Neuorientierung im Markt der Schweizer IT-Dienstleister

Übernahmen und Verkäufe haben die Schweizer IT-Dienstleistungsszene komplett umgepflügt. Ob die neuen Firmengebilde ihr Kampfgewicht halten können, muss bezweifelt werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/44

     

Der Schweizer Markt für IT-Dienstleistungen ist in Bewegung. Übernahmen wie EDS/Atraxis, Swisscom IT/AGI und IBM/PWC Consulting sowie die Mega-Fusionen wie Compaq/HP werden die Landschaft der IT-Service-Anbieter massiv umpflügen. Und es wird weitere Veränderungen geben: Seit einiger Zeit schon hört man immer wieder Gerüchte über einen geplanten (Aus-)Verkauf von Systor durch die Eignerin UBS. Ausserdem werden mit der rechtlichen Ausgliederung von Bedag und Abraxas die beiden wichtigsten Lieferanten von IT-Dienstleistungen für die öffentliche Verwaltung in der Schweiz ins kalte Wasser des freien Markts geworfen.



Weil im Service- und Beratungsgeschäft die Menschen im Vordergrund stehen, sind Umorganisationen immer heikel, sowohl intern als auch extern. Entsprechend hoch ist auch das Risiko, einen Kunden zu verlieren.




Hohe Fluktuation ist im Service-Geschäft extrem gefährlich, kommt aber dennoch häufig vor. Die Folge ist immer ein Wachstumseinbruch: Bei EDS nahm der Umsatz nach der Übernahme von Fides Informatik kontinuierlich ab. Nun muss EDS die Chance für einen Neuanfang im Rahmen der Integration des Atraxis-Geschäftes nutzen und wieder auf Wachstumskurs kommen. Hier ist allerdings ein grosses Fragezeichen zu setzen: Die Hauptkundin der Atraxis ist die ehemalige SAir Group.



Ein anderes Beispiel: IT-Dienstleister Systor übernahm Ende 1999 die fast gleich grosse deutsche IT-Firma Schuhmann. Stimmen, die Zweifel am Gelingen der Fusion äusserten, wurden damals vom Chef Ulrich Kunz in scharfem Ton zurechtgewiesen. Die Zweifler sollten recht behalten: Statt wie angestrebt zu wachsen, schrumpfte der Systor-Umsatz Jahr für Jahr, von einem Gang an die Börse war plötzlich keine Rede mehr. Und jetzt, da berechtigte Befürchtungen im Raum stehen, dass sich die Firma durch die Schuhmann-Übernahme völlig überschuldet habe, droht gar der Zusammenbruch des Unternehmens. Nachdem die deutsche Tochter in die Insolvenz geschickt wurde, sollen die noch rentablen Teile in der Schweiz verhökert werden, darunter das Outsourcing, wie gut unterrichtete Quellen zu berichten wissen. Ebenfalls ist zu vernehmen, dass die Schuhmann-Übernahme zu einem überrissenen Preis erfolgte. Wir erinnern uns: Zum Zeitpunkt des Mergers, also Ende 1999, war der Dotcom-Hype auf dem absoluten Höhepunkt. Systor-Chef Kunz liess sich zur Zahlung eines übersetzten Preises hinreissen für ein Unternehmen, das letztlich gar nicht zur Systor passte, wie Mitarbeiter jetzt kleinlaut zugeben.


Beratung - das beste im Dienstleistungsgeschäft

Solche Management-Fehler bleiben nicht ungestraft. Vor allem jetzt, da die Wirtschaft seit Monaten am Boden liegt. Nach Traumwachstumsraten von regelmässig zwischen 10 und 15 Prozent in den Jahren von 1995 bis 2000, fiel das Wachstum des Schweizer IT-Dienstleistungsmarktes im letzten Jahr auf gerade mal 6 Prozent, wie das Marktforschungsunternehmen Pac ermittelt hat.



Für dieses Jahr erwartet Pac einen weiteren Wachstumsrückgang im Projektgeschäft in der Schweiz von 8,1 auf gerade mal 1,2 Prozent - das wäre die niedrigste Wachstumsrate seit 1994.




Allerdings muss hier differenziert werden: Der Bereich Produktimplementierung und kundenspezifische Softwareentwicklung schneidet mit nur 0,3 Prozent am schlechtesten ab, die Segmente IT-Training mit 4,2 Prozent und IT-Consulting - dazu zählt die reine IT-Beratung sowie die in anderen IT-Projekten enthaltenen Beratungsleistungen - mit immerhin 5,3 Prozent schon besser.



In der aktuellen Situation verlagert sich der Schwerpunkt von IT-Projekten. Und das ist schon fast beschönigend gesagt. Anwendungen, die neue Technologien nutzen und neue Geschäftsmodelle und -prozesse einführen - namentlich all schönen Modelle mit dem Präfix "e" wie e-Business, e-Commerce und e-Marketing -, sind schlicht kein Thema mehr in den Unternehmen. Im Vordergrund stehen heute Projekte, die die laufenden Kosten senken und die vorhandenen Systeme und Prozesse besser ausnutzen sollen. Das heisst: Es werden die bestehenden Lösungen weiterentwickelt und besser in die Unternehmensprozesse integriert sowie unterschiedliche Lösungen miteinander verwoben. Hier macht das Schlagwort EAI die Runde, das für Enterprise Application Integration steht.



Ein weiterer Bereich, der in den Vordergrund gerückt ist, betrifft die Sicherheit von IT-Systemen. Hier, so wollen einem alle IT-Security-Firmen weismachen, werde momentan besonders viel investiert und der Bedarf für Beratungsleistungen sei besonders hoch.




Mit Optimismus in die Zukunft

Auch die Marktforscher von Pac sind optimistisch, besonders was die Zukunft anbelangt: Ab 2003 soll das Projektgeschäft wieder eine Wachstumskurve aufweisen. Und die Jahre drauf soll es dann wieder richtig abgehen. Selbst der Wachstumstreiber E-Business wird da seine Reinkarnation erleben. "Der Hype ist vorüber, der Markt wird sich jetzt gesund entwickeln", sagt Julia Reichhart von Pac.



Reichhart teilt auch die weitverbreitete Meinung, dass umgekehrt zum Projektgeschäft das Outsourcing von der Wirtschaftskrise und dem allgemeinen Sparzwang sogar noch profitiert. "Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Schweizer Unternehmen offen für diese Art Dienstleistung sind." Dies zeige sich an der verhältnismässig grossen Anzahl von Mega-Deals wie etwa SBB/T-Systems, Winterthur/IBM, Novartis/IBM, ABB/Compaq, Helvetia/IBM, Nestlé/IBM. Die Gründung von Swisscom IT-Services bewirkt für dieses Jahr einen sprunghaften Wachstumsanstieg des Outsourcing-Marktes.




Auch für die Zukunft gibt es Hinweise auf eine zunehmende "Externalisierung" von IT-Infrastrukturen: Mit der rechtlichen Ausgliederung von Bedag und Abraxas geht die öffentliche Verwaltung einen weiteren Schritt in diese Richtung; im Bankensektor sind es der Verkauf von AGI an die Swisscom IT-Services und - wie erwähnt - die anhaltenden Gerüchte über einen möglichen Verkauf oder die Aufteilung von Systor.



Sicher ist, dass sich die Landschaft der IT-Beratungsanbieter in diesem Jahr nachhaltig verändert hat. Mit der Übernahme von Atraxis durch EDS verschwindet einer der wenigen grossen Anbieter mit Schweizer Herkunft. Dafür taucht mit der Gründung von Swisscom IT-Services nun ein ernstzunehmender Konkurrent auf. Die neue HP Schweiz dürfte die im Dienstleistungsgeschäft in der Schweiz ohnehin überdurchschnittlich gute Position von Compaq noch weiter ausbauen. Und EDS Schweiz wird endlich wieder, wenn auch externes, Wachstum verzeichnen. Gleiches gilt für IBM, die nächstes Jahr PWC Consulting in die Sparte Consulting Business Services integrieren und wohl die kompletteste IT-Dienstleistungspalette im Schweizer Markt anbieten wird. Abzuwarten bleibt, ob Ende 2002 die Realität die Pro-forma-Positionierung dieser "neuen" Anbieter bestätigen wird.



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