Traue der Offerte nicht!
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/13
Haben wir noch nie gemacht», sagt der Entwickler. «Meine Leute haben damit schon eine gewisse Erfahrung», sagt der Projektleiter. «Wir haben schon mehrere Projekte auf diesem Gebiet erfolgreich zum Abschluss gebracht», versichert der Sales-Manager und der Chef brüstet sich: «Unsere Organisation entwickelt seit Jahren solche Lösungen und ist darin führend!».
So oder ähnlich tönt es im Vorfeld vieler IT-Projekte, die später in den Sand gesetzt werden. Natürlich gibt es in jedem Projekt einzelne Unsicherheitsfaktoren, die zu Komplikationen führen können, aber die echten Probleme fangen dann an, wenn man eigentlich gar nicht weiss, was man tut, aber doch so tut, als wisse man es. Unter dem massiven Leistungsdruck, der heutzutage in der IT-Branche herrscht, lässt sich so mancher Verkäufer zu Angeboten hinreissen, die weder Hand noch Fuss haben. Letztere zeichnen sich bisweilen dadurch aus, dass sie sehr günstig sind, weil der Anbieter die Komplexität der Aufgabenstellung aufgrund seines mangelnden Wissens auf dem Gebiet falsch einschätzt. Da beim Kunden oft der finanzielle Aspekt an oberster Stelle steht und natürlich auch die Termine eine schnelle Umsetzung verlangen, erscheinen auf den ersten Blick günstige Angebote, in denen keine zeitraubenden Planungs- oder Analysephasen auftauchen, natürlich als besonders attraktiv.
Dabei sind genau die am gefährlichsten!
Suspekt ist schon, wenn ein Anbieter im Vorfeld einer umfangreichen Vergabe keine Fragen stellt und auch in seinem Angebot keinerlei Hinweise auf eventuelle Risiken im Projekt zu finden sind. Doch selbst wenn grundsätzlich ein guter Eindruck entsteht, ist Vorsicht geboten. Denn IT-Fachleute sind wie schlaue Handwerker: Sie machen Ihnen ohne weiteres ein günstiges Pauschalangebot, um den Auftrag zu bekommen, nur um Sie dann im Verlauf des Projekts mit zusätzlichen «Regiearbeiten» finanziell auszuhebeln. In jedem Fall haben Sie das Nachsehen und gefährden Ihr Projekt.
Wie sollen Sie nun aber unterscheiden können, ob ein günstiges Angebot nur ein Köder ist, ob es aufgrund mangelnder Kompetenz zustande gekommen ist, oder ob es vielleicht tatsächlich günstiger ist als alle anderen? Angenommen, Sie sind nicht der unfehlbare Visionär, der sämtliche Details bereits im Voraus kennt und daraus ein Pflichtenheft erstellt, das keine Frage offen lässt, würde ich meinen potentiellen Anbieter bewusst über gewisse Punkte im Unklaren lassen, um zu sehen, wie er darauf reagiert. Wer dann keine Fragen stellt oder zumindest seine Annahmen genau ausführt, scheidet aus. Überlegen Sie sich, welche Risiken Sie selber im Projekt sehen und kontrollieren Sie, ob der Offertensteller diese auch sieht oder Sie vielleicht auf andere Risiken aufmerksam macht. Schliesslich holen Sie sich ja einen Partner ins Haus, weil Sie von seiner Kompetenz profitieren möchten. Ein Schönwetterkapitän hat in Ihrem Projekt nichts zu suchen.
Bleibt noch das Angebot selber: Offeriert der Anbieter nur gerade das, was von ihm verlangt wird, oder komplettiert er Ihre Anforderungen mit ergänzenden Leistungen, an die Sie nicht gedacht haben, obwohl er dadurch teurer wird? Denkt er zum Beispiel daran, einen angemessenen Betrag für Support während der Test- und Einführungsphase zu reservieren? Bietet er Schulung und Dokumentation an? Weist er Projektmanagement- Leistungen wie Meetings, Projektübergabe etc. transparent aus? Baut er eine Reserve für Unvorhergesehenes ein? Im Wissen, dass der Kunde nicht an alle diese Dinge denkt, lassen viele Anbieter sie weg, um sie dann während des Projekts plötzlich in die Runde zu werfen.
Und die Moral von der Geschichte: Traue den Offerten nicht! Mehr ist hier am Ende des Tages oft weniger und mir als Kunde wäre der «Schock» eines umfassenden Angebots lieber als das böse Erwachen mitten im Projekt.