CRM: «It's all coming 2.0gether»

Dank Web 2.0 bekommt der Kunde die Macht zurück. Neu entstehende CRM-Strategien und -technologien greifen diesen wachsenden Trend auf.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/04

     

CRM-Konzepte und -Technologien durchliefen im letzten Jahrzehnt eine enorme Entwicklung. Firmen kamen und gingen, das Web wurde erwachsen und Software-as-a-Service (SaaS) schaffte den Sprung von einem Nischenangebot zu einem wichtigen Geschäftsmodell. Und stets war dabei zu vernehmen: «Der Kunde ist König.»


Von der Datenverwaltung zum essentiellen Bindeglied

Diese mittlerweile etwas abgedroschene Phrase entwickelt im Zuge einer von den herkömmlichen CRM-Konzepten wegstrebenden Entwicklung ein Eigenleben. Was früher nur Mittel zur Verwaltung von Kundendaten und damit zum besseren Verstehen des Kunden – und letztendlich zur Steigerung des Umsatzes mit dem Kunden – war, gilt heute als entscheidendes und wechselseitig wirkendes Bindeglied zwischen den Kunden und dem Anbieter.





Im Zentrum steht dabei die Gesamterfahrung des Kunden. Mit anderen Worten: Das herkömmliche Customer Relationship Management wird ergänzt und erweitert durch Customer Experience Management (CEM). Von Branchenexperten wird diese neue Entwicklungsstufe auch als CRM 2.0 bezeichnet.



«CRM muss den Schritt in Richtung 2.0 gehen», erläutert Paul Greenberg, ausgewiesener Fachmann und Verfasser des Buches CRM at the Speed of Light. «Bis dato», fügt er hinzu, «spielte sich CRM in der Hauptsache in der linken Gehirnhälfte ab.»
Es ging also um die Erfassung von Daten und deren quantitative Analyse im Bestreben, sich den Kunden anhand von Datensätzen zu erschliessen.




«Gegenwärtig verlagert sich der Prozess in die rechte Gehirnhälfte», erklärt er weiter. «Das Ziel muss aber letztendlich ein ganzheitlicher Ansatz sein.»


Social Networking

Greenberg ist nicht der einzige, der die Zeichen zu lesen weiss. Die kumulativen Effekte der Web-2.0-Revolution für das CRM hat mittlerweile die gesamte Branche realisiert. Vor drei Jahren nahmen diese Konzepte Gestalt an. Damals stellten Hightech-Kunden mit komplexen Produkten Überlegungen zur Optimierung von Zusammenarbeit und Vernetzung an. Heute werden immer mehr Geschäfte online abgewickelt. Am stärksten zeigt sich das im Bank- und Gesundheitswesen. Dort hat der Endnutzer die Möglichkeit, dank des Zugangs zu seinen Daten Aufgaben in Eigenregie und nach eigenem Zeitplan zu erledigen.





Kunden machen deutlich, dass sie ihr Engagement nach eigenen Regeln definieren möchten, erklärt Greenberg. «Sie experimentieren heute mit Blogs und Wiki-Initiativen, finden so heraus, wie sich ein guter Ruf in bare Münze verwandeln und der Prozess des Wissenserwerbs ändern lässt», erläutert er. «Kunden fragen heute: Wie kann ich diese Wiki-Geschichten nutzen? Wie lässt sich über Social Networking die Kundenbindung stärken? Wie sieht eine kollaborative Website aus?»


Genau so sollte es sein, meint Brent Leary, Mitbegründer und Partner von CRM Essentials, einer CRM-Beraterfirma für kleine Unternehmen und Gastgeber von «Technology for Business Sake», einer Radiosendung für kleine Firmen. «Social Networking wird auch in Zukunft eine gewichtige Rolle spielen. Für CRM-Anbieter ist es unerlässlich, eigene soziale Netze und Rückmeldungskanäle aufzubauen bzw. sich der Social-Networking-Sites wie Facebook, LinkedIn und anderer zu bedienen», erklärt er weiter.




Teil des mit CRM 2.0 einhergehenden Wandels ist es, Kunden in den Dienst des Unternehmens zu stellen – und sich an eine dynamischere Umgebung anzupassen. «Marketingleute müssen willens und in der Lage sein, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten und ihre Botschaft auch an die Leute zu bringen, die keine Zielgruppe sein wollen», erklärt Leary. Der Weg ins Herz der Kunden, fügt er hinzu, führt über «dynamische, nicht von Skripts vorgegebene Inhalte». Häufig haben diese die Form von Beiträgen, die vom Nutzer selbst stammen – sogenannter «User-generated Content» – um sich eines Schlagworts des CRM 2.0 zu bedienen.


Alles dreht sich um «Customer Experience»

Ziel des Ganzen ist es, zu steuern, wie die Leute über eine Firma denken und mit ihr interagieren. «Anbieter beginnen die Customer Experience ernst zu nehmen», erklärt Greenberg. Traditionell definierten sich Firmen über konkrete, klar umrissene Begriffe – Begriffe, die ihr Tätigkeitsfeld, ihre Produkte und Dienstleistungen sowie die Märkte, in denen sie operieren, beschreiben. Diese Art der punktuellen Identifizierung gibt es so nicht mehr. Heute gibt der Kunde den Takt vor. «Heutzutage hat das Produkt fast jedes Unternehmens eine solch starke Stellung, dass man sich einfach nicht auf eine simple Definition dessen, was das Produkt kann, beschränken lassen möchte.»





Durch die neuen Rahmenbedingungen können Kunden Druck erzeugen. Statt CRM ist jetzt Customer Experience Management gefragt. Es hat wichtige Entwicklungen gegeben: Kundenbindung und Zufriedenheit gelten jetzt als Schlüsselindikatoren, wenn es um den Wert eines Kunden geht. Unternehmen haben realisiert, dass sie in den Bereichen Service und Gesamterfahrung konkurrenzfähig sein müssen. Angesichts dessen rät Greenberg Firmen, die gerade erst beginnen, sich mit Customer Experience zu befassen, einen kühlen Kopf zu bewahren. «Glorifizieren Sie den Kunden nicht – eine Beziehung hat immer zwei Partner», erklärt er. «Sie erwarten, dass der Kunde für Ihr Unternehmen von Wert ist. Und genau das erwartet der Kunde von Ihnen. An der Spitze werden die Firmen zu finden sein, die Werkzeuge für Kunden anbieten, mit deren Hilfe diese sich einbringen können.»


Business Intelligence: Analyse wird wichtiger

Der kollaborative, internetbasierte Zwei-Wege-Ansatz, der gerade zu einem festen Bestandteil von CRM 2.0 wird, spiegelt sich auch in der Technologie wider, die Grundlage von CRM-Initiativen ist. Um genauso flexibel wie ihre Kunden zu bleiben, setzen Firmen bei ihren geschäftskritischen Anwendungen Flexibilität voraus. CRM bildet da keine Ausnahme.


Angesichts dessen bleibt der Kunde weiterhin König, und Daten bilden immer noch die Grundlage für jede Geschäftstätigkeit. Kundendaten und -analysen sind jedoch bei der Evaluierung von CRM-Produkten in den Vordergrund gerückt. Im Zentrum steht zwar weiterhin die Marketing-Analytik, viele Firmenkunden wollen jedoch die Daten in ihren CRM-Systemen analysieren: Re­gionsverwaltung, Rentabilität und vorhersagende Analytik.



«Die alten Analysewerkzeuge haben ausgedient», bemerkt Greenberg und fügt hinzu, dass es häufig schlimmer ist, sich auf qualitativ schlechte Kennziffern zu stützen als gar keine Kennziffern zu haben. «Eine Rating-Agentur – Idioten, deren Namen ich nicht nennen möchte – will die Bedeutung von Webseiten an der Verweildauer ihrer Besucher festmachen. Wenn sich das durchsetzt, fordere ich jeden auf, meinen Blog aufzurufen, den Computer eingeschaltet zu lassen und dann in den Urlaub zu fahren.»


Für Anbieter wird es von entscheidender Bedeutung sein, ob sie eine mehrstufige Business-Intelligence-Strategie für das komplette Anforderungsspektrum in diesem Bereich anbieten können: Dashboards, Ad-hoc-Berichte und vorhersagende Analytik. Die Kosten und die Verfügbarkeit solcher Lösungen müssen auch für kleinere Firmen überschaubar sein. Daher wird Qualität und Quantität der vordefinierten Analysewerkzeuge für Kunden, die nach einer Customer-Intelligence-Lösung suchen, zunehmend im Vordergrund stehen.


Von SaaS zu Cloud Computing

Dieser kollaborative Ansatz hat auch in der Anwendungsentwicklung seine Spuren hinterlassen und ist laut Branchenanalysten einer der Gründe dafür, warum der Hype um SaaS seinen Zenit bereits überschritten hat. Das Interesse ist zwar ungebrochen, und auch das Wachstum hält an. Die Anwender fragen sich aber in zunehmendem Mass, wie sie ihre CRM-Systeme mit den vielen internen Anwendungen vernetzen können. Das gegenwärtig vorherrschende SaaS-Modell weist in dieser Hinsicht starke Einschränkungen auf.


Diese Hemmnisse haben bereits zu neuen Entwicklungsmodellen geführt: Cloud Computing/Web-Plattformen, Mashups und Composite Applications sowie Open-Source-Entwicklungsmodelle. Laut Gartner werden bis 2010 circa 80 Prozent der Composite Enterprise Applications auf der Basis von Web-Mashups entstehen.



Diese wiederum werden sich in den kommenden fünf Jahren erheblich weiterentwickeln. Und in dem Masse, in dem SaaS zunehmend realisierbarer wird, werden neu entstehende Web-Plattformen über webbasierte «Cloud-Computing»–Umgebungen Zugriff auf Infrastruktur-Services, Informa­tionen, Anwendungen und Geschäftsprozesse bieten und es Unternehmen damit erstmalig ermöglichen, auf der Grundlage einer SaaS-Lösung ergänzende und mit der jeweiligen CRM-Lösung vernetzte Anwendungen und Module zu entwickeln.


Open Source als Treiber für das SaaS-Modell

Open Source wird dabei das Medium sein, über das die SaaS-Plattformen der nächsten Generation ihre Ergebnisse liefern. Laut Gartner enthält bis 2010 etwa 80 Prozent aller kommerziellen Software Elemente der jetzt schon ausgereiften und zuverlässigen Open-Source-Technologie. Open Source wird für Anbieter und Nutzer grosse Möglichkeiten der Senkung der Gesamtbetriebskosten und der Erhöhung der Kapitalrendite bieten. «Das Web wird zu einer omnipräsenten Plattform für Anwendungen aller Art, einschliesslich CRM», erklärt Martin Schneider, Leiter Produktmarketing bei SugarCRM.





«Der Erfolg von Konzepten wie Cloud Computing und Enterprise Collaboration hängt vom weiteren Eindringen von Open Source in die Anwendungsschicht ab. Ohne offene, standardbasierte Entwicklungssprachen als Ergänzung zur allgegenwärtigen Open-Source-Infrastruktur und den zugehörigen Bereitstellungsverfahren kann die Computing Cloud die lösungs- und unternehmensübergreifende Interoperabilität nicht wirklich gewährleisten.»





Abschliessend und im Einklang mit dem genannten «CRM 2.0» prognostiziert Gartner, dass sich das Segment der Web-2.0-Enterprise-Produkte bis 2010 mit neuen innovativen Produkten und neuen Marktteilnehmern stark verändern wird. Dabei werden Neugründungen, grosse Hersteller und herkömmliche Collaboration-Anbieter gleichermassen eine Rolle spielen. Im Zuge der Nachfrage nach wirklich zuverlässigen Web- 2.0-Produkten wird der heute noch sehr unübersichtliche Markt von einer starken Konsolidierung geprägt sein. Aktuelle und künftige Social-Software-Technologien als Ergänzung herkömmlicher Collaboration-Lösungen werden dennoch in zunehmendem Mass Verbreitung finden.


Der Autor

Clint Oram ist Mitbegründer und Vice President von SugarCRM, zuständig für Open Source Community Relations.




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