Editorial

Wenn der Staatsanwalt zur Kasse bittet


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/16

     

Vor rund einem Jahr war es in Deutschland erstmals soweit: Eine Privatperson wurde verurteilt, weil sie ihr WLAN nicht gesichert hatte. Sie hatte nicht bemerkt, dass ihr drahtloser Internetzugang von Dritten für die illegale Teilnahme an Internettauschbörsen benutzt worden war. Die Sache flog auf, nachdem die Staatsanwaltschaft den Inhaber des Anschlusses über die benutzte IP-Adresse ermittelt hatte. Dieser wurde zwar nicht für die Teilnahme an der Tauschbörse bestraft, wohl aber verurteilte ihn das Gericht wegen «Wiederholungsgefahr» und ordnete ihm – unter Auferlegung der Kosten des Verfahrens – die Sperrung seines Zugangs für Dritte an. Es genügte dem Gericht nicht, dass er inzwischen ein Passwort eingerichtet hatte; er hätte auch die von ihm verlangte strafbewehrte Unterlassungserklärung unterzeichnen müssen.


Wer gedacht hatte, dass ein solcher Entscheid in der Schweiz vernünftigerweise nicht möglich sein sollte, muss sich nun von der Staatsanwaltschaft eines grossen Deutschschweizer Kantons eines Besseren belehren lassen. Wiederum war ein drahtloser Internetzugang für eine Straftat benutzt worden. Wiederum musste die Staatsanwaltschaft feststellen, dass sie aufgrund der IP-Adresse den Falschen erwischt hatte; er hatte mit der Sache nachweislich nichts zu tun – ausser eben, dass er seinen WLAN-Zugang zum Internet offen gelassen hatte und dieser so in unmittelbarer Umgebung auch von Dritten benutzt werden konnte. Die Behörde stellte die Untersuchung gegen ihn zwar ein. Doch weil sein, wie sie schrieb, «leichtfertiges» Verhalten genau zum Missbrauch geführt habe, welcher Grund zur Eröffnung der Untersuchung war, seien ihm «entsprechend» die Kosten von über 1500 Franken aufzuerlegen.




Der Ärger der Staatsanwaltschaft über die letztlich erfolglose Untersuchung mag nachvollziehbar sein. Ihre Kostenverfügung und zugehörige Begründung ist es nicht. Wer seinen WLAN-Zugang offen lässt, darf sich zwar nicht beklagen, wenn andere auf seine (Abo-)Kosten das Internet benutzen (die Nutzung ungeschützter fremder WLAN-Zugänge ist nach Schweizer Recht zulässig). Leichtfertig ist dieses Verhalten aber nicht. Das käme höchstens in Betracht, wenn das Internet oder ein Zugang zum Internet allgemein als Gefahr eingestuft werden müsste, vor welcher sein Betreiber Dritte schützen müsste. Das aber kann heute kaum mehr ernsthaft vertreten werden.



Würde der Logik der Staatsanwaltschaft gefolgt, würde auch jeder Provider, jedes Café und jedes Hotel, die anonymen Benutzern einen Internetzugang anbieten, leichtfertig handeln und müssten zur Kasse gebeten werden, wenn einer ihrer Zugänge für eine Internetstraftat missbraucht wird und der Täter sich nicht ermitteln lässt. Dasselbe würde für jedes Unternehmen, jede Universität und jede Bibliothek gelten, deren offene WLANs (etwa in Sitzungszimmern) sich eben auch von Dritten in der Nachbarschaft mitnutzen lassen.

Oder für Luzern, wo seit Mai die ganze Innenstadt mit einem Gratis-WLAN versorgt wird und ein Teil der über eine Million Benutzerminuten der ersten drei Monate statistisch gesehen mit Sicherheit für illegale Inhalte verwendet wurden. So weit würde aber selbst die fragliche Staatsanwaltschaft nicht gehen. Sie hätte wohl nicht einmal eine Untersuchung gegen die Betreiber dieser Zugänge eingeleitet, sondern zunächst nur gegen Unbekannt ermittelt. Leichtfertig handelte im Falle des WLAN-Besitzers also nur die Staatsanwaltschaft, die darauf vertraute, dass ein Internetzugang immer nur derjenige benutzt, der dafür bezahlt.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Vor wem mussten die sieben Geisslein aufpassen?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER