Kontroverse Office-Strategie
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/05
Endlich hat es Microsoft begriffen: Die neue Bürosuite Office 2003 (so der offizielle Name), die soeben als Beta 2 in die Endtestphase geschickt wurde, unterscheidet sich funktionell wesentlich von den Vorgängern. Statt wie bisher die einzelnen Tools mit unzähligen neuen Features auszustatten, die sowieso kaum jemand braucht, haben sich die Redmonder entschlossen, das Paket mit neuen Applikationen auszustatten, die geradezu nach einem neuen Zielpublikum schreien.
Dabei muss sich Microsoft allerdings vorsehen, dass die Stammkundschaft von der neuen Gangart nicht überfahren wird. Klar, eine neue Office-Version muss dem Anwender funktionell mehr bieten. Immerhin subventioniert Microsofts Goldesel mit seinen fetten Margen die restliche Produktpalette mit.
Aber was will uns Microsoft wirklich sagen? Richtig: Man schlägt eine neue Richtung ein, die auf Offenheit und Teamfähigkeit im Business-Einsatz hindeutet. Was auf den ersten Blick gut gemeint wirkt, dürfte allerdings nicht die ganze Office-Clientel gleichermassen erfreuen. Denn falls Microsoft wirklich versucht, langsam und unauffällig mit Office im Unternehmensbereich noch mehr Marktanteile zu gewinnen, müsste ernsthaft damit gerechnet werden, dass mit dem nächsten Office die totale Offensive gestartet wird.
Was, wenn das künftige Office immer mehr zu einer Plattform für Geschäftssoftware aller Art ausgebaut wird? Die Strategie, alles in eine Suite reinzupacken, was ein KMU braucht, würde viele kleine und weniger kleine Hersteller verdrängen. Das vielfach inkriminierte marktdominierende Geschäftsgebaren der Redmonder fände seine nahtlose Fortsetzung.
Die Microsoftsche Office-Philosophie scheint mir widersprüchlich. Welche Rolle spielen denn in dieser Strategie Privatanwender und Kleinstbetriebe, die doch einen erheblichen Anteil der Kundschaft ausmachen? Brauchen sie wirklich CRM-Tools? Und wer den neuen digitalen Notizblock OneNote einsetzen möchte, aber keinen Tablet PC besitzt, hat wohl nur halb so viel Spass daran.
Viele Gründe sprechen gegen das Upgrade auf Office 2003, nur wenige dafür. Ich wage deshalb zu bezweifeln, dass der verwöhnte Softwaregigant mit seinem jüngsten Wurf auch nur annähernd an die gewohnten Umsätze herankommt.
Eins ist aber jetzt schon sicher: Die Kontroverse über die neuen Office-Features geht weiter. Und das ist für Microsoft die Hauptsache. Denn "im Gespräch bleiben" - ob positiv oder negativ - lautet eine der Grundregeln des modernen Marketings und bedeutet beste Gratiswerbung.