IT Realities: Fachsprache zum Abheben... oder Abstürzen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/41
Grosse Präsentation bei einem mittelständischen Gewerbebetrieb. Es geht um eine neue, "richtige" Homepage (wer hat denen wohl die alte Site gebastelt...?). Wir präsentieren unsere "Leading IT-Company" mit all ihren "Assets". Die "Programming-Skills" werden mit leichter Hand hingeworfen - so ziemlich alles zwischen "Frontpage", "Java" und "VisualBasic". Und unsere Firma würde selbstverständlich auch gleich das "Storyboard" mitentwickeln, falls der potentielle Kunde sich nicht mit Details herumschlagen will. Wenn nötig sorgen wir zusätzlich mit "SSL-Verschlüsselung" für "End-to-end-Security" und "hosten" auch gleich noch die "Site" bei uns. Als Höhepunkt projizieren wir ihm per Beamer unsere "B2B"-Kundenreferenzen an die Wand: Dieses "Package" soll uns erst mal einer nachmachen! Ende der Show.
Wir blicken in die Runde und erwarten Fragen. Es kommen fast keine. Warum? Waren wir so abschliessend gut?
Die Antwort folgt zwei Wochen später, per Brief. "Leider können wir Ihr Angebot nicht berücksichtigen." Man hat sich anders entschieden.
Das wurmt uns. Wir haken nach. Gehen über Schleichwege und durch Hintertüren, bis wir die ganze Wahrheit kennen. Und auf einmal ist alles ganz einfach. Wir waren zu gut, zu professionell - mit unserer Sprache.
Wir hätten, so erfahren wir, mit soviel Fachchinesisch um uns geworfen, dass man uns erstens nicht verstehen konnte und zweitens glaubte, dieser "High-Tech-Ansatz" werde letztlich zu luxuriös und zu teuer sein für einen mittelständischen Betrieb.
Auf gut Deutsch: Wir haben am Kunden vorbeigeredet. Er verstand unsere "Insider"-Sprache nicht und wollte sich selber nicht mit "dummen" Fragen blossstellen.
Wie ist so etwas möglich, wo doch die ganze Welt heute mit Ausdrücken und Abkürzungen wie ISO, WAP, TCP/IP, SQL-Server, Firewall und so weiter um sich wirft?
Nun wurmt es uns noch mehr. Wir starten in unserem Freundeskreis eine kleine Umfrage. Nur mal mit "total durchgängigen" Ausdrücken wie GSM, UMTS, LAN, Housing und fragen, was die so bedeuten. Das Resultat ist niederschmetternd!
Die meisten Befragten haben zwar die Ausdrücke schon gehört und brauchen viele davon "easy", können aber wenig zum Inhalt sagen. Viele, selbst potentielle Kunden wussten nicht einmal, was "IT" bedeutet! Peinlich, peinlich... Fragt sich nur, für wen.
Einverstanden, 95 Prozent der technischen Konversation in unserer Branche ist Insider-Konversation. Aber verkauft werden unsere Produkte nicht nur an Insider, sondern häufig an Outsider. Und die sprechen nicht unsere IT-Sprache, sondern Umgangssprache. Oder sie sind in der Weltsprache Englisch nicht so sattelfest, wie sie selber glauben. Damit ist die Falle gestellt, in die wir Marketing-Leute hineintappen.
Denn wir stehen an der Schnittstelle zwischen Technik und Anwender, und hier gilt die Sprache des Kunden, nicht unsere eigene.
Als Insider haben wir also allen Grund, uns an die Brust zu schlagen. Erstens ist es unsere verdammte Pflicht, den Kunden zu kennen. Es wäre arrogant, vom Kunden zu erwarten, dass er unsere Spezialsprache spricht. Er hat schliesslich noch anderes zu tun als IT-Technologie zu evaluieren. Zweitens tragen wir mit unserem gedankenlosen Sprachverhalten dazu bei, dass immer mehr schwer verständliche Insider-Sprachen für einzelne Branchen entstehen. Kulturpessimismus? Nein, aber es kann auch nicht Ziel unserer Tätigkeit sein, uns selber sprachlich - und damit letztlich sozial - vom Rest der Welt abzukoppeln, ohne es zu merken.
So schwer dürfte es auch nicht fallen, bei Nicht-Fachleuten auf eine verständliche Sprache umzuschalten oder Abkürzungen zumindest die Erläuterung mitzuliefern. Was nützt es dem Zuhörer, wenn er die Abkürzung "P" für Protocol, geschweige denn deren Bedeutung nicht kennt und dann mit WAP, also der Kumulation von Unverständlichem, konfrontiert wird? Sprachliche Selbstdisziplin ist lernbar. Sie hält uns kommunikationsfähig und bringt letztlich Geld.