Kräftemessen im Dokumentenmanagement

Früh oder spät scannen? Massen- oder Individualkorrespondenz ablegen? Die Anwendungsmöglichkeiten von Dokumentenmanagement-Systemen sind so vielfältig wie der DMS-Markt selbst.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/08

     

«Wer zuletzt rationalisiert, der verliert.» Nach diesem Motto haben viele Unternehmen seit Jahren ein
System zur optischen Archivierung, auch als Dokumentenmanagement-System (DMS) bekannt, im Einsatz. Es stellt sich die Frage, ob die damit angepeilten Vorteile und Einsparungspotentiale tatsächlich realisiert
werden.


Kennzahlen zeigen Nutzen auf

Aus der klassischen Papierbearbeitung lassen sich typische Kennzahlen ermitteln. Im Vergleich mit den entsprechenden Werten der elektronischen Unterlagennutzung lassen sich qualitative Vorteile und Sparmöglichkeiten von DMS-Lösungen bestimmen.
Die konventionelle Arbeit mit Papier bedeutet eine Zugriffszeit von 2 bis 4 Minuten für Suchen, Verwenden und Wiederablage eines Dokuments, sofern dieses nahe am Arbeitsplatz verfügbar ist. Für Unterlagen, die durch Arbeitsgruppen verwendet werden, ergeben sich in der Praxis Zugriffszeiten von 7 bis 12 Minuten. Wenn Akten aus dem Archiv benötigt werden, vergehen zwischen der Aktenanforderung und der Vorlage am Arbeitsplatz über vier Stunden.
In einem Extremfall vergingen sogar mehr als zwei Tage, bis die Unterlagen zur Verfügung standen: Manchmal stellen die Anforderer der Akten gemäss dem Motto «doppelt genäht hält besser» die gleiche Anfrage nach einer gewissen Zeit nochmals, so dass im Archiv eine zweite Suche beginnt – dann jedoch erfolglos, da die Akte bereits vergriffen ist.


Kompliziertes Papierhandling

Zu den alltäglichen Schwierigkeiten im Papierverkehr gehören vergriffene Dokumente, zusätzliche Kopien bei parallelen Bearbeitungswegen und damit verbunden unterschiedliche Notizen und Versionen auf dem eigentlich gleichen Dokument. Das Resultat: Für Tätigkeiten wie Suche und Ablage fällt viel unnötiger Aufwand an. Im Vordergrund sollte angesichts hoher Personalkosten aber die eigentliche Sachbearbeitung und nicht das Handling von Dokumenten, Akten und Ordnern stehen.
Ein weiterer Aspekt, der Verlust oder das Nicht-Wieder-Auffinden von Unterlagen, sei am Rande bemerkt – er kann zwar nicht mit hoher Genauigkeit gemessen werden, zeigt aber klare Vorteile elektronischer Archive auf, wie eine empirische Untersuchung von der University of Washington ergibt: Über die Hälfte der befragten Personen vermisst einmal pro Woche ein Papierdokument und findet es nicht wieder. Bei elektronischen Dokumenten beträgt die Quote 17 Prozent. Durch einen systematischen Einsatz von Schlagwörtern, der bei Dokumentenmanagement- und Archivsystemen ohnehin notwendig ist, lässt sich diese Quote weiter reduzieren.


Früh oder spät scannen?

Der Markt bietet eine enorme Vielfalt von Dokumentenmanagement- und Archivsystemen. Welches Produkt im konkreten Fall geeignet ist, hängt von verschiedenen fachlichen und technischen Faktoren beim Anwender ab. Auch die Art, wie das System eingeführt werden soll, spielt bei der Evaluation eine entscheidende Rolle. Je nach Präferenz kann ein DMS zunächst abteilungsweit oder gleich unternehmensweit eingeführt werden.
In der Praxis beginnt man oft im kaufmännischen Bereich mit dem Scannen von Eingangsrechnungen. Hier gibt es zwei Alternativen:



Beim «frühen Scannen» werden die Unterlagen bereits am Posteingang gescannt und den Abteilungen und Sachbearbeitern elektronisch zugestellt. Die gesamte Sachbearbeitung erfolgt digital.



Beim «späten Scannen» werden die Unterlagen wie gewohnt per Hauspost verteilt, und mit Hilfe der Papierunterlagen erfolgt auch die Sachbearbeitung. Vor der Ablage des Dokumentes wird es mit Schlagworten beziehungsweise Indizes versehen und dann gescannt. Die weitere Recherche erfolgt über das Archivsystem.
Das frühe Scannen beschleunigt die Prozesse und eliminiert manuelle Tätigkeiten. Damit entsteht ein hohes Wirtschaftlichkeitspotential, denn der primäre Nutzen ergibt sich aus der elektronisch gestützten Sachbearbeitung. Neue Tätigkeiten fallen dagegen beim Sortieren, Scannen und Qualitätssichern der Dokumente an. Dies gilt auch für das späte Scannen – allerdings gibt es hier kaum noch Rationalisierungsmöglichkeiten, da die manuelle Vorgangsbearbeitung bereits abgeschlossen ist. Das DMS dient beim späten Scannen nur für Recherchen nach bereits erledigten Vorgängen.
Das frühe Scannen lässt sich weiter optimieren: Soweit es die Dokumentenmengen und -strukturen erlauben, können mittels Formularerkennung und Dokumentenklassifizierung die Daten von Eingangsrechnungen automatisch extrahiert und dem ERP-System zur Verfügung gestellt werden. Die manuelle Datenerfassung entfällt damit zugunsten der Datenüberprüfung.


Elektronische Ablage am Postausgang

Ausgangsdokumente, die in grösserer Menge erzeugt werden, werden selbstverständlich nicht nach dem Drucken gescannt, sondern mittels COLD-Komponenten direkt elektronisch in das DMS übertragen. Das COLD-Modul extrahiert aus den Dokumenten-Spooldaten die Indexbegriffe und trennt die verschiedenen Dokumente voneinander, damit diese in die passende Kundenakte abgelegt werden können.
Dieses gängige Verfahren kann unabhängig vom frühen oder späten Scannen am Posteingang eingesetzt werden: Je mehr Dokumente der Anwender im System findet, desto schneller wird er es akzeptieren und in der täglichen Arbeit auch wirklich nutzen.


Bearbeitung und Ablage von Individualschriftverkehr

Im Verkehr mit den Geschäftspartnern entstehen nicht bloss Rechnungen und andere Standard-Dokumente aus dem ERP-System, sondern auch individuelle Korrespondenz, die im allgemeinen mit dem Textprogramm einer Office-Produktsuite erstellt wird. Auch diese Dokumente sollten im DMS archiviert werden. Die Vorlagen für solche Dokumente werden dazu mit indexrelevanten Feldern ergänzt; der Anwender kann diese Vorlagen aus der Akte im DMS erstellen oder ausgehend von der Office-Anwendung in die Akte des DMS übertragen.




In den meisten Unternehmen ist ein mehrstufiges Genehmigungsverfahren Pflicht, und es gilt das Vier-Augen-Prinzip. Das DMS sollte dazu Funktionen für Freigabe-Workflows und Versionsverwaltung bieten. Nach der Freigabe werden die Dokumente im Originalformat sowie als TIFF-Datei für die Langzeitarchivierung abgelegt.
Die Anwendungsbeispiele lassen sich beliebig fortsetzen, und zu konkreten Systembeispielen können auch passende Anbieter genannt werden. Das Business Application Research Center BARC bietet in einer DMS-Studie eine systematische Aufstellung von 14 DMS-Lösungen an. Die Studie enthält neben ausführlichen Beschreibungen auf Basis von Labortests auch eine anschauliche Darstellung der Testergebnisse hinsichtlich Architektur und Funktionalität in sogenannten Kiviat-Graphen, die auf einen Blick die Stärken und Schwächen einer bestimmten Lösung in verschiedenen Bereichen aufzeigen. Die gesamte Studie ist für 750 Euro bei BARC erhältlich; auf der Website www.barc.de stehen Inhaltsverzeichnis und Einführung frei zur Verfügung.





DMS im Vergleich


Der Autor

Dr. Dietmar Weiss ist DMS-Analyst bei BARC. Er ist Mitautor der erwähnten BARC-Studie.




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