Editorial

«Form follows Function»: Auch für E-Government!


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/07

     

Vor Jahrzehnten haben die Industriedesigner erkannt, dass ihre Produkte primär praktisch und nützlich sein müssen. Die gute Form ist dann daraus abzuleiten: Stühle zum Sitzen, Lampen zum Leuchten, Autos zum Fahren. Leider wird dieses Prinzip in der Informatik noch längst nicht überall befolgt. Beispiel «E-Government».
So titelt Beat Hochuli in der Ausgabe 5/2005 von InfoWeek seinen Leitartikel «Wir haben kein E-Government!». Sein Bericht über Gemeinde-Informatiklösungen an den Berner Technologietagen 2005 bestätigt die bekannte Tatsache, dass wir in der Schweiz für 2800 Gemeinden in 26 Kantonen eine Vielzahl von Informatiklösungen entwickeln, einsetzen und anschliessend auch warten. Beat Hochuli aber wünscht sich «eine für alle Bürger benutzerfreundliche und einheitliche Behördenplattform mit möglichst breitem Funktionsumfang». Auf der gleichen Seite der Ausgabe 5 fragt Jürg Römer, Informatikstratege des Bundes: «E-Government – läutet das Totenglöcklein des Föderalismus?» Amr Huber, der Verantwortliche für die Behördenplattform www.ch.ch
, möchte diese zwar redimensionieren, aber dennoch als «System für alle» weiterführen.





Als Ideal für das E-Government in der Schweiz wird hier offenbar ein einheitliches, zentral geführtes Informatiksystem verstanden. Aber kann eine solch einheitliche Lösung der nun mal föderalistisch aufgebauten öffentlichen Verwaltung der Schweiz überhaupt gerecht werden? Womöglich gar besser als die heutige Vielfalt? Da höre ich schon das Gegenargument: Nicht aus Sicht der Verwaltungen sei das Einheitssystem zu fordern, sondern aus Sicht der Bürgerschaft als Nutzer und Steuerzahler, die diesen Wildwuchs nicht verstehe.






Interessanterweise nennt die gleiche Seite von InfoWeek 5/2005 auch Wünsche der Bürgerschaft gegenüber dem E-Government: «Information einholen» (66%), Steuererklärung ausfüllen (32%), elektronisch stimmen und wählen (67%), online An- und Abmelden beim Zügeln (75%). Schön! Information einholen läuft inzwischen bereits vielerorts bestens über das WWW und braucht kein zentrales System. Steuererklärungen sind bereits heute die bei weitem wichtigste Informatikanwendung, bei der Bürger selbst Daten eingeben, allerdings gemäss
26 kantonalen Steuergesetzen. Problematischer sind die beiden nächsten Wünsche. Die elektronische Stimmabgabe ist (noch) nicht konkurrenzfähig mit der heutigen Briefwahl (Zeitaufwand für Stimmende, Zuverlässigkeit, Nachprüfbarkeit usw.) Und das online An- und Abmelden beim Zügeln? Dieses scheiterte bisher nicht an der Informatik, sondern am Fehlen geregelter Datenflüsse zwischen den Gemeinden, u.a. auch wegen falsch verstandenem Datenschutz.





Soeben kam die erfreuliche Meldung aus Bern, dass der Bund auf sein zentralistisches Projekt «Guichet virtuel» verzichtet. Effektives
E-Government braucht nämlich in der föderalistischen Schweiz keine Einheits-Informatiksysteme, sondern nur eine bessere Zusammenarbeit der föderalistisch eingesetzten Systeme sowie klare Regeln für die Datenweitergabe und die gemeinsame Datennutzung. Ein recht verstandener Datenschutz für Personendaten muss darunter keineswegs leiden.




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