Weiterbildung trotz Krise
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/01
Die beinahe täglichen Hiobsbotschaften von Dotcom-Pleiten und die Krise in der IT- und Telekommunikationsbranche, die zu massenhaftem Stellenabbau auch in Managementebenen führen, erwecken den Eindruck, dass der IT-Arbeitsmarkt kaum noch Chancen bietet.
Noch vor vier Jahren waren in der IT-Branche Fachleute gesucht, wie Trüffel im Piemont. Heute schauen arbeitslose Informatikspezialisten vergebens in den immer dünner werdenden Stellenanzeiger der Tageszeitungen.
Die Krise in der IT-Branche hatte auch Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildungsinstitutionen. In diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten wird es noch wichtiger, die Qualitätskriterien der Bildungsangebote auf hohem Niveau festzulegen.
Die fundierte Ausbildung bleibt die Basis - das Schlüsselwort der Zukunft heisst jedoch qualifizierte Weiterbildung.
Die Gesellschaft unterliegt im dritten Jahrtausend einem rasanten Wandel und ist kontinuierlich gefordert, sich dem neuesten Stand der Kenntnisse anzupassen. Sind aber die Unternehmen auch bereit, in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu investieren?
Willi Vollenweider, Geschäftsleiter von Digicomp, spürt einen deutlichen Aufwärtstrend gegenüber dem Vorjahr. "2003 hat für uns gut angefangen. Grund dafür ist bestimmt ein gewisser Nachholbedarf. Vor allem Firmen schicken ihre Fachleute zur Weiterbildung."
Michael Gähwiler, Geschäftsleitungsmitglied von IFA, sieht eher eine Umlagerung der Kursthemen. Tool-Kenntnis-Lehrgänge werden von den Firmen zunehmend ersetzt durch Kurse zur Förderung der Mitarbeiterkompetenzen, der Schulung von Problemlösungskenntnissen oder von Projektleitungs-Know- how. "Mann muss unterscheiden zwischen Einsteiger- und Umsteigerlehrgängen. Die Verlockung, in der IT-Branche Karriere zu machen, hat sich in den Köpfen relativiert. Weil in letzter Zeit die Karrieremöglichkeiten zurückgegangen sind, sind auch die Umsteiger deutlich weniger geworden. Für die berufliche Weiterbildung sehen wir einem zufriedenstellenden Verlauf entgegen."
Es würde mehr selektiert, wer welche Kurse besuchen darf, erklärt Annette Fehr, CEO von Microwin, die Situation. "Die Firmen schicken gezielt IT-Fachleute in spezifische Weiterbildungsseminare."
Die Geschäftsführerin von Microwin sieht zuversichtlich ins neue Jahr. Sie hofft auf einen gleichbleibenden Geschäftsgang. "2002 war für uns im Gegensatz zu 2001 sehr gut. Wir haben trotz wirtschaftlicher Lage deutlich gespürt, dass der Trend im Weiterbildungssektor nach oben zeigt."
Derzeit wird auf dem Weiterbildungsmarkt eine Trendwende von Angebots- zur Nachfrageorientierung vollzogen. Die Weiterbildung muss sich den Menschen anpassen - nicht umgekehrt. Für die berufliche Weiterbildung bedeutet dies, dass individuelle Kurse und Lehrgänge angeboten werden müssen, vor allem bei Firmen. Hier sind sich die Geschäftsleiter der IT-Schulen einig: "Wir richten unser Angebot ganz klar nach der Nachfrage. Die Unternehmen kommen zu uns, und wir unterrichten nach Bedarf."
In Zeiten von Krise und Marktbereinigung geben IT-Unternehmen Kandidaten mit geringer Praxiserfahrung und mangelnden Branchenkenntnissen kaum noch Chancen. Fachkräfte mit fundiertem Wissen und solider Ausbildung sind gefragt.
Gerade auf diesem Gebiet verspüren die IT-Schulen einen deutlichen Buchungszuwachs. Sie profitieren von den neuesten Standards im Security-Bereich, aber auch der Generationenwechsel auf Windows XP und nicht zuletzt das auf nächsten Sommer angekündigte Office 11 geben genügend Anlass für Weiterbildung.
"In wirtschaftlich schwierigen Zeiten setzen viele Unternehmen den Rotstift gerne in der Personalentwicklung an", kritisiert Vollenweider die Sparmassnahmen in der Mitarbeiter-Weiterbildung. Diese Firmenpolitik bezeichnete der Digicomp-Geschäftsleiter als grossen Fehler, der sich rächen werde. Wenn sich nämlich die wirtschaftliche Entwicklung verbessert, suchen die Unternehmen wieder Fachkräfte.
Auch Fehr ist überzeugt, dass sich die zurückgehenden Investitionen in die Weiterbildung negativ auswirken werden. "Es wird sich auf die Qualität und die Effizienz übertragen. Sobald die Konjunktur wieder anzieht, beklagen sich insbesondere IT-Firmen über einen Mangel an qualifizierten Fachleuten, deren Weiterbildung sie gerade jetzt selbst versäumt haben", so die Fachfrau über die strategisch unklugen Sparmassnahmen. "Die Unternehmen verbauen sich selbst die Wege aus der momentan schwierigen Marktlage."
Die Weiterbildungspolitik einer Unternehmung gehöre zur Firmenkultur, so Gähwiler. Leider bleibe die Weiterbildung in schlechten Zeiten oft auf der Strecke. Die Folge davon seien frustrierte Arbeitnehmer, die dann bei einem Aufwärtstrend der wirtschaftlichen Situation schnellstmöglich einen neuen Arbeitgeber suchen.
Durch die anhaltenden Entlassungen innerhalb der IT-Branche müssten ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen. Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein, wie der Weiterbildungstrend beweist. "Die gut qualifizierten Mitarbeiter werden nicht entlassen", berichtet Annette Fehr. Die Arbeitgeber haben heute bei Neueinstellungen die freie Wahl. Dadurch sind auch die Ansprüche an die Bewerber gestiegen. Ein hohes Mass an Flexibilität, das heisst, die Bereitschaft, ständig dazuzulernen und die Kenntnisse den jeweiligen Marktbedingungen anzupassen, erhöht die Chance, einen qualifizierten IT-Job zu ergattern.
"Weiterqualifizierung ist in Boomzeiten, stärker aber noch in Krisenjahren, eine strategische Grösse im Wettbewerb der Unternehmen um Margen und Marktanteile wie auch der Mitarbeiter um Arbeitsplätze, Gehälter und Karrierechancen", sind sich die Fachleute einig. Derzeit sei bei der Besetzung von Stellen im IT-Sektor das "Zusammenbringen von Anforderung und richtiger Qualifikation" das eigentliche Problem, und hochqualifizierte IT-Spezialisten keineswegs so leicht zu finden, wie die Entlassungswellen vermuten liessen.
Dass Weiterbildung auch für den Mitarbeiter einen hohen Stellenwert hat, zeigt eine Studie von Andersen Consulting. Darin wird deutlich, dass auf der Rangliste der Gründe, warum Angestellte ihrem Arbeitgeber untreu werden, mangelnde Weiterbildungsmöglichkeiten deutlich vor zu tiefem Lohn auf dem dritten Platz steht.