MeDIswiss: Nutzen durch Standards

Der Kanton St.Gallen probt mit MeDIswiss im Bereich Kardiologie die schrittweise Einführung einer E-Health-Interoperabilitätsplattform.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/16

     

Als gesundheitspolitisches Ziel soll die Mobilität der Bürger­innen und Bürger innerhalb der Schweiz und langfristig auch in Europa gewährleistet werden. Daraus leitet sich die Anforderung an eine grenzüberschreitende Interoperabilität der IT-Systeme ab.


Die Initiative MeDIswiss erprobt den technischen Aufbau einer Modellarchitektur für den elektronischen Austausch eines Patientendossiers. Später sollen weitere
E-Health-Anwendungen auf dieser Modellarchitektur auf konkreten Nutzen überprüft werden. Mit Hilfe von international einsetzbarer Technologie soll gezeigt werden, wo für Kantone, Spitäler und Arztpraxen Handlungsbedarf besteht, damit eine E-Health-Interoperabilitätsplattform künftig erfolgreich aufgebaut, betrieben und unterhalten werden kann. Zu diesem Zweck soll ein Public-Private-Partnership-Modell (PPP) zur Finanzierung des Ausbaus und zum Betrieb der E-Health-Infrastruktur entwickelt werden.



In einer ersten Phase wird derzeit anhand des «Use Case Kardiologie» der datenschutzkonforme, strukturierte Austausch medizinischer Daten zwischen zuweisenden Fachärzten und der Kardiologie im Kantonsspital St.Gallen überprüft. Bis Ende 2007 sollen weitere Herzkliniken für die Nach- und Weiterbehandlung angeschlossen werden.




MeDIswiss – Use Case Kardiologie – Netzwerktopologie


Use Case Kardiologie

Der typische Behandlungsverlauf eines Patienten oder einer Patientin in der Kardiologie war die Grundlage für die Überlegungen zu strukturellen Verbesserungen durch Nutzung von IT-Mitteln.
Der Anwendungsfall betrachtet einen geschlossenen Behandlungskreis. Er beginnt beim Hausarzt, führt zum Facharzt und über das Spital schliesslich zur Herzchirurgie. Nach einer Rehabilitation kommt der Patient wieder zum Hausarzt, der Facharzt übernimmt gegebenenfalls weitere ambulante Kontrollen. Nicht jeder Patient durchläuft dabei alle Stationen, nur ein kleinerer Teil wird in der Herzchirurgie behandelt.


Der Informationsgewinn in diesem Kreis ist ein additiver: die Anamnese des Hausarztes wird durch den Facharzt vertieft, das vielleicht schon erstellte 12-Kanal-EKG durch einen Belastungstest ergänzt, die Ultraschalluntersuchung des Facharztes durch ein spezielles Ultraschall im Spital vervollständigt. Das fertige Bild in Form einer Diagnose und Behandlung für den individuellen Patienten ergibt sich aus der Kombination dieser vielen Puzzleteile.



Dadurch wird deutlich, wie wichtig die Kommunikation an den Schnittstellen der beteiligten Ärzte ist. Die besten Untersuchungen nützen dem weiterbehandelnden Kollegen nichts, wenn er sie nicht oder nur unvollständig vorliegen hat. Weiterhin nutzt der Kardiologe die Originalaufzeichnungen des EKG zum Vergleich mit der Voruntersuchung. Ebenso reicht ein rein deskriptiver Befund einer Herzkatheteruntersuchung dem Chirurgen nicht aus, um Operationen zu planen und durchzuführen.


Die Organisation von papiergebundenen Informationen gelangt im immer dichter werdenden Ablauf der Behandlungsprozesse und zunehmender Spezialisierung an die Grenzen ihrer effektiven Nutzbarkeit. Immer mehr Zeit geht nur für die rechtzeitige Bereitstellung der relevanten Information am richtigen Ort verloren.
Lokal wird dem durch zunehmend ausgereiftere Praxis- und Klinikinformationssysteme begegnet. Jedoch stellen diese Systeme «Datenoasen» in einer «Kommunikationswüste» dar. Eine sinnvolle zwischenbetriebliche Verknüpfung der Informationen ist bislang nicht gelungen und stellt aufgrund fehlender eindeutiger Identifikatoren eine Herausforderung dar.


Erwarteter Nutzen

Der ideale Behandlungsablauf sähe eine strukturierte Weitergabe der Informationen vor. So könnte der Arzt, sobald der Patient die Sprechstunde betritt, sich zum Beispiel nur neue Befunde zu diesem Patienten ansehen, egal ob sie bei ihm oder bei anderen Kollegen erstellt worden sind. Er hätte jedoch auch die Möglichkeit, rasch auf alte Befunde zuzugreifen und zu vergleichen. Gleichzeitig übergibt er seine Beurteilung und auch seine neuen Befunde über ein intelligentes System dem nachbehandelnden Arzt. Weiterhin haben die Kollegen in der Behandlungskette eine Zugriffsmöglichkeit auf die Daten und könnten sich die behandlungsrelevanten Unterlagen ebenfalls gezielt anschauen.


Natürlich ist eine solche Vernetzung auch kritisch auf ihre Missbrauchsmöglichkeiten hin zu betrachten. Durch das Einführen von eindeutigen Identifikatoren für Ärzte wie für Patienten wäre es allerdings möglich, prinzipiell eine Kopie von Informationen zentral gesammelt vorzuhalten, aber immer nur demjenigen zur Verfügung zu stellen, der aktuell durch den Patienten ermächtigt wurde oder aber zeitnah zuvor oder danach in die Behandlung involviert ist. Das ergäbe gerade auch in Notfallsituation einen enormen Zugewinn an Behandlungssicherheit, da wichtige Daten jederzeit abrufbar wären. Gleichzeitig darf die Regelung von Zugriffsrechten für die Behandelnden nicht zu einem Arbeitshindernis werden (z.B. durch eine Vielzahl unterschiedlicher Passwörter).



Damit ergibt sich das Fernziel eines elektronischen Patientendossiers für mobile Bürgerinnen und Bürger, das zentral gespeichert und unabhängig von Ort und Zeit erreichbar wäre.
In einem ersten «Proof of concept» werden in der Initiative MeDIswiss nur fertige Berichte in Textform und Bilder im DICOM-Format (Digital Imaging and Communications in Medicine) ausgetauscht. Sobald sich der erwartete Nutzen zeigt, sollen die Architektur verfeinert, der Kreis der beteiligten Ärzte vergrössert und die eingesetzte Technologie auf den Anwender zugeschnitten werden. Dabei sollen die vorhandenen Praxis- und Krankenhaus­informationssysteme genutzt und die Patienteninformationen über Standardschnittstellen strukturiert weiterverwendet werden.


Lösungsansatz

Um den Effekt einer weiteren lokalen und proprietären Pilotlösung zu vermeiden, kommt ausschliesslich eine offene Architektur basierend auf international anerkannten Standards in Frage. Die Wahl fiel dabei auf die Rahmenstandards der IHE-Initiative (Integrating the Healthcare Enterprise www.ihe.net und www.ihe-europe.org) und dabei im speziellen auf die folgenden beiden Integrationsprofile:



- PIX (Patient Identifier Crossreferencing) zur Verknüpfung der Patientenstammdaten sowie




- XDS (Cross Enterprise Document Sharing) für den Dokumentenaustausch.


Diese Architektur ist hinsichtlich Teilnehmern und Dokumentenarten beliebig skalierbar und erlaubt die Verknüpfung mit anderen Plattformen, welche diese beiden Profile ebenfalls unterstützen, egal mit welchen Softwarelösungen diese auch betrieben werden. Für die Umsetzung mussten die einzelnen Lösungskomponenten der Plattform noch weiter detailliert und Partner für die Erstellung der Plattform gefunden werden (vgl. Tabelle). Die Kombination von Hardware und Software, welche die Lösungskomponenten abbildet, ist unter Verwendung internationaler Standards für den «Use Case Kardiologie» zwar massgeschneidert, kann aber jederzeit auf weitere Fachbereiche und Anwendungen sowie mehr Teilnehmer ausgeweitet werden.


Einbettung in die «Strategie eHealth Schweiz»

Die in der Initiative MeDIswiss eingesetzte Standard-Architektur dient als Testumgebung, um den Prozess der Zusammenarbeit und des Austausches medizinischer Daten verschiedener Leistungserbringer in der Modellregion St.Gallen zu erproben, speziell durch den Einsatz eines elektronischen Patientendossiers sowie elektronischer Identitäten (sobald verfügbar auch auf Karten wie Health Professional Card (HPC) und elektronische Gesundheitskarte (eGK)).


Auf Basis dieser Erkenntnisse soll in der Euregio Bodensee eine gemeinsame Architektur verbindlich verabschiedet werden. Die Architektur soll so gestaltet werden, dass in weiteren Phasen auch ein schweizweit koordinierter Ausbau der E-Health-Infrastruktur erfolgen kann. Damit leistet die Initiative MeDIswiss einen wertvollen Beitrag zur Erreichung der hochgesteckten Ziele der bundesrätlichen E-Health-Strategie.





Die MeDIswiss-Komponenten im Überblick


Die Autoren

Hansjörg Looser ist Leiter E-Health im Gesundheitsdepartement Kanton St. Gallen, Dr. Philipp K. Haager ist Oberarzt der Kardiologie im Kantonsspital St. Gallen und Jürg Lindenmann ist Leiter Informatik am Kantonsspital St. Gallen.




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