Mehr Qualität bei Microsoft-Lehrgängen

Mit der Umstellung des Prüfungsverfahrens für das MCP-Programm will Microsoft die praktischen Fähigkeiten fördern. Für viele kommt die Umstellung zu früh.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/06

     

Microsoft will mehr Qualität in seine Ausbildungen bringen. Ab 31. März wird das Prüfungsverfahren für das MCP-Programm (Microsoft Certified Professional) schrittweise verschärft.





MCP ist der Überbegriff der Ausbildungsprogramme von Microsoft. Dabei handelt es sich um eine weltweit gültige Zertifizierung für Spezialisten der Informations- und Telekommunikationstechnologie. Mittlerweile tragen rund 1,7 Millionen beglaubigte Absolventen diesen Titel. Innerhalb des MCP-Programms gibt es verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten im technischen Bereich wie zum Beispiel MCSA (Microsoft Certified Systems Administrator) oder MCSE (Microsoft Certified Systems Engineer).


Von der Theorie zur Praxis

Prüfungskandidaten wurden bisher meist in einem Multiple-Choice-Verfahren getestet. Neu sollen die Absolventen ihre Fähigkeiten in simulierten IT-Umgebungen auch im Praxistest unter Beweis stellen. Das Verfahren soll einerseits dem Kandidaten die Gewissheit geben, dass er nach erfolgreich abgeschlossener MCP-Prüfung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage ist, Probleme systematisch und unter Einbezug aller Aspekte zu lösen. Andererseits sollen dadurch auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöht werden.






Das neue Prüfungsverfahren wird in einer ersten Etappe für MCSE und MCSA in den beiden Prüfungen «Managing and Maintaining a Microsoft Windows Server 2003 Environment» (Examennummer 70–290) und «Implementing, Managing and Maintaining a Microsoft Server 2003 Infrastructure» (70–291) eingeführt. Voraussichtlich bis Juni 2005 kommen die beiden Examen «Planning and Maintaining a Microsoft Windows Server 2003 Network Infrastructure» (70–293) und «Planning, Implementing and Maintaining a Microsoft Windows Server 2003 Active Directory Infrastructure» (70–294) dazu. Somit würden bis Mitte Jahr alle Pflichtexamen für Windows Server 2003 mit dem neuen Verfahren zur Verfügung stehen.


Langfristige Wertsteigerung

Microsoft nennt das neue Verfahren Performance-based Testing. Den wesentlichsten Unterschied zu den bestehenden Prüfungen erklärt Andi Odermatt, Training & Certification Manager von Microsoft: «Während beispielsweise bei NT 4 vielfach Auswendiglernen im Vordergrund stand, konnte die Qualität bei Windows 2000 Server bereits gesteigert werden. Heute will man wirklich die Praxis fördern.» Damit sollen auch Leute angesprochen werden, die bereits in der Praxis tätig sind und beweisen wollen, dass sie über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen.




Die Prüfungen bauen auf konkreten, realistischen Problemen auf, die die Probanden lösen müssen. Bewertet wird, wie nahe der Prüfling an die optimale Lösung herankommt. Microsoft arbeitet dabei mit den unabhängigen Testcentern von Pearson VUE und Thomson Prometric zusammen. Die Kandidaten können sich direkt auf den Websites von VUE (www.vue.com) oder Prometric (www.prometric.com) anmelden und ein Testcenter in der Nähe ihres Wohnorts auswählen. Weltweit stehen insgesamt 6000 zugelassene Prüfungscenter zur Verfügung. Das Ergebnis erhalten die Kandidaten unmittelbar nach absolvierter Prüfung mitgeteilt.





Obwohl man aufgrund der höheren Anforderungen davon ausgehen könnte, dass die Absolventen im neuen Prüfungsverfahren auch neue Zertifikate erhalten, werden keine speziellen oder anders aussehende Diplome ausgestellt. «Es handelt sich nach wie vor um die offizielle Zertifizierung und Credential Card, die ein MCP erhält», sagt Andi Odermatt. Die Examennummer, welche ein Kandidat abgelegt hat, steht auf dem sogenannten Transkript. Dabei handelt es sich um eine Art Examenblatt, das online verfügbar ist. Ob ein Prüfling nun die alte oder die neue Form des Examens abgelegt hat, lässt sich einzig über das Prüfungsdatum eruieren. Der Titel «MCSE für Windows Server 2003» bleibt also der gleiche – ob nun im alten oder im neuen Verfahren erworben. Offen bleibt die Frage, ob dies nun ein Vorteil für die alten oder ein Nachteil für die künftigen Absolventen ist. Microsoft jedenfalls denkt dabei langfristig. «Der Sinn dabei ist es, den Wert im Markt für die Zukunft zu steigern und nicht für den einzelnen im Moment», so Odermatt.


Höhere Durchfallquote

Die Vorbereitung auf die Prüfung überlässt Microsoft den Testkandidaten, wobei das Unternehmen einen seiner rund 20 CPLS-Partner (Microsoft Certified Partner for Learning Solutions) empfiehlt. Diese verfügen über die Originalunterlagen von Microsoft, die sogenannten MOCs (Microsoft Official Curriculum) und die Kursleiter sind technisch sowie didaktisch zertifiziert.





«Die Schulungsunterlagen werden entsprechend angepasst, obwohl sie jetzt schon sehr praktisch orientiert sind», sagt Odermatt. Anderer Meinung ist Annette Fehr, Geschäftsleiterin des CPLS-Partners Microwin: «Bisherige MOCs, die schon länger auf dem Markt sind, beinhalten zwar auch gewisse Fallstudien, haben aber oft einen theoretischen Aufbau.» Fehr zweifelt daran, dass solche Unterlagen, die bisher auf Multiple-Choice-Tests vorbereiteten, für die neuen Prüfungen ausreichen. In gewissen Bereichen, beispielsweise bei Exchange, gebe es jedoch bereits entsprechend angepasste Unterlagen.






Ob die schon länger verfügbaren MOCs, die auf die neuen Bedingungen angepasst sind, bald erscheinen, darüber wurde Microwin noch nicht informiert. Bis es soweit ist, müssen sich die Schulen selber helfen. «Der Trainer muss darauf hinweisen und aus eigenem Engagement die nötige Praxis vermitteln», sagt Fehr. Nur dürfe er dabei nicht vergessen, sich an die MOCs zu halten, wozu er als CPLS ja auch verpflichtet sei. «Die Konsequenzen für die Kursteilnehmer sind nicht absehbar, weil man auch die Prüfungen beziehungsweise die Strategie noch gar nicht kennt», meint Fehr. Problematisch sei es auch, dass sich bisher viele Prüflinge über sogenannte Brain Dumps vorbereitet haben. Dabei handelt es sich um gegenseitig geklaute Prüfungspools, die im Web kursieren. Bis erste Brain Dumps mit simulierten Umgebungen zur Verfügung stünden, brauche es aber eine Zeitspanne von mindestens drei Monaten, sagt Fehr. Möglicherweise gehört dies zur Strategie Microsofts, um dem Vorwurf entgegenzusetzen, die Prüfungen seien zu theoretisch und damit zu einfach.





Fehr kann sich denn auch vorstellen, dass die Durchfallquote am Anfang steigt, ausser bei den Absolventen, die aus der Praxis kommen und das entsprechende Know-how bereits mitbringen. Für den Theoretiker, dem der praktische Background fehlt, werde es aber schwer werden, befürchtet Fehr. Dabei mache der Anteil dieser Gruppe rund die Hälfte aus. Gleicher Meinung ist auch Odermatt: «Ein reiner Theoretiker wird grosse Mühe haben, einen solchen Test zu bestehen.» Ein Praktiker hingegen, der jeden Tag als IT-Professional seine Arbeit mache, werde bessere Chancen haben, zu bestehen.


Mangelnde Informationen

Eine der zentralen Fragen, die im Zusammenhang mit der Umstellung des MCP-Programms auftauchen, ist die, ob der Termin für die Neuerung nicht zu früh angesetzt ist. Denn mit Informationen für die betroffenen Schulen und Kandidaten ist Microsoft bisher sehr sparsam. Hinweise auf das neue Verfahren findet man auch auf der Microsoft-Website nur nach intensiver Suche. «Es ist schade, dass wir nicht ausreichend weiterinformieren können, weil wir selber auch nur wenig wissen», bedauert Annette Fehr. Bisher habe man lediglich eine E-Mail von Microsoft mit wenigen Informationen erhalten.






Auf der anderen Seite ist kontrovers, dass Microsoft die Prüfungsbedingungen verschärft, aber trotzdem möglichst viele MCSEs und MCSAs haben will, was beispielsweise auch eine laufende Zertifizierungs-Kampagne beweist: Bis Ende Mai erhalten Kurzentschlossene verschiedene Benefits.
Die neuen Examen werden sicherlich die Qualität des Microsoft-Siegels steigern, wenn auch zunächst mit einer höheren Durchfallquote gerechnet werden muss. Ausserdem erhalten neu auch Praktiker bessere Chancen, die Prüfung problemlos bestehen zu können. Reine Theoretiker dürften es hingegen schwerer haben. Ob sich das neue System wirklich bewährt, wird die Praxis zeigen.




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