Von Dukaten, Thalern und E-Government

Die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger müssen mehr Druck für Standards im E-Government machen. Ein Plädoyer.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/14

     

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts herrschte in der Schweiz eine riesige Unordnung im Münzwesen: Es gab Berner Dukaten und Dublonen, Zürcher Thaler, Basler Thaler, Luzerner Gulden, Schwyzer Gulden, Zürcher Böcke, Bündner Blutzger etc. etc. Städte, Bistümer, Abteien, Orte, und Kantone übten das Münzregal nach Belieben aus, meist ohne irgendeiner Richtlinie zu folgen. Für den Bürger und die Bürgerin war der Umgang mit dem Geld dementsprechend unübersichtlich und mühsam. Dieser Zustand dauerte bis 1874, denn so lange hatte jeder Kanton seine eigene Währung.
Wer heute die Situation im E-Government betrachtet, stellt erstaunliche Parallelen zum Münzenwirrwarr im 19. Jahrhundert fest. Denn die Lage ist heute ähnlich wie damals, wenn es um E-Government-Strategien und deren Umsetzung geht. Jede Regierung, jedes Parlament, jede Informatikabteilung der jeweiligen Direktionen und Gemeinden führt ein Leben unter Isolationsbedingungen: «Wir sind anders als die anderen, deshalb brauchen wir eine andere
E-Government-Lösung», so lautet das Motto. Welch ein Widerspruch zur Philosophie und Anlage des World Wide Web – der globalen Vernetzung und des gegenseitigen Datenaustauschs zur Vereinfachung des Lebens von uns Bürgerinnen und Bürgern.


Schweiz abgeschlagen

Dem 6. Bericht der Koordinationsgruppe Informationsgesellschaft an den Bundesrat (Juni 2004) entnimmt man: «Verglichen mit anderen Ländern weist die Schweiz einen eher geringen Prozentanteil grundlegender Service-Angebote der öffentlichen Hand im Internet auf. Im Oktober 2003 betrug dieser Anteil für die Schweiz 55 Prozent.» Der Durchschnitt bei den grundlegenden Service-Angeboten im Internet lag in vergleichbaren europäischen Ländern damals bei 60 Prozent. Die Entwicklung zeigt, dass die Schweiz in der Rangliste von Jahr zu Jahr weiter zurückfällt. Heute sind wir bei den Online-Serviceangeboten der öffentlichen Hand gemäss der E-Europe-Studie von Capgemini (März 2005) verglichen mit den 15 alten EU-Ländern auf dem zweitletzten Platz – vor Luxemburg. Berücksichtigt man alle EU-Länder und die EFTA-Staaten, rangieren wir auf Platz 20 von 28. Auch die neuen EU-Länder sind bezüglich E-Government teilweise weit fortgeschritten. An der Spitze der Rangliste liegen die skandinavischen Länder, Grossbritannien sowie Irland und Österreich.
Die eidgenössische Bundeskanzlei hat mit www.ch.ch den relativ untauglichen, aber teuren Versuch unternommen, im E-Government ein neues Portal zu lancieren. Die Konzeption und (nur partielle!) Umsetzung dieses Portals hat von 2001 bis 2004 satte 18,18 Millionen Franken verschlungen, wie dem Schlussbericht zum Guichet virtuel der Bundeskanzlei vom November 2004 zu entnehmen ist. Inzwischen sind die Kantone Zürich und Solothurn ausgestiegen mit der Begründung, Aufwand und Ertrag stünden in keinem Verhältnis. Die Euphorie unter den meisten Beteiligten ist verflogen. Die Ernüchterung ist gross. Fakt ist: Das Portal ist in der Bevölkerung kaum bekannt und bietet kaum einen Mehrwert.


Standardsoftware ein Muss

Ein Grund für das schlechte Abschneiden der Schweiz sind deren föderale Strukturen. Nach wie vor setzen die Gemeinden und Kantone auf Insellösungen, die kurzfristig günstiger sind. Zahlreiche Dienste liegen in der Hoheit von Kantonen und Gemeinden, die je nach verantwortlicher Person unterschiedliche Prioritäten setzen. Zudem fehlen in unserem Land in vielen Bereichen die gemeinsamen Standards. Jedem und jeder ist aber klar: Mit der verbindlichen Einführung gemeinsamer Standards wäre bereits ein grosser Schritt getan, um gemeinsam Fortschritte zu erzielen. Damit würde auch der Ehrgeiz der einzelnen Verantwortlichen in den Städten, Gemeinden, Kantonen und Bundesämtern gebrochen, die jeweils das Rad neu erfinden wollen. Der gezielte Einsatz von Standardsoftware würde mithin Mittel freisetzen, die der Bewirtschaftung und der Interaktionsfähigkeit der einzelnen Portale beziehungsweise Webseiten zugute käme. Seit Napoleons zukunftsweisenden Umstrukturierungen in unserem Land wurde in der Schweiz sehr wenig vereinheitlicht. Jeder Kanton hat andere Modelle. Noch immer kann man nicht in allen Kantonen eine Steuererklärung elektronisch ausfüllen. Einfache Formulare müssen via Post zugestellt werden. E-Mail Adressen von Ämtern und Dienststellen sind nicht öffentlich.






Auch die Dienste des Bundes schneiden nicht unbedingt besser ab. Noch immer haben einige Bun-
desämter und Kantone keine
E-Government-Strategien. Mit dem Internetangebot entsprechen die Behörden nicht den Bedürfnissen
der Bevölkerung. Dabei wären Schweizerinnen und Schweizer durchaus gewillt, den Behördenverkehr vermehrt über das Internet abzuwickeln. An erster Stelle stünden gemäss einer Untersuchung der Berner Fachhochschule und Unisys dabei An- und Abmeldung beim Umzug, weiter die Bestätigung des Wohnsitzes, An- und Abmeldung von Fahrzeugen, Änderung des Führerscheins sowie das Abstimmen und Wählen. Verbreitet ist auch der Wunsch, die Steuererklärung online auszufüllen zu können.
Ein weiterer Grund für den tiefen Umsetzungsgrad im IT-Bereich ist der vorherrschende Spardruck in den Verwaltungen. Der Wille, für neue Projekte Geld bereitzustellen, ist kaum vorhanden. Solange im nationalen Parlament rund zehn Mal mehr Bauern- als IT-Vertreter sitzen, wird sich das politische Gewicht kaum rasch verändern.


Druck ausüben

Fakt ist also: Die Schweiz belegt laut diversen internationalen Studien letzte Plätze beim Bürgerservice durch Informationstechnologie. Dies ist die harte Realität. Der Chef des Informatikstrategieorgans des Bundes, Jürg Römer, hat den Rückstand der Schweiz kürzlich auf fünf Jahre veranschlagt.
Fakt ist auch: Die Wertschöpfung der neuen Technologien ist für die Schweiz von grosser Bedeutung. Ein Beispiel: Die rund 12'000 selbständigen Softwarefirmen der Schweiz sind ein bedeutendes Element der Schweizer Wirtschaft geworden. Sie leisten mit ihrem überdurchschnittlichen Wachstum und einem jährlichen Umsatz von 25 Milliarden Franken einen wichtigen Beitrag zur schweizerischen Bruttowertschöpfung. Sie erwirtschaften damit bereits einen Fünftel des Umsatzes des Finanzsektors. Wenn die lokalen ICT-Unternehmer einen derart grossen Teil zu unserer Volkswirtschaft beitragen, ist dies ein klares Indiz dafür, dass die Menschen Informations- und Kommunikationstechnologie wollen und begrüssen, weil sie ihnen das Leben erleichtert. Deshalb ist auch E-Government klar ein Wirtschaftsfaktor. IT und E-Government sind zudem für eine moderne Wissensgesellschaft von grösster Bedeutung.





Was es jetzt braucht, ist Druck seitens der Wirtschaft, aber auch der Bürgerinnen und Bürger, die von der Verwaltung zu Recht effiziente Abläufe und Zugang zu amtlichen Dienstleistungen – namentlich Transaktionen – mittels moderner Kommunikationsmittel verlangen. Gefragt sind jetzt Leadership und die Verständigung auf ein gemeinsames, flächendeckendes Vorgehen. Statt zahlreiche teure Einzelentwicklungen sind eine gemeinsame Plattform und der vermehrte Einsatz von Standardsoftware vonnöten. Wir brauchen massvolle und wirtschaftliche
Lösungen.






Wenn wir jetzt nichts zur Förderung von E-Government unternehmen, werden wir es über kurz oder lang büssen. E-Government ist heute in der Schweiz kein Standortvorteil, sondern ist im Gegenteil für unser Land aufgrund des Rückstands zu einem Standortnachteil geworden. Wir sind im Hintertreffen – während die schnellebige, zeitorientierte und international operierende Wirtschaft vom Staat Flexibilität, Erreichbarkeit und konkurrenzfähige Leistungen im Vergleich mit unseren Nachbarn und Konkurrenten erwartet. Es ist an der Zeit, dass sowohl die technischen als auch die politischen Verantwortungsträger die Resultate der einschlägigen Studien ernstnehmen, Pläne entwickeln und rasch – aber koordiniert – umsetzen.
Packen wir es an, bevor wir den Anschluss verpassen!


Für einen Mr. oder eine Mrs. E-Government

E-Government ist service publique! Verwaltung und Staat stehen im internationalen Wettbewerb: Wer ungenügendes E-Government bietet, verliert Punkte bei der Standortattraktivität. Ein Grundproblem des ungenügenden E-Government der Schweiz ist mangelnde Koordination, gepaart mit den Ambitionen der in den Kantonen und beim Bund – im Schatten des öffentlichen und des politischen Interesses – operierenden lokalen, regionalen und departementalen ICT-Fürsten.
Ich fordere deshalb eine(n) nationale(n) Mr. oder Mrs.
E-Government. Nicht jede Organi-sationseinheit muss das Rad neu erfinden. Warum sollen die 2756 Gemeinden und die 26 Kantone
der Schweiz jeweils eigene
Lösungen entwickeln, wenn kostengünstigere und weniger unterhaltsaufwendige Standardsoftware eingesetzt werden kann? Es braucht eine neue Bescheidenheit bei der Suche nach Lö-
sungen: Konfektion statt Massanzug.


Die Autorin

Kathy Riklin ist CVP-Nationalrätin aus Zürich und Vorstandsmitglied des Branchenverbands SwissICT.




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