Zerstören Sie diese E-Mail!
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/06
Als ich jüngst meinen E-Mail-Verkehr mit Mandanten unserer Kanzlei, mit Berufskollegen und Behördenstellen etwas analysierte, war ich erstaunt: Rund ein Viertel der Textmenge der Mails - Attachments nicht eingerechnet - entfiel auf Standard-Disclaimer aller Art. Gemeint sind die Hinweise am Ende von E-Mails, wonach zum Beispiel der Inhalt der Mail vertraulich sei, von Unbefugten nicht verwendet werden dürfe oder die Dateianhänge Computerviren enthalten könnten.
Je nach Disclaimer werden dem Empfänger einer Fehlzustellung auch regelrechte Anweisungen erteilt. Mal soll eine Mail umgehend gelöscht, mal der Absender kontaktiert werden. Ich habe auch schon Disclaimer mit der besonders cleveren Aufforderung gesehen, man möge die E-Mail doch retournieren.
Diese Disclaimer sind heutzutage bei weitem nicht nur in E-Mails von Anwälten zu finden. Ihre grosse Zahl lässt unweigerlich die Frage aufkommen, welche rechtliche Wirkung ihnen zukommt. Geben muss es sie in den Augen vieler, denn sonst wären Disclaimer nicht so verbreitet. Die Realität ist allerdings ernüchternd.
Zunächst einmal sind diese Disclaimer für den Empfänger rechtlich unverbindlich. Es gibt aber zwei Ausnahmen: Vielerorts dürfen Behörden die Korrespondenz gewisser Personengruppen wie etwa Anwälten nur unter besonderen Voraussetzungen mitlesen oder verwerten; Disclaimer können in diesem Zusammenhang wichtig sein. Zum anderen können Personen die Rechtswirkung ihrer E-Mail-Disclaimer in einem Vertrag vereinbart haben, so etwa im Rahmen von Vertraulichkeitsklauseln. Das muss jedoch zum Voraus geschehen und deckt den Fehlempfänger eben gerade nicht ab. Wer eine heikle E-Mail versehentlich an eine falsche Person schickt, dem wird ein Disclaimer rechtlich kaum helfen.
Disclaimer können durchaus relevante Angaben enthalten, so etwa Nutzungshinweise bezüglich urheberrechtlich geschützter Inhalte einer E-Mail. Oft aber werden Disclaimer derart inflationär eingesetzt, dass auch solche Wirkungen verpuffen. Eine PR-Firma zum Beispiel, die beim Versand ihrer Pressemitteilungen einen E-Mail-Disclaimer benutzt, wonach die Inhalte ihrer Mails nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt sind, kann ihn nicht ernst meinen.
Rechtlich noch weitgehend ungeklärt sind Aussagen in Disclaimern, die im Hinblick auf Geschäfte abgegeben werden. So gibt es Banken, die in jeder E-Mail darauf hinweisen, dass sie keine Aufträge per E-Mail entgegennehmen. Damit wollen sie sich für den Fall absichern, dass ein Kunde der Bank etwa einen Börsenauftrag erteilt, der - weil per E-Mail erfolgt - nicht ausgeführt wird und zu einem Schaden führt. In diesem Fall wäre es freilich sinnvoller, eine gute und klare Regelung im Vertrag mit dem Kunden sicherzustellen. Eine gewisse autoritative Wirkung wird einem gut formulierten Disclaimer bei Unwissenden aber allemal zukommen. Und so werden sie nach dem Motto "Nützt's nüt, schad's nüt" wohl weiterhin unsere E-Mails zieren.