Weiterbildung ist keine Belohnung
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/11
Die Informatik kann sich nicht über zu wenige Herausforderungen beklagen: Die Beachtung verschiedenster neuer Regulatorien, der vermeintliche Zwang zur Verselbständigung, der Ruf nach Flexibilisierung der Unterstützung sich ändernder fachlicher Anforderungen und ein globalisiertes Sourcing von Informatik-Vorleistungen erzeugen immer neuen Veränderungsbedarf. Die meisten Veränderungen sind dabei so komplex und umfassend, dass sie weder allein von Technologieprofis noch allein von Businessprofis noch allein von «Change»-Profis verstanden, konzipiert und geführt werden können. Transformation im Schnittbereich von Fachlichkeit, IT und Führung ist eine interdisziplinäre Qualifikation, die nach einer soliden, disziplinären Grundausbildung meist erst im Laufe vieler Jahre erarbeitet werden kann. Oft erfahren der Technologiespezialist erst durch fehlende Benutzerakzeptanz seiner Systeme, der Businessspezialist erst durch sein zu wenig fundiertes Verständnis von Technologie und der «Change»-Spezialist erst durch ungenügende Systematisierung und Strukturierung in Grossprojekten ihre Grenzen – mit der Folge eines tieferen Verständnisses für Interdisziplinarität und Teamarbeit. Wenn keine Zeit ist, die Defizite in der Projektarbeit auszugleichen, entsteht Bedarf für gezielte interdisziplinäre Weiterbildung.
Es gibt aber nur wenige ambitionierte, nicht gewinnorientierte Weiterbildungsprogramme und noch weniger, die interdisziplinäre Gebiete wie Transformationsmanagement adressieren, das so unterschiedliche Gebiete wie Unternehmenspolitik, Projektführung, Innovationsmanagement, Business Engeneering und Psychologie in der Veränderung umfasst. Man würde angesichts des geringen Angebots und der ökonomischen Notwendigkeit für gut gemachte Programme lange Wartezeiten und hohe Selektivität erwarten.
Das Gegenteil ist der Fall. Der Grund: Die Unternehmen legen sich quer. Während des Hypes konnten Interessenten noch mit der weitgehenden Übernahme ihrer Studiengebühren, Spesen und Fehlzeiten durch den Arbeitgeber rechnen. Selbst wenn dies in Form eines Darlehens geschah, waren Headhunter und Unternehmen auf der Suche nach Profi-Veränderern gerne bereit, diese Aufwendungen zu ersetzen. Ganz anders heute: Die Mehrzahl der sich Weiterbildenden muss Gebühren und Spesen aus eigener Tasche bezahlen. Kürzlich untersagte es ein Schweizer Grossunternehmen einem Interessenten sogar, über die private Zahlung aller Kosten hinaus den Beschäftigungsgrad zu reduzieren, um so auch noch den über den Urlaubsanspruch hinausgehenden Fehlzeitenumfang selber zu finanzieren.
Was lernen wir daraus? Weiterbildung scheint in Wachstumszeiten von vielen Unternehmen als Belohnung zum Halten wichtiger Mitarbeiter instrumentalisiert zu werden, die bei Verdüsterung der Lage sofort massiv reduziert werden kann. Dabei ist doch gerade das Gegenteil notwendig: Wenn in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Veränderungen notwendig sind, werden seriös ausgebildete und motivierte Veränderungsspezialisten zum wichtigsten Erfolgsfaktor. Wenn auf der anderen Seite alles gut läuft und das Stellenangebot gross ist, ist gerade Weiterbildung keine Belohnung, die für ein paar Quartale zufrieden stellen kann. Wem nämlich neue Perspektiven eröffnet werden, der sucht sich bei Gelegenheit eine neue Herausforderung, um das Gelernte anzuwenden.