Zwischen Terminals und Virtualisierung

Fast schon in der Versenkung verschwunden erlebt das Thin Client Computing vor allem dank der Virtualisierung eine Wiedergeburt. Wir zeigen, wohin die Reise geht.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/06

     

Vor Jahren ein Hype, ist es um die Thin Clients ruhig geworden. Das heisst aber nicht, dass sie bedeutungslos oder gar von der Bildfläche verschwunden wären. Sie haben ihre Berechtigung in IT-Konzepten, und manche Marktbeobachter sehen sie sogar wieder im Aufwind. Andererseits gibt es inzwischen auch mehr Alternativen zu Thin Clients als zu Beginn der Entwicklung – und mehr Varianten von Thin Clients. Hier gilt es, die richtige Wahl in der IT-Strategie zu treffen, um die Anforderungen an die Verfügbarkeit, den administrativen Aufwand, die Netzlast und andere Faktoren in bestmöglicher Weise zu lösen. In vielen Fällen wird man daher auch nicht mit einem Client-Konzept auskommen, sondern nach Benutzergruppen differenzieren müssen.






Produkte für Server based Computing, Desktop- und Anwendungsvirtualisierung


Die Optionen bei den Clients

Bei den Clients gibt es zunächst die offensichtliche Wahl zwischen den klassischen «Fat Clients» und eben den «Thin Clients». Erstere sind voll funktionale und meist entsprechend leistungsfähige Rechner mit einem Betriebssystem wie Windows oder Linux und – wobei das schon eine andere Ebene ist – lokal installierten Anwendungen, wenn sie in Reinkultur betrieben werden.


Thin Clients sind dagegen nicht nur optisch, sondern auch in Hinblick auf die Leistung schlank und arbeiten typischerweise mit einem funktional etwas reduzierten Betriebssystem wie Windows CE, allerdings nicht zwingend. Inzwischen gibt es auch Varianten, bei denen direkt ein Client für Terminaldienste, insbesondere Citrix Server, installiert ist. Diese werden teilweise als «Ultra Thin Clients» bezeichnet, wobei dieser Begriff auch für reine verteilte Displays verwendet wird.



Ein Thin Client im eigentlichen Sinn sollte in jedem Fall ein System sein, bei dem auch das Betriebssystem sehr «schlank» ist, um keine unnötigen Hardwareanforderungen zu verursachen. Ob dabei mit einem sichtbaren Betriebssystem gearbeitet wird oder nicht, ist ein zweiter Punkt. Die Aussage, dass der Terminaldienste-Client direkt ausgeführt würde, ist ja ohnehin von Grund auf falsch, weil auch hier ein Minimum an Betriebssystem benötigt wird – nur dass es noch weniger sichtbar ist. Es handelt sich also eher um ein Implementierungsdetail als ein wirkliches Unterscheidungskriterium.


Da Thin Clients per se darauf ausgelegt sind, nicht mit lokalen Anwendungen zu arbeiten, verfügen sie in der Regel über keine lokalen Festplatten.
Wie sehr sich die Ansätze vermischen, zeigt sich auch daran, dass es inzwischen Thin Clients gibt, auf die Linux-Images geladen werden können, um auch lokal – mit dem Image gelieferte oder über das Netzwerk geladene – Anwendungen auszuführen.




Welche Aufgabe übernimmt das Endgerät?


Die Optionen bei der Anwendungsbereitstellung

Gerade dieser Ansatz zeigt, dass es neben der Hardware und dem Betriebssystem von Thin Clients noch einen zweiten wichtigen Aspekt gibt, nämlich die Anwendungsbereitstellung. Der übliche Ansatz bei Thin Clients ist, dass mit Terminaldiensten gearbeitet wird, also Anwendungen auf einem Server ausgeführt werden und nur die Präsentation auf dem Client erfolgt. Diese Konzepte gibt es im Linux/UNIX-Bereich ebenso wie im Windows-Umfeld. Sie sind etabliert und bewährt. Solange man Anwendungen ohnehin ausschliesslich beispielsweise über einen Citrix Presentation Server oder die Terminaldienste von Windows bereitstellt, spricht nichts dagegen, auf der Client-Seite auch mit entsprechend schlanker Hardware, eben den Thin Clients, zu arbeiten.


Allerdings gibt es gerade in diesem Bereich doch viel Bewegung. Zum einen zeigt sich, wenn man die Funktionszuwächse der Terminalserver-Produkte in den letzten Jahren betrachtet, dass die Integration mit lokal ausgeführten Anwendungen und Systemfunk­tionen ein hohes Gewicht hat. Hier gab es viele Verbesserungen. Der reine Thin-Client-Ansatz ist eben nicht der einzige, der in der Praxis genutzt wird. Oft geht es auch um die Kombination von lokal ausgeführten Anwendungen und zentral bereitgestellten Applikationen, wobei dann auf den lokalen Systemen häufig die Office-Anwendungen laufen, während Business-Anwendungen über Terminaldienste bereitgestellt werden.



Auf der anderen Seite gewinnen seit einiger Zeit Technologien an Gewicht, mit denen einzelne Anwendungen «virtualisiert» werden. Dabei geht es darum, dass Anwendungen zentral bereitgestellt, aber auf dem Client ausgeführt werden, wobei dort eben keine vollständige virtuelle Systemumgebung realisiert wird, sondern nur eine für diese spezifische(n) Anwendung(en). Damit versucht man die Vorteile von Terminalserver-Umgebungen mit ihrem zentralen Management und die Vorteile der lokalen Ausführung von Applikationen miteinander zu kombinieren.


Dieser Ansatz funktioniert mit Thin Clients in ihrer Reinform nicht, sondern ist eher darauf ausgelegt, mit Rechnern mit einer vollen Windows-Version betrieben zu werden. Gerade diese Deployment-Ansätze stellen eine interessante Option in einem Gesamtkonzept dar, das eben von den Thin Clients in Reinform bis hin zu den Fat Clients klassischer Prägung eine Fülle von Varianten bietet.


Hinzu kommt der Ansatz der Desktop-Virtualisierung in Form der Bereitstellung vollständiger Images, die von einer zentralen Infrastruktur geliefert werden. Auch für diesen Lösungsweg, bei dem die erforderliche Leistungsfähigkeit der Clients primär davon abhängt, was über das Image verteilt wird, ist eine interessante Option in den Konzepten.


Mit Blick auf die Hardware ist dabei festzustellen, dass die spezifischen Thin-Client-Lösungen ohne Festplatte relativ schnell an ihre Grenzen stossen, während man klassische Hardware in sehr unterschiedlicher Form und mit einem sehr unterschiedlichen Grad an zentraler Administration und Anwendungsbereitstellung betreiben kann. Insofern ist genau zu prüfen, ob man nicht mit spezieller Thin-Client-Hardware viele der Gestaltungsmöglichkeiten in der IT verschenkt.


Wenn man diese Entwicklung betrachtet, dann geht es heute keineswegs mehr so sehr um Thin Clients im Sinne einer «schlanken» Hardware. Es geht vielmehr um Thin Clients im Sinne einer «schlanken», einfach zu verwaltenden IT-Infrastruktur. Das war im übrigen ja auch der wichtigste Treiber für die Thin-Client-Hardwarekonzepte, bei denen ja, wenn man genau hinschaut, die meisten Vorteile durch eine zentrale Anwendungsbereitstellung und nicht durch das spezielle Hardwarekonzept entstehen.


Die wichtigsten Technologien

Die Herausforderung liegt heute darin, aus der Vielfalt der technischen Alternativen die richtige Lösung auszuwählen. Schon beim Blick auf drei der grossen Anbieter im Markt wird die Vielfalt deutlich. Microsoft bietet neben den Terminaldiensten heute oder in naher Zukunft Lösungen für die Anwendungsvirtualisierung mit der Microsoft Application Virtualization und für die Virtualisierung von Servern mit Hyper-V. Citrix hat inzwischen mit Xen Server, Xen App und Xen Desktop auch ein umfassendes Portfolio an Virtualisierungslösungen. Und Vmware hat sein Produktangebot mit der Virtual Desktop Infrastructure (VDI) ebenfalls erweitert und wird demnächst auch eine Lösung für die Anwendungsvirtualisierung vorstellen, die derzeit unter dem Codenamen «North Star» entwickelt wird und auf Technologie von Thinstall basiert.
Daneben gibt es noch viele andere Virtualisierungsinitiativen. Hier ist an erster Stelle Xen mit seiner Umsetzung durch viele Hersteller zu nennen. Aber auch die Akquisition des deutschen Anbieters Innotek durch Sun für die Desktop-Virtualisierung ist in diesem Kontext zu sehen.


Die Übersicht wird einfacher, wenn man die technischen Ansätze für die Anwendungs- und Systembereitstellung gruppiert. Das etablierte Verfahren sind Terminaldienste, bei denen auf einem Server Systeminstanzen für mehrere Benutzer laufen. Die Präsentationsschicht, also die Ein- und Ausgabe, wird über spezielle Protokolle auf dem Client bereitgestellt. Hier sind beispielsweise der klassische Citrix Presentation Server und die Terminaldienste des Microsoft Server 2008 einzuordnen. Wie zügig die Entwicklung hier ist, zeigt sich auch daran, dass der Citrix Presentation Server zukünftig als Citrix Xen Server firmieren wird und damit Funk­tionen der Server-Virtualisierung mit denen der Presentation Services integriert.



Ein zweiter Ansatz ist die Virtualisierung vollständiger Clients, die wiederum in mehreren Varianten umgesetzt werden kann. Das Spektrum reicht vom Betrieb mehrerer virtueller Maschinen auf einem Server über die Bereitstellung von virtuellen Maschinen auf individuellen Blades bis hin zur Verteilung von Images. Entsprechend breit ist hier auch die Palette von Angeboten, von dem zukünftigen Citrix Xen Desktop für die zentrale Bereitstellung von Images über die Vmware Virtual Desktop Infrastructure und Vmware ACE für die Server- respektive Client-seitige Bereitstellung von virtuellen Maschinen bis eben hin zu der von Sun akquirierten Innotek-Technologie, die unter anderem ebenfalls virtuelle Images auf dem Desktop unterstützt.


Die dritte grundlegende Option ist die Anwendungsvirtualisierung, wobei auch diese Server-seitig in dort betriebene Images und Client-seitig auf lokal installierte Betriebssysteme erfolgen kann. Hier sind beispielsweise Microsofts Application Virtualization oder Citrix Xen App anzusiedeln.


Die erforderliche Hardware beim Client variiert. Immer dann, wenn nur die Präsentationsschicht auf dem Client ausgeführt wird, kann man mit Thin-Client-Hardware arbeiten. Dagegen erfordern die Ansätze der Bereitstellung vollständiger Images auf dem Client respektive der Client-seitigen Anwendungsvirtualisierung leis­tungsfähigere Hardware.


Der Reiz der vollständigen Virtualisierung von Clients liegt daran, dass sich damit auch spezielle Anforderungen von Benutzern leichter als in einer reinen Terminal-Server-Umgebung realisieren lassen, weil eben jedes System in einer sauber abgegrenzten Umgebung läuft. Gleichzeitig sind die Protokolle wie ICA und RDP für die Kommunikation zwischen der Präsentationsschicht und einem zentralen Client so effizient, dass sich die meisten Anwendungen sinnvoll damit betreiben lassen.


Letztlich gibt es damit nur zwei Situationen, in denen man an lokal installierten Betriebssystemen kaum vorbeikommt. Das sind zum einen spezielle Grafikanwendungen, wobei sich auch hier inzwischen die Frage stellt, ob man diese nicht beispielsweise mit einem Blade-Konzept im Rahmen des Citrix Xen Desktop nutzen kann, und dann – zwingend – die mobilen Systeme, die ja immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dort kommt man an lokalen Betriebssystemen nicht vorbei, kann diese aber immer noch in Kombination mit Terminaldiensten für den Zugriff beispielsweise auf zentral bereitgestellte Business-Anwendungen betreiben. Und man kann natürlich über die Verteilung von Images und die Client-seitige Anwendungsvirtualisierung auch mehr Funktionalität zentral bereitstellen.



Desktopvirtualisierung à la Vmware


Das Management der Infrastrukturen

Neben der grundlegenden Entscheidung darüber, welche Virtualisierungslösung überhaupt in Frage kommt, gibt es auch die Herausforderung des Managements der Virtualisierung. Für die zentralen Infrastrukturen stellen dabei alle Anbieter innerhalb ihres Produktportfolios auch spezielle Management-Lösungen bereit. Häufig handelt es sich dabei um Web-basierende Schnittstellen, was sicherlich noch nicht aus­reicht. Die Integration in bereits vorhandene Frameworks für das Systemmanagement und Web Services, um diese Lösungen flexibel ansteuern und integrieren zu können, fehlen aber häufig noch.


Viel interessanter ist aber ohnehin die Frage, wie man einerseits die für verschiedene Einsatzsitua­tionen ja immer noch erforderlichen lokalen Client-Betriebssys­teme und andererseits die virtuel­len Images, die immer wichtiger werden, konfiguriert. Hier kommen wieder die gängigen System-Lifecycle-Management-Lösungen ins Spiel, also Lösungen für die Softwareverteilung und -konfiguration, das Patch Management und andere Aufgaben. Viele von diesen Produkten unterstützen heute bereits Terminal-Server-Infrastrukturen. Und bei der Konfiguration vollständiger Clients ist es letztlich relativ egal, in welcher Form – als virtuelle Maschine oder auf einem physischen System – diese ausgeführt werden.



Das bedeutet, dass man neben der Infrastruktur für die Virtualisierung und eventuell den Thin Clients – oder «richtigen» Clients, die zusätzlich über Remote-Desktops auf zentral bereitgestellte Anwendungen zugreifen – auch eine Lösung für das System Lifecycle Management benötigt. Denn es ist nicht damit getan, die virtuellen Desktops zu verwalten. Man muss auch in den virtuellen Systemen verwalten können. Vieles ist darin zwar weitgehend identisch und damit «kopierbar». Aber es wird immer Situationen geben, in denen Anpassungen erforderlich sind.



Herkömmliche Betriebssystemumgebung


Herausforderung Konzeption

Letztlich stellen die neuen Möglichkeiten für Unternehmen eine konzeptionelle Herausforderung dar. Es gilt, in den vielfältigen alten und neuen Gestaltungsop­tionen die richtige Mischung zu finden. Dabei wird man selten mit nur einem Konzept auskommen. In den meisten Fällen wird man mehrere Ansätze kombinieren müssen, um sowohl die Anforderungen an die Funktionalität der Clients als auch das Management, die Kosten, die Sicherheit und andere Faktoren erfüllen zu können.



In Anbetracht dessen, dass derzeit viele neue Produkte auf den Markt kommen und einiges wie Microsofts Hypervisor Hyper-V, die Microsoft Application Virtualization, Citrix Xen App oder Vmwares Anwendungsvirtualisierung noch in der Beta-Phase sind, sollte man sich aber auch vor überstürzten Investitionen hüten. Dafür ist der Markt derzeit zu sehr im Fluss.

Und manches Mal wird auch der klassische, vollfunktionale Desktop mit einem genauso klassischen System Lifecycle Management die beste Lösung sein. Thin-Client-Lösungen werden aber sicher von dem Trend hin zu einer Server-basierenden Virtualisierung in manchen Anwendungsbereichen profitieren können, ebenso wie die Anbieter von leistungsfähiger Server-Hardware. Bei den Kosten muss man aber immer sehen, dass auch das Management solcher zentralisierten virtuellen Clients teuer ist und dass den Kosten auf Client-Seite nun die für eine viel aufwendigere Server-Infrastruktur gegenüberstehen.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welche Farbe hatte Rotkäppchens Kappe?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER