Mehrwert durch Frauen in der IT

Laut einem deutschen Schulungsinstitut müssen Frauen hohe Hürden in der IT-Branche überwinden. Eine IT-Spezialistin meint, der Beruf werde bloss falsch verstanden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/16

     

Frauen in der IT-Branche sind ein eher exotischer Anblick. Und dies, obwohl sich die Anzahl der offenen Stellen im Bereich der Informatikdienste zwischen 2006 und 2007 um gut die Hälfte erhöht hat. Laut dem Bundesamt für Statistik gingen allerdings von den insgesamt 1281 informatikverwandten Diplomen, welche 2006 in der Schweiz vergeben wurden, gerade einmal 131 an Frauen.


Die am nächsten liegende Erklärung ist das geschlechterspezifisch unterschiedliche Interessensgebiet von ihm und ihr: Frauen haben es einfach nicht so sehr mit Computern und all dem Kram, das ist Männersache. So zumindest das Klischee.
Vergleicht man die Anzahl der Abschlüsse im IT-Bereich, kann man dieser Erklärung vielleicht noch teilweise folgen. Dies bestätigt auch Marc Langheinrich, ehemaliger Leiter der Frauenförderung des Informatik-Instituts an der ETH Zürich:

«Natürlich hat man ein Bild von Informatikern und Informatikerinnen, das nicht sonderlich attraktiv ist. Allerdings finden viele Frauen, welche ein Schnupperstudium besuchen, das Betätigungsfeld Informatik interessanter, als sie es erwartet hätten.» Offenbar ist dieser Ansatz also ein wenig zu simpel.



Interessen sind, dies lässt sich anhand von anderen, traditionellerweise «männlichen Berufszweigen» wie der Wirtschaft oder technischen Bereichen gut feststellen, keinesfalls vom Geschlecht abhängig. Es müssen sich also andere Erklärungen finden lassen.


Das deutsche IT-Schulungsinstitut «Training Camp» glaubt nun, eine plausible Erklärung gefunden zu haben: Aus einer nicht-repräsentativen Umfrage unter 125 weiblichen IT-Fachkräften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz geht hervor, dass es für IT-Spezialistinnen alles andere als leicht sein soll, in der männerdominierten IT-Branche Fuss zu fassen. 56 Prozent der befragten Absolventinnen gaben an, dass der Einstieg die grösste Hürde ist. Wenn man erst einmal drin sei, gäbe es aber bessere und schnellere Aufstiegschancen als in anderen Branchen, so 49 Prozent der befragten IT-Spezialistinnen.


«Kann ich nicht bestätigen»

Die Ansicht von einer Hürde für den Berufseinstieg scheint aber nicht überall auf Zustimmung zu stossen. Gabriela Keller, Verantwortliche für das Personal bei der Ergon Informatik AG in Zürich, kann sich mit dem Gedanken nicht anfreunden: «Eine Hürde für Frauen in der IT kann ich nicht bestätigen. Wer Leistung zeigt, hat auch Möglichkeiten. Und die Stereotypen, dass Männer keine Frauen an ihre Computer lassen wollen, sind längst überholt.»


Vielmehr sieht die Informatik-Ingenieurin das Problem von der anderen Seite: Es sind nicht Hürden, welche Frauen von der Informatik fernhalten. Es ist das weitverbreitete Bild der Informatik selbst. «Natürlich gilt es in der Informatik, Barrieren zu überwinden, besonders für Frauen. Allerdings sind diese nicht nur extern, sondern auch intern. Das heisst, das verinnerlichte Bild von Informatikern und Informatikerinnen, das so negativ erscheint, ist schlicht veraltet.

Nächtelanges Durcharbeiten am Computer und bleiche Gesichtszüge sind nicht die Realität. Vielmehr sollte der Dienstleistungsaspekt der Informatik mehr in den Vordergrund gestellt werden, dann würden auch mehr Frauen dieses Studium wählen. Genau diese Fehleinschätzung der Informatik versucht die ETH mit speziellen Förderprogrammen, Schnupperstudien und anderen Massnahmen zu korrigieren.»



Es soll also vor allem die eigene Wahrnehmung und nicht ein absichtlich plazierter Stolperstein sein, die Frauen von IT-Berufen abhält. Eine weitere mögliche Erklärung ist die Tatsache, dass Mädchen laut der Frauenförderung an der ETH im Normalfall erst später mit Computern in Kontakt kommen als Knaben.


«Mittelschule hat einen negativen Einfluss»

Ähnlich beurteilt auch Carl August Zehnder, emeritierter Professor für Informatik an der ETH Zürich, die Situation. Allerdings sieht er die Problematik nicht bloss beim Zeitpunkt des ersten Kontakts mit Computern, sondern weiter bis in die Oberstufe:

«Es zeigt sich, dass in unseren Breiten der Informatikunterricht in den Mittelschulen oft einen negativen Einfluss hat, weil in gemischten Klassen die Buben einfach rascher und hemmungsloser auf die Maschinen losgehen, während die Mädchen zuerst verstehen wollen, was hier abgeht und was sie zu tun haben. In solchen Situationen bleiben die Mädchen auf Distanz, nicht aus intellektueller Schwäche, sondern weil ihnen die Hacker wenig imponieren.»



Eine weitere denkbare Ursache für die ungleiche Verteilung ist die traditionelle soziale Rollenverteilung, in welcher sich die Frau als soziales Bindeglied betätigt, also mit und zwischen Menschen arbeitet. Obwohl uns die Emanzipation gelehrt hat, dass es diese traditionelle Rollenverteilung nicht gibt, kommt man bisweilen nicht um einige Indikatoren herum.
So zum Beispiel der von den Frauen dominierte Berufszweig Public Relations. Hier sind Eigenschaften wie Kommunikationsfähigkeit, Kompromissbereitschaft und Teamfähigkeit oft genannte Schlagworte. Doch obwohl diese Anforderungen mittlerweile auch in der IT Einzug gehalten haben, hat bisher anscheinend noch kein generelles Umdenken stattgefunden.


Frauenförderung mit System

Wie bereits erwähnt, existiert an der ETH ein eigens für diese Thematik entwickeltes Förderungs­team. Dort ist man sich der Problematik des geringen Frauenanteils durchaus bewusst, weshalb sich die Frauenförderung (FF) am Institut für Informatik darum bemüht, mehr weibliche Begeisterung für diesen Bereich zu generieren: mit Sommerapéros, Informationsveranstaltungen, Crash-Kursen und Schnupperstudien für Gymnasiastinnen. Auch Gabriela Keller wurde schon zu solchen Anlässen eingeladen. Mit konkreten Beispielen aus der Praxis will man jungen Frauen zeigen, dass auch auf sie eine Karriere in der IT wartet.


Die so «geköderten» weiblichen Studentinnen werden von der Frauenförderung, je nach Wunsch, durch das Studium hindurch begleitet und beraten. Und nicht wenige von ihnen, darunter auch Gabriela Keller, geben ihre Erfahrungen nach abgeschlossenem Studium wieder an das Förderprogramm zurück.



In den letzten 15 Jahren scheint sich der prozentuale Anteil an weiblichen Studierenden aber kaum verändert zu haben. Keller: «Zu meiner Zeit waren weniger als zehn Prozent der Studierenden Frauen.» Dies war Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre. Und es hat sich bis heute auch nicht massgeblich geändert. Zehnder dazu: «In den neunziger Jahren erlebten wir einmal eine Katastrophe: Null Frauen im 1. Semester Informatik. Das führte zu aktiven Gegenmassnahmen, inklusive der Schaffung der Gruppe «Frauenförderung» im Departement Informatik, die in Schulen und mit Mädchenwochen bei uns seither aktiv ist. Ergebnis: Seither liegt der Frauenanteil im 1. Semester über 10 Prozent.»


Warum überhaupt Frauen in der IT?

Wenn selbst die ETH, eine der besten technischen Universitäten der Welt, Probleme hat, Frauen für das Studium der Informatik zu begeistern, warum wird dieser Aufwand überhaupt in Kauf genommen? Wenn Frauen nicht sonderlich von der IT angetan sind, dann sollen das doch die Männer übernehmen. Schliesslich gibt es auch Berufe, welche vornehmlich von Frauen wahrgenommen werden.


Die Frauenförderung an der ETH sieht darin jedoch ein Problem: Informatik betrifft unterdessen sowohl Männer als auch Frauen zu gleichen Teilen. Wir alle werden in unserem Alltag gleichermassen mit Erzeugnissen der IT konfrontiert und müssen damit zurechtkommen. Doch wenn bloss Männer Software entwickeln, wird auch zum grössten Teil Software für Männer entwickelt.



Der Frauenförderung zufolge generieren Frauen daher einen deutlichen Mehrwert für die IT, indem die Produktpalette in ihrer Vielfältigkeit und insbesondere auch bei der Benutzerfreundlichkeit ausgebaut wird. Um die Userinnen also nicht zu benachteiligen, muss auch weiterhin für weiblichen IT-Nachwuchs gesorgt werden. Und zu guter Letzt schadet eine frische Brise im IT-Alltag auch den Männern wohl nicht.




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