Die Angst vor dem Werkvertrag
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/14
Wenn Lieferanten
mit ihren Kunden um die juristische Besiegelung von IT-Projekten feilschen, ist nebst der Haftungsbeschränkung kaum ein Thema so hart umkämpft wie die Frage, ob auf das Vertragsverhältnis das Auftrags- oder das Werkvertragsrecht Anwendung finden soll. Wer schon mit IT-Providern Projekt- oder Outsourcing-Verträge verhandelt hat, weiss, dass viele von ihnen Werkverträge scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Auf den ersten Blick ist klar warum: Während beim Auftrag dem Kunden nur ein Tätigwerden versprochen wird und der Kunde kein kostenloses Nachbesserungsrecht hat, verpflichtet sich der Provider beim Werkvertrag von vornherein, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Doch ist dies für den Provider tatsächlich riskanter, wie viele von ihnen glauben?
Wer etwas eingehender die Rechtslage studiert, stellt rasch fest, dass das Schweizerische Auftragsrecht für einen IT-Provider keineswegs günstiger sein muss. So verpflichtet er sich zwar nicht, ein bestimmtes Werk abzuliefern, doch für seine Arbeit bleibt er voll und ganz verantwortlich. Gerade für professionelle Anbieter gelten oft so strenge Sorgfaltsmassstäbe, dass es im Falle von Pannen meist einfach ist, diese (auch) auf Versäumnisse des Providers zurückzuführen, und er daher haften muss – auch ohne Werkvertrag. Und während beim Werkvertrag der Lieferant nur während einer meist relativ kurzen Zeit für etwaige versteckte Mängel seines Werks einstehen muss – das Gesetz sieht 12 Monate vor, häufig einigen sich die Parteien auf weniger –, kann der Kunde im Falle eines Auftrags während zehn Jahren auf den Provider zurückgreifen.
Was viele Provider dabei aber meist noch schmerzlicher trifft, ist der Umstand, dass es im Auftragsrecht keine Abnahme gibt. Die Leistung muss dem Kunden zwar erbracht werden, doch ist dieser in keiner Weise verpflichtet, deren Korrektheit zu bestätigen. Beim Werkvertrag ist dies anders: Der Provider muss nur für jene erkennbaren Mängel einstehen, die der Kunde im Rahmen der Abnahme reklamiert hat. Moniert er einen erkennbaren Mangel im Rahmen der Abnahme nicht, hat er seine diesbezüglichen Mängelrechte verwirkt. Das kann bedeuten, dass ein Provider im Falle eines grösseren Auftrags Gewährleistungsreserven bilden muss und diese überdies nicht schon nach einem Jahr, sondern schlimmstenfalls erst nach zehn Jahren auflösen kann.
Der Ruf des Werkvertrags ist somit sehr viel schlechter, als er aus rechtlicher Sicht eines IT-Lieferanten in Tat und Wahrheit sein müsste. Viel entscheidender für die Frage, wofür ein Lieferant einstehen muss, ist neben der Frage der Haftung die Leistungsdefinition und der Umfang der Gewährleistung: Die Leistungsdefinition definiert die Erfolgsgarantie des Providers nämlich nicht nur nach unten, sondern begrenzt sie auch nach oben. Will der Kunde beim Werkvertrag vorzeitig aussteigen, so muss er den Provider zudem vollumfänglich schadlos halten, beim Auftrag hingegen führt lediglich die Kündigung zur Unzeit zu einer Schadenersatzpflicht.
In vielen Fällen hat die Diskussion um Auftrag oder Werkvertrag freilich nicht jene Relevanz, die ihr die Parteien gerne zubilligen: Wird in einem Vertrag zwar ausdrücklich von einem «Auftrag» gesprochen, sieht der Vertrag aber lauter werkvertragliche Elemente wie etwa eine Abnahme oder eine Spezifikation der zu erstellenden Arbeitsprodukte vor, wird ein Gericht die «falsche» Bezeichnung des Vertragsdokuments ignorieren und vom Vorliegen eines Werkvertrags ausgehen. Das dürfte bei Verträgen mit IT-Providern ohnehin der häufigste Fall sein. Entgegen der weitverbreiteten Meinung nicht entscheidend ist dabei, ob der Provider für seine Leistung nach Aufwand oder pauschal entschädigt wird. Auch Werkverträge können nach Aufwand vergütet sein.