Editorial

Die Verantwortlichkeit für das Internet wird zum Sesseltanz


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/10

     

Gegen staatliche Zensur hat sich «das Internet» bisher recht gut behaupten können. Zwar sind auch in der Schweiz immer wieder Forderungen laut geworden, der Zugang zu gewissen Inhalten im World Wide Web sei zu sperren. Durchgesetzt haben sie sich bisher aber nicht. Im Gegenteil: Der Bundesrat will in einem neuen Strafrechtsartikel, dessen Vernehmlassung Ende April abgeschlossen wurde, ausdrücklich festhalten, dass Access-Provider für fremde Inhalte aus dem Internet nicht verantwortlich sind.





Für diesen Schritt gibt es zwei Gründe: Strafbare Inhalte im Internet könnten zwar nicht mehr genutzt werden, wenn es keine Access-Provider gäbe. Wer jedoch lediglich den Zugang zum Netz als solches gewährt, ist von der Straftat im übertragenen Sinne viel zu weit weg, als dass sein Verhalten als strafwürdig erachtet werden kann. Anders gesagt: Wenn ein Provider den Zugang zum Internet verschafft, dann erbringt er eine Leistung, die wir alle von ihm erwarten. Der zweite Grund ist etwas handfester: Der Access-Provider, so heisst es seit Jahren, ist technisch gar nicht in der Lage, alle illegalen Inhalte im Internet herauszufiltern; er ist ja lediglich wie die Post ein Datentransporteur. Würde ein Filtern von ihm verlangt, wäre er mehr mit Filtern als mit dem Betreiben eines Webzugangs beschäftigt.
Solche Überlegungen haben in vielen Ländern zu gesetzlichen Haftungsbefreiungen von Access-Providern geführt, und zwar vollkommen zu Recht. Access-Provider dürfen nicht zu Sündenböcken für Straftaten anderer gemacht werden. Doch wie lange wird dieses Argument den Gesetzgeber überzeugen? Die Technik entwickelt sich weiter und damit auch die Möglichkeiten, mittels Filtern Inhalte nicht nur an ihrer Quelle zu sperren. Die Musik- und
Filmindustrie verlangt solches schon lange.






Pikanterweise sind es die Provider selbst, die vorführen, dass sie solche Forderungen in nicht allzu ferner Zukunft erfüllen könnten. Praktisches Beispiel hierfür sind die schwarzen Listen mit bekannten Absendern von Spammern. Viele Provider und andere Betreiber von Mail-Servern blockieren heute den Empfang von E-Mails bestimmter IP-Adressen. Die Angaben erhalten sie von privaten Stellen, die die Listen auf dem laufenden halten. Unternehmen, die schon einmal unberechtigterweise auf einer solchen Liste gelandet sind, wissen, was das bedeutet: Ein grosser Teil ihrer E-Mails wird nicht mehr zugestellt. Obwohl solche Listen einem Unternehmen
erheblichen Schaden zufügen können, finden sie wachsenden Zuspruch.





Auch auf politischer Ebene winken Provider
leider – wohl unbewusst – mit dem Zaunpfahl: So verlangten namhafte Schweizer Anbieter in der
eingangs erwähnten Vernehmlassung, auch die
Hosting-Provider müssten ganz aus der Verantwortung entlassen werden. Illegale Inhalte könnten viel besser durch Sperrung der entsprechenden Adressierungselemente – das sind Domain-Namen und IP-Adressen – aus dem Netz verbannt werden. Was auf den ersten Blick als Patentrezept erscheint, ist bei näherem Blick aber genau das, was vermieden werden sollte: eine staatliche Kontrolle der Internetzugänge. Domain-Namen lassen sich zwar in der Tat zentral sperren, doch ist dies hierzulande nur für «ch»-Domains möglich, es wirkt nicht immer sofort, und die Inhalte bleiben weiterhin via IP-Adresse abrufbar. Letzteres könnte auch nur durch eine Sperre der IP-Adresse verhindert werden. Technisch bedeutet das aber, dass illegale Inhalte nicht mehr an der Quelle beim Hosting-Provider, sondern beim Empfänger gestoppt werden müssten. So wären die Access-Provider wieder in der Verantwortung, und die Zeiten des freien Internet-Zugangs wären vorbei.




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