Strategisch: NetWare für Linux

Mit dem Open Enterprise Server kombiniert Novell seine klassischen Stärken mit Linux als Betriebssystem zu einem interessanten Angebot.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/07

     

Novell hat sich seit einiger Zeit Linux auf die Fahnen geschrieben. Das hat sich vor allem bei der Übernahme von Ximian als einem führenden Anbieter für Systemmanagement-Lösungen im Linux-Umfeld und natürlich von Suse als eine der grössten Distributionen gezeigt. Novell verfolgt mit diesen Akquisitionen zwei Ziele. Zum einen möchte man vom wachsenden Linux-Markt profitieren. Zum anderen soll die strategische Positionierung als Infrastruktur-Lieferant für heterogene Umgebungen durch eine starke Linux-Unterstützung untermauert werden. Nicht so offen ausgesprochen wird, dass eine Portierung von NetWare-Funktionen auf Linux auch dem langsam bröckelnden NetWare-Markt helfen soll, indem den Kunden eine strategische Option geboten wird.


Nachfolger der NNLS

Mit den Novell Nterprise Linux Services (NNLS) hat Novell bereits 2003 eine erste Portierung vieler Dienste auf Linux vorgestellt. Das fiel dem Unternehmen auch nicht allzu schwer, da man bereits wesentlich früher mit der Entkopplung wichtiger Dienste von der NetWare begonnen hatte. Besonders deutlich wird das beim eDirectory, dem Verzeichnisdienst von Novell. Ursprünglich Ende der 80er Jahre als NDS (NetWare Directory Services) vorgestellt, wurden aus diesem im Laufe der Zeit die NDS (Novell Directory Services) und schliesslich das eDirectory. Zunächst gab es Schnittstellen von anderen Plattformen wie NT zu NetWare-Servern mit den NDS, denen später Portierungen der NDS auf andere Betriebssysteme folgten, wobei zunächst immer noch mindestens ein NetWare-Server pro Verzeichnisbaum benötigt wurde. Zeitgleich zur Umbenennung in eDirectory wurde diese Restriktion aufgehoben. Nun kann das eDirectory auch völlig ohne NetWare beispielsweise nur auf Windows oder Linux betrieben werden.







Neuere Dienste wurden von Novell bereits plattformunabhängig entwickelt. Das gilt für den Novell iFolder, einen Netzwerk-Client für den Zugriff auf Serverdaten. Die NNLS beschränkten sich in ihrer Funktion auf das eDirectory und Anwendungen, die Novell schon für eine Nutzung auf verschiedenen Plattformen entwickelt hatte. Einige Funktionen wie die NSS (Novell Storage Services) und die Cluster-Dienste fehlten aber noch. Mit dem Open Enterprise Server (OES) schliesst Novell diese Lücke. Der OES ist ein SuSE Linux Enterprise Server (SLES) Version 9 mit einer umfassenden Portierung von NetWare-Diensten.


Verzeichnis, Dateisystem und mehr

Besonders erwähnenswert sind bei der Portierung die Verfügbarkeit der NSS und der Cluster-Dienste, aber auch die Integration vieler Funktionen in die Oberfläche. Die NNLS konnten ausschliesslich über die Befehlszeile administriert werden. Das hat sich beim OES geändert. Die spezifischen Novell-Dienste sind voll in Anwendungen wie YaST eingebunden, wodurch ihre Basiskonfiguration wesentlich erleichtert wird.




Die meisten Verwaltungsschritte erfolgen aber über externe, browserbasierende Anwendungen wie den Novell iManager für die eDirectory-Administration und den Novell Remote Manager (NRM), der nun auch Linux unterstützt und folgerichtig eben nicht mehr NetWare Remote Manager heisst.
Damit erfüllt Novell sein Versprechen, dass die Enterprise-Dienste der NetWare in den klassischen Domänen (Verzeichnisdienste, Dateidienste und Druckdienste) auch für Linux zur Verfügung stehen. Besonders wichtig sind die NSS als sehr effizientes und sicheres Dateisystem, das eng in die Sicherheitskonzepte des eDirectory integriert ist. Als Teil der Portierung hat Novell auch einen NCP-Server für Linux entwickelt. NCP steht für NetWare Core Protocol und ist mit Protokollen wie SMB/CIFS (Server Message Blocks/Common Internet File System) vergleichbar, die auf Anwendungsebene für die Kommunikation zwischen Clients und (File-)Servern verwendet werden. Die Portierung von NCP bedeutet, dass die NSS nicht nur technisch unterstützt werden, sondern dass der Zugriff auf die NSS neben dem «Umweg» über Anwendungen wie Samba und damit eben SMB/CIFS oder alternativ NFS auch von
Clients mit NCP-Unterstützung erfolgen kann. Auch wenn Novell sich immer mehr von den proprietären Novell-Clients verabschiedet, gibt es mit dem OES eine neue Version eben dieses Clients.






Novell ist bei der Implementierung der OES so weit gegangen, dass durch die Unterstützung der Novell Cluster Services sowohl auf NetWare als auch auf Linux gemischte Cluster aufgebaut werden können, bei denen ein Knoten mit NetWare und ein anderer mit dem SLES als Basisbetriebssystem betrieben wird. Da diese Cluster vor allem auf das Failover von Print- und Dateidiensten abzielen und mit der NSS und iPrint entsprechende Dienste angeboten werden, ist ein solcher Ansatz durchaus vorstellbar. In der Praxis dürfte dies aber, schon aufgrund der administrativen Herausforderung, unterschiedliche Betriebssysteme auf Knoten im gleichen Cluster zu verwalten, kaum genutzt werden.


Die Lücken

Novell behauptet gerne, dass der OES nahezu funktionsgleich mit der NetWare ist, auch wenn der Linux-Kernel verwendet wird. Das stimmt allerdings nicht ganz. Es gibt auch bei den wichtigen NetWare-Diensten Funktionen, die noch nicht portiert wurden. An erster Stelle sind die Archive and Version Services des NSS zu nennen. Diese Dienste wurden erst mit der NetWare 6.5 eingeführt und waren ab dem Support Pack 2 auch wirklich lauffähig. Sie fehlen bei der Linux-Variante des OES noch. Ein anderes Beispiel ist die AFP-Unterstützung und generell die Implementierung der NFAP (Native File Access Protocols). Während bei NetWare auch das Apple-Protokoll nativ unterstützt wird, muss beim SLES darauf verzichtet werden. Und für den Zugriff über CIFS/SMB muss man den Weg über Samba gehen, was zwar eine gewisse Logik besitzt, aber den Nachteil eines weiteren zu verwaltenden Systems mit sich bringt. Auch NSure Audit, das zentrale Event-Management von Novell, wird auf Linux noch nicht unterstützt.



Insgesamt gesehen ist die Portierung aber sehr umfassend, so dass man in der Tat die Funktionen, die ein NetWare-Server schon lange bietet, nun auch in gleicher Weise unter Linux bereitstellen kann. Dass NetWare davon auch profitiert, überrascht nicht. Zwar wird der OES nicht, wie einst angekündigt, mit NetWare 7 ausgeliefert, sondern nur mit NetWare 6.5 Support Pack 3. Dort gibt es aber erweiterte Befehlszeilenfunktionen und zumindest eine rudimentäre Nutzung von RPMs, dem Standard-Paketformat von Linux.


Was sich dennoch ändert…

Auch wenn man auf der Ebene der Dienste eine erfreuliche Übereinstimmung zwischen NetWare und SLES erreicht hat, wird man nicht einfach so von einer Betriebssystemplattform auf die andere umstellen. Beide Plattformen haben zwar ihre Stärken: NetWare ist für den Betrieb von Datei- und Druckdiensten eine sehr effiziente Basis. Linux bietet viel mehr Flexibilität, wenn es um die Ausführung von Anwendungsdiensten geht. Viel wichtiger ist aber, dass zwar die Administration auf der Ebene eines iManager oder eines NRM weitgehend identisch ist, sich die darunter liegenden Betriebssysteme aber immer noch deutlich unterscheiden. Ein erfahrener NetWare-Administrator muss sich für die Umstellung des OES auf Linux immer noch zum Linux-Experten qualifizieren. Ebenso müsste ein Linux-Profi einiges über NetWare lernen, um den OES auf dieser Plattform optimal betreiben zu können. Insofern wird die Migration vom einen zum anderen System in der Praxis eher langsam vonstatten gehen. Wer den OES auf Linux installiert, führt eben eine Linux-Installation durch, in deren Rahmen auch einige OES-spezifischen Dienste eingerichtet werden. Die Einrichtung auf NetWare bleibt dagegen eine klassische NetWare-Installation.






Sehr positiv zu bewerten ist, dass es erstaunlich wenige spezielle Aspekte gibt, auf die geachtet werden muss. Natürlich muss das LUM (Linux User Management) eingerichtet werden, um alle Funktionen der NSS nutzen zu können. Das LUM stellt die Verbindung zwischen den nativen Ansätzen für das Benutzermanagement auf Linux und dem eDirectory her. Aber selbst komplexe Herausforderungen wie die Migration von NSS-Strukturen von NetWare- auf Linux-Server wurden adressiert.


Enterprise-Dienste für Linux

Mit dem OES hat Novell seine Position definitiv gestärkt. Es gibt eine strategische Option für die bisherigen NetWare-Kunden, die bei Bedarf auf Linux umsteigen können, das aber nicht müssen. Für Linux-User werden mit dem OES gleichzeitig bewährte Dienste auf Enterprise-IT-Level angeboten, vor allem im Bereich von Verzeichnisdiensten sowie den Datei- und Druckdiensten. Hier bietet der OES im Vergleich zum «nackten» SLES klare Vorteile. Ausserdem kommt der OES mit einem attraktiven Lizenzmodell, das einen jederzeitigen Wechsel zwischen den Kerneln ermöglicht.
Eine nähere Betrachtung des OES lohnt sich auch für eingefleischte NetWare-Nutzer. Aber auch die Linux-Version sollte für den produktiven Betrieb insbesondere von Verzeichnisdiensten sowie File- und Print-Diensten evaluiert werden. Novell hat hier durch die Kombination seiner klassischen Stärken mit Linux als Betriebssystem ein sehr interessantes Angebot geschaffen.




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