Business Process Management in Marketing und Vertrieb

BPM bedeutet für Marketing und Vertrieb vollkommen neue Möglichkeiten in der Prozessgestaltung. Das hat Konsequenzen für die IT.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/18

     

Der Konflikt zwischen der IT-Abteilung und dem Marketing hat in vielen Firmen eine lange Tradition. Beide Seiten fühlen sich missverstanden. Dabei ist Marketing ohne IT-Unterstützung undenkbar. Im Gegenteil, eine effiziente IT-Infrastruktur ist Voraussetzung für ein erfolgreiches Marketing. Im wesentlichen sollen zwei Ziele durch den Einsatz von IT erreicht werden: einerseits Effizienzsteigerung und damit Kosteneinsparungen und andererseits Nutzung der elektronischen Kanäle zur Generierung von mehr Umsatz.
Gerade heute wird intensiv an Kosteneinsparungen im Marketing gearbeitet. Ein wichtiger Ansatzpunkt dazu sind die Kosten des klassischen Vertriebes. Um die Kunden effizienter bedienen zu können, wird nach alternativen Vertriebsmöglichkeiten gesucht, und dabei bieten sich insbesondere die elektronischen Kanäle an. Vorreiter waren die Banken, die ihre Kunden etappenweise vom Bankschalter an die Automaten und an das Telebanking heranführten. Auch im B2B-Bereich werden E-Business und Marktplätze in vielen Fällen in erster Linie aus Kostengründen etabliert.
Nach dem Internet-Hype wurde vielfach die These geäussert: Mit Internet und E-Business ist kein Geld zu verdienen. Diese Aussage ist falsch. Gerade jetzt findet eine stille Revolution in verschiedenen Bereichen und Branchen statt. So liegen beispielsweise die Steigerungsraten der Direktbuchungen (Buchungen von Konsumenten über Internet) in der Reisebranche pro Monat zwischen 60 und 80 Prozent. Der Weinhandel im Internet boomt, bei vielen Händlern wird bereits über die Hälfte des Sortimentes elektronisch verkauft.
All diese Entwicklungen haben zur Konsequenz, dass sich viele Unternehmen ernsthaft mit dem Thema «Channel Management» auseinandersetzen.





BPM verbindet IT und Geschäftsprozesse


Kunden nutzen klassische und elektronische Kanäle

Der Kunde entscheidet, über welchen Kanal er mit dem Unternehmen in Kontakt treten möchte. Welchen Kanal er nutzt, hängt von seinen Präferenzen, der Phase im Kaufzyklus und der Verfügbarkeit des Channel ab. Entscheidend ist, dass nie genau vorhersehbar ist, über welchen Kanal der Kunde in Erscheinung tritt.
Damit Multi-Channel-Management funktioniert, muss bezüglich der Kanäle im Unternehmen umfassende Transparenz vorhanden sein. Ist der Aussendienst beispielsweise nicht darüber informiert, dass ein Kunde eine Bestellung über Internet abgeschickt hat, kann dies zu bösen Überraschungen führen. Egal, wie der Kunde mit dem Unternehmen in Kontakt tritt, ob via Call Center, per Fax oder Internet, Daten und Prozesse müssen zu den gleichen Ergebnissen führen. Diese Transparenz kann nur durch prozessorientierten IT-Einsatz geschaffen werden.


Voraussetzungen für Multi-Channel-Management

Multi-Channel-Management
Das Verfolgen einer Multi-Channel-Strategie bedingt Klarheit in allen Marketing- und Vertriebsprozessen. Es muss notwendigerweise präzis definiert sein, was über welchen Kanal zur Verfügung steht, welches die Wechselwirkungen zwischen den Kanälen sind und was geschehen soll, wenn ein Kunde den Kanal wechselt. Hat ein potentieller Käufer alle nötigen Informationen noch zur Verfügung, und kann er den Prozess ohne Unterbrechung weiterführen? Noch ist die Synchronisation der Kanäle wenig fortgeschritten, so dass alle Vorteile einer möglichen Effizienzsteigerung durch Verbundeffekte des Multi-Channel-Managements ungenutzt bleiben.





Es muss klar sein, wie die Interaktion über die verschiedenen Kanäle erfolgt und wie die kanalübergreifende Moderation der Prozesse gestaltet werden soll. Erfolgreiche Multi-Channel-Implementierungen sind oft intelligente Verknüpfungen von E-Commerce-Lösungen mit stationärem Handel, wobei die Integration der Prozesse zwischen den unterschiedlichen IT-Systemen der beiden Welten meist nicht trivial ist. Man kann sich die Schwierigkeiten vorstellen, wenn man sich die Aufgabe eines Echtzeit-Abgleichs der Verfügbarkeitsanzeige in einem Online-Shop mit einer verteilten realen Lagerhaltung vor Augen führt.






Die Notwendigkeit einer vollständigen und umfassenden Integration der Prozesse in eine übergeordnete Multi-Channel-fähige Gesamtarchitektur verursacht zweifellos hohe Anfangskosten und ist mit einer erheblichen Projektkomplexität verbunden. Allerdings gilt es für jeden Betrieb zu prüfen, ob damit nicht nachhaltig zu erzielende Wettbewerbsvorteile verpasst werden, die nur schwer wieder einzuholen sind. Der Wettbewerb weist immer weniger statische Elemente auf, und Vorteile entstehen zunehmend für alle diejenigen, die veränderte Bedingungen des Marktes schnell erkennen und darauf eingehen können. Rasche Reaktion bedingt aber die Beherrschung der Dynamik von Geschäftsprozessen. Die bisherigen IT-Systeme sind nur sehr beschränkt in der Lage, Komplexität und Dynamik realer Geschäftsprozesse in Multi-Channel-Umgebungen adäquat abzubilden. Damit besteht für die IT heute die zentrale Herausforderung darin, diese sogenannte Orchestrierung von Prozessen bestmöglich zu unterstützen.


Software-Tools zur Gestaltung

Geschäftsprozesse sind wahrlich nichts Neues. Neu aber ist die Tatsache, dass mit dem Ansatz des Business Process Management (BPM) erstmals Software-Werkzeuge zur Verfügung stehen, welche die alte Kluft zwischen Business und IT überbrücken können. Es sind weitgehend junge Softwareunternehmen, welche diesen Ansatz in reiner Form implementieren wie zum Beispiel Metastorm, Staffware oder Savvion. Ermöglicht wird dies durch die Einführung einer neuen Metaebene, welche das Paradigma des Geschäftsprozesses konsequent in der Software abbildet. Sie unterstützt den gesamten Lebenszyklus, also von der Analyse und Modellierung eines Prozesses über dessen Implementierung und Ausführung bis hin zur Überwachung und Auswertung. Bisherige Software war lediglich in der Lage, einzelne isolierte Elemente abzubilden, so zum Beispiel die Prozessmodellierung oder deren Auswertung. BPM-Lösungen ersetzen keine bestehenden Applikationen, sondern integrieren diese in eine Prozess-Sicht auf das Unternehmen, welche für Nicht-IT-Spezialisten verständlich ist. Vorhandene prozessrelevante Software – zum Beispiel CRM-, CMS- oder ERP-Anwendungen – werden in das Softwaremodell der Geschäftsprozesse eingebettet. Es ist die Sprache des Business, die Geschäftsprozesse und deren Abbildung, welche im Zentrum dieser neuen Klasse von Software steht.




BPM-Software ermöglicht somit eine massive Komplexitätsreduktion, denn verschiedene Ebenen, die zuvor völlig getrennt waren, werden nun in ein einheitliches System integriert:


• Modellierungsebene: Das identische Prozessmodell wird eingesetzt für die Analyse, Beschreibung und Ausführung von End-to-end-Businessprozessen


• Managementebene: Prozesse können zur Laufzeit überwacht, mit Echtzeit-Alerts und Eskalationsstufen versehen und on-the-fly angepasst werden.


• Integrationsebene: Es wird genau ein einziges Framework verwendet für die Integration aller Systeme und Teilapplikationen, unabhängig von Systemplattform, Programmiersprache, Objektmodell etc. Die Lücken im übergeordneten Geschäftsprozess zwischen den Einzelapplikationen, den sogenannten «islands of automation» (CRM, CMS, ERP, etc.) werden geschlossen. Neue Technologien (Web Services, XML-Schnittstellen etc.) ermöglichen dabei eine weit einfachere und zugleich dynamischere Integration der bestehenden Anwendungen. BPM-Software kann also auch verstanden werden als ein übergeordnetes Paradigma für die Enterprise Application Integration (EAI).
Durch das Aufkommen von BPM-Werkzeugen erhalten Marketing und Vertrieb vollkommen neue Möglichkeiten in der Prozessgestaltung. Damit wird sich auch das Verhältnis zwischen IT und Marketing radikal ändern. Diese Art Software gewährt der Business-Seite eine Unabhängigkeit von der darunterliegenden Technologie, wie dies seit dem Siegeszug der IT noch nie der Fall war. Die IT dagegen wird auf den ihr gebotenen Platz verwiesen: Sie verliert den lange gelebten Selbstzweck und wird den Anforderungen des Business untergeordnet.





Wechselnde Kanal-Bedürfnisse im Verlauf eines Kaufzyklus


Der Autor

Marcel Altherr ist Managing Partner und CEO der Metaversum AG in Zürich. Er war Gründer und CEO der Softwired und amtete später als CEO der Pixelpark (Schweiz) AG.
Günter Bader ist Managing Partner bei der Metaversum AG in Zürich. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Linz/Österreich arbeitete er mehrere Jahre als Bereichsleiter «Neue Medien» am Forschungsinstitut für Absatz und Handel (FAH) der Hochschule St. Gallen (HSG).




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