluieren und erst jetzt zum Windows-2000-Rollout übergehen. Er war es auch, der die Aussage machte, dass Firmen alle zwei Jahre einen neuen Betriebssystem-Release wollen. Dass es Microsoft dabei ernst ist, unterstreicht das "Whistler"-Projekt. Den Nachfolger von Windows 2000 dürfen wir bereits für das zweite Halbjahr 2001 erwarten, und die erste Betaversion wurde kürzlich freigegeben. Was das neue Betriebssystem bietet, entnehmen Sie unserer Technology Preview ab Seite 9.



"Whistler" ist letztlich die Absage an den Windows-9x-Code, der in Windows Me seinen letzten Auftritt hat. Endlich erhält der Home-User - und darauf musste er viel länger als nur zwei Jahre warten - ein vergleichsweise stabiles Betriebssystem. "Whistler" basiert auf der Windows-2000-Technologie und soll auf allen erdenklichen Plattformen zum Einsatz kommen - vom Consumer-PC bis hin zum 64-Bit-Server. Es wird sogar davon gesprochen, dass "Whistler" auch in TV-Set-Top-Geräten zum Zug kommen wird. Darüber hinaus verfolgt Microsoft auch Pläne für ein Smartphone-Betriebssystem mit Codenamen "Stinger" - ganz zu schweigen von Windows CE für die PocketPC-Devices und die PDAs mit Tastatur.



Die Strategie ist klar: Redmond führt den Kampf an allen Fronten. Die hauseigene .Net-Vision sieht nämlich vor, dass man Software-Services via Internet mit jedem Gerät nutzen kann. Für jedes Device will Microsoft ein Betriebssystem parat haben und auch die Server-Infrastruktur, mit der die Services bereitgestellt werden, soll auf Microsoft-Software basieren. Dass die Welt einmal so aussehen wird, bezweifle ich. Und gegenüber dem Spagat, den "Whistler" zwischen High-end und Consumer macht, bin ich skeptisch. Jede Plattform hat ihre eigenen Spezialitäten und Microsoft steht vor der Herausforderung, alle Bedürfnisse mit einer Lösung abdecken zu wollen. Deshalb braucht vor allem Microsoft alle zwei Jahre ein neues Betriebssystem, um überhaupt am Ball bleiben zu können - die Welt dreht sich schnell, aber nicht im Zweijahrestakt.




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