Editorial

Die Bremser des technologischen Fortschritts


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/20

     

Kürzlich beim Mittagessen an einem Anlass. Ich hatte zuvor ein Referat über die Vorteile der Datenbank-gestützten Modellierung und vollautomatischen Vergabe und Auswertung von Metadaten gehalten. «Alles Schnee von gestern, was Sie da erzählen. Das machen wir in unserem Unternehmen schon seit Jahren», meinte der Herr, der neben mir am Tisch sass. Während des Gesprächs stellte sich dann heraus, dass er als CFO einer Division eines bekannten Konzerns gar nicht am Erstellungsprozess von Informationen beteiligt ist, sondern lediglich die Resultate zu Gesicht bekommt, die seine Mitarbeiter mit viel manuellem Aufwand Monat für Monat erstellen.






Dabei hat er vergessen, dass seine «automatische Metadatenvergabe» in Wirklichkeit aus Hunderten von Mitarbeitern besteht, welche bei jedem Speichern manuell Informationen klassifizieren müssen, damit der CFO dann nur noch aufs Knöpfchen drücken muss. Und ausserdem hat er übersehen, dass sein Modell lediglich in Form von organisatorischen Massnahmen und in den Köpfen der Mitarbeiter existiert.




Vielleicht war der Inhalt meines Vortrages ja doch nicht so verständlich, wie ich dachte. Vielleicht hat dieser Herr aber auch einfach Angst vor einer neuen Technologie, die er nicht kennt, und versucht dabei, diese Angst hinter einer Fassade von Selbstsicherheit zu verbergen. Und vielleicht ist er nicht einmal der Einzige, den diese Angst plagt.
Es muss auch nicht eine richtige Angst sein. Die Unsicherheit, was eine neue Technologie bringt, deren Nutzen man nur schwer in harten Zahlen ausdrücken kann, verbunden mit einem generellen technischen Unverständnis und einem Schuss Betriebsblindheit reicht für eine ablehnende Haltung. Schliesslich läuft bei meinem CFO ja auch ohne neue Technologie alles rund.




Wenn der Herr hingegen Anwalt oder Berater gewesen wäre, hätte ich auf pures Desinteresse getippt. Klar: Wenn ich jede Minute meiner Arbeit für teures Geld verrechnen könnte, wäre es mir doch auch egal, wie lange ich für meine Auswertungen oder die Suche nach einer Information brauche. Effizienzsteigerung unerwünscht! Und ein Trugschluss, dass es besonders einfach ist, neue Technologien dort zu verkaufen, wo sie am meisten Nutzen stiften. Denn was auf der einen Seite Nutzen wäre, sind auf der anderen Seite vielleicht weniger Einnahmen. Dass man unter diesen Gegebenheiten nicht investiert, versteht sich von selbst.




Jedoch wird nichts so bleiben, wie es ist, und schon viele grosse Leute haben Entwicklungen in der Vergangenheit unterschätzt. Der Mensch hat ja bekanntlich Schwierigkeiten, sich exponentielle Veränderungen vorzustellen. Da sieht man lange so gut wie gar nichts, und plötzlich explodiert es. Nicht zu vergessen die aktuelle Hochkonjunktur. Die ist für grosse Veränderungen eher schädlich. Spannend wird es, wenn es wieder runtergeht und sich dann herausstellt, dass einige halt doch schon in der explosiven Phase der Kurve sind und durch neue Technologie einen Wettbewerbsvorteil haben, den man nur noch schwer aufholen kann.




Aus welchen Gründen auch immer jemand auf der Technologiebremse steht, er sollte es sich gut überlegen, wenn er auch nur einen Hauch von Vorahnung hat, dass etwas Neues effizienter sein könnte.




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