Banken im Standardfieber

IT-Kooperationen zeigen Verfallszeichen. Banken setzen lieber auf Standardsoftware. Avaloq wird derweil vom Erfolg überrannt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/19

     

Der Generationswechsel weg von den alten Mainframe-Applikationen zu Anwendungen auf Basis aktuellerer Technologien, die mehr Flexibilität und tiefere Kosten versprechen, führt zu einer Belebung des Schweizer Softwareanbietermarktes. Gleichzeitig werden die klassischen IT-Kooperationen vor grosse Zerreissproben gestellt. Diese wurden vor Jahren von den Banken gebildet, um sich die Entwicklungskosten der Individualprogrammierung zu teilen.
Am härtesten traf es in diesem Jahr wohl Swisscom IT Services. Sie musste 2004 den Ausstieg sämtlicher acht Kantonalbanken des AGI-Verbundes hinnehmen, für den die Swisscom-Tochter die gemeinsame Kernbankenlösung Agis betreibt und wartet. Der Anfang vom Ende von Jens Alders hochfliegenden Bankingplänen läuteten die vier kleinen Partner (Appenzell Innerhoden, Glarus, Nidwalden, Obwalden) im Frühling 2004 ein, als sie völlig überraschend den Übertritt zu Finnova per Ende 2006 verkündeten. Erst vor wenigen Wochen folgte dann der zweite Schlag mit dem Entscheid der grossen AGI-Kooperationsbanken (Luzern, St.Gallen, Thurgau, Fribourg) künftig nicht mehr auf Agis sondern auf eine Lösung ab Stange zu setzen.



Swisscom IT Services steht vor einem Scherbenhaufen: Die Finanzbranche ist als zweitwichtigstes Standbein innerhalb weniger Monate völlig weggebrochen. Die IT-Tochter der Swisscom muss von einem Bankensoftwarelieferanten und -Betreiber zu einem reinen Hosting-Unternehmen mit allfälligen Integrationsfunktionen mutieren. In Strategiepapieren macht sie Andeutungen, anstelle der Agis-Plattform die Lösungen von Finnova und Avaloq ins Portefeuille aufzunehmen. Dieser Umwandlungsprozess wird schmerzvoll sein und wahrscheinlich viele der rund 300 Agis-Programmierer den Job kosten.


Governance-Problem

Eines der grössten Probleme der IT-Kooperationen ist, dass die Banken gleichzeitig Kunden und Besitzer sind. Dies führt zu fast unlösbaren Governance-Widersprüchen, die sich unter anderem in endlosen Diskussionen über Wünsch- und Machbares äussern. Zudem sind den Kooperationswerken unternehmerisch häufig die Hände gebunden, weil sie an erster Stelle ihren Herren zu dienen haben.



Doch selbst wenn einigermassen überschaubare Verhältnisse herrschen wie bei der Finnova, der von den Kantonalbanken von Schaffhausen und Schwyz kontrollierten Lenzburger Softwareschmiede, können sich für Kooperationen typische Befindlichkeiten störend auswirken. Für Brancheninsider ist klar, dass Charlie Matter, der CEO von Finnova, von den Stakeholdern zurückgepfiffen wurde, als er sich um die Einführung einer neuen Lösung bei den vier grossen AGI-Banken beworben hatte. Die Aufforderung der Schaffhauser und Schwyzer hörte sich wohl etwa so an: «Kümmere dich bitteschön zuerst um unsere Anliegen, bevor du dir bei anderen einen Haufen Arbeit aufhalst.» Die Finnova-Lösung müsste nämlich gehörig aufgebohrt werden, um den Ansprüchen von grösseren Banken gerecht zu werden. Charlie Matter bestätigt, dass Governance bei der jüngsten Ausschreibung ein Thema gewesen sei und derzeit intern stark diskutiert werde. Das kann bedeuten, dass die beiden Investoren ihre Anteile veräussern und Finnova in die Freiheit entlassen.






Das Paradebeispiel eines erfolgreichen unabhängigen Anbieters ist die Zürcher Avaloq. Nach der Akquisition mehrerer bedeutender Privatbanken ist es dem Unternehmen gelungen, sein Bankenpaket auch der Zürcher Kantonalbank und der Bank Linth zu verkaufen. Jetzt ist Avaloq bei der Endauswahl der Graubündner KB und den vier grossen AGI-Banken dabei – zusammen mit der sogenannten Swiss Banking Platform von CSC. Ausserdem pfeifen die Spatzen längst vom Dach, dass Avaloq auch bei der Bank Vontobel eingesetzt werden soll.


Heikle Situation für Avaloq

Interessanterweise hält man sich bei Avaloq zum mutmasslichen Prestigegewinn bei Vontobel sehr bedeckt. Der Grund dafür: Allmählich machen Befürchtungen die Runde, dass Avaloq ob all den jüngst eingegangenen Verpflichtungen nicht mehr mit produzieren nachkommt. Avaloq selbst streitet dies ab und hält fest, dass sämtliche verbindlichen Einführungstermine eingehalten wurden. Fakt ist aber, dass das Projekt bei der Bank Bär um ein Jahr zurückgestellt wurde.





Avaloq befindet sich in einer heiklen Situation, indem sie ein offenes Ohr für die unterschiedlichsten Kundenwünsche haben muss und gleichzeitig das Ziel eines Softwarestandards nicht aus den Augen verlieren darf. Dies hätte die bekannten negativen Folgen bei der Flexibilität und den Kosten.






In diesem Prozess spielen aber auch die Banken eine entscheidende Rolle. Während die Vertreter der IT noch Verständnis für weniger Individualismus und mehr Standard aufbringen, sind sich die Geschäftseinheiten solche Enthaltsamkeitsübungen nicht gewohnt und pochen auf Erfüllung der hinterletzten Funktionalität, die ursprünglich mit viel Aufwand ins Altsystem hineindesignt wurde.



Wichtige Bankendeals auf einen Blick




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