Konkurrenzdruck lässt Lizenzpreise purzeln

Die Hersteller kommen immer mehr unter Druck. Einige Anbieter haben sogar damit begonnen, ihre Software zu verschenken, nur um beim Kunden einen Fuss in die Tür zu bekommen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/18

     

Ein typisches Beispiel unter vielen: InfoWeek liegen die Offertsummen einer Software-Ausschreibung der Fachhochschulen Luzern vor. Offeriert hatten PWC Luzern und BDO Visuro (beide Abacus) für 2,99 respektive 2,78 Millionen Franken, Opus Solution für 2,02 Millionen Franken sowie SAP Schweiz für 1,35 Millionen Franken. Der Auftrag ging an den Schweizer Ableger des deutschen Softwarehauses SAP – und bei den anderen Anbietern war deswegen schnell Feuer im Dach, denn das Gesamtangebot von SAP liegt inklusive Lizenzen unter den Kosten, die andere Anbieter in derselben Ausschreibung nur schon für die Dienstleistungen gerechnet hatten. Die Vermutung: Hier werden Lizenzen verschenkt, um sich ein Projekt zu «kaufen».


SAP mit Spezialrabatten

Dem sei nicht so, hält Hansruedi Kuster, Marketingleiter von SAP Schweiz, dagegen: «Unser Angebot basiert auf dem von SAP-CEO Henning Kagermann vor rund fünf Jahren initiierten Hochschul-Programm, in dessen Rahmen Hochschulen ungewöhnlich hohe Rabatte auf Lizenzpreise erhalten.» Dieser Schritt werde als «Investition in das Bildungswesen» betrachtet und stelle ein langfristiges Investment dar: «Jemand, der die Arbeit mit unseren Applikationen schon in der Ausbildung gelernt hat, wird sich später sicher daran erinnern», erklärt Kuster.
Als zusätzlich preissenkend habe sich im konkreten Fall auch der Umstand erwiesen, dass der Implementierungspartner Process Partner aus St. Gallen die Einführung auf der Basis von vorgefertigten Templates vornehmen könne. Die Kosten für den so genannten Business Blue Print sowie die Prozessanalyse würden also wegfallen: «Ohne Template ist eine solche Einführung im Bildungswesen fast nicht finanzierbar», so Kuster abschliessend.






Man kann Kagermanns Hochschul-Initiative sehr wohl als «Unterstützung des Bildungswesens» charakterisieren, durchaus aber auch als «Preisnachlass auf Lizenzen in strategisch wichtigen Märkten». Gemäss Insidern sollen die Hochschulen dadurch rund 40 Prozent günstiger zu ihren SAP-Lizenzen kommen als andere Kunden.
Auch in anderen Bereichen gilt bei SAP nicht immer der offizielle Lizenzpreis: So hat das Unternehmen einen länderspezifischen Rahmenvertrag mit der SIK (Schweizerische Informatik-Konferenz) abgeschlossen, der im wesentlichen kleinen öffentlichen Verwaltungen und Spitälern die gleichen Rabattierungen gewährt wie grösseren. Auch hier geschieht eigentlich nichts anderes, als dass man Kunden in strategisch wichtigen Bereichen mit Preisnachlässen entgegenkommt.


Navision zu Schleuderpreisen?

In einem zweiten Projekt, einer Softwareeinführung bei der Stadt Luzern, haben den offerierenden SAP-Partnern Asem Group, Bearing Point, IBM, Mummert Consulting und Novo Business Consultants aber selbst diese Spezialkonditionen nicht zum Sieg verholfen: Dort hat das Rennen nämlich die von Information Technology&Trust offerierte Microsoft-Software Navision gemacht. Besagtes Angebot lag im Durchschnitt 50 Prozent tiefer als die Beträge, die von den anderen Anbietern offeriert worden waren.





Die Resultate solcher Ausschreibungen lassen das Blut der beteiligten Anbieter kochen. Der Tenor: Wie sollen solche Preise möglich sein, ohne bei den Lizenzen massive Rabatte zu gewähren oder diese gar vollkommen kostenlos abzugeben? Bei der Stadt Luzern kommt noch hinzu, dass bei diesem Projekt unmöglich mit Templates gearbeitet werden konnte: «Eine Prozessanalyse wäre nötig gewesen. Es ist also unvorstellbar, wie Navision bei vollem Lizenzpreis so günstig sein will», bemerkt ein beim Auswahlprozess beteiligter Insider frustriert. Gerüchten zufolge unterhält Microsoft ein Konto für «Strategic Initiatives», worauf kostenlos abgegebene Software-Lizenzen für den gezielten Einkauf in gewisse Märkte verbucht werden können. Denn unter den US-GAP-Buchhaltungsrichtlinien wäre ein blosses Verschenken nicht möglich. Holger Rungwerth, Sprecher von Microsoft Schweiz, will dazu nichts sagen: «Marktgerüchte und Details zu Geschäftsbeziehungen kommentieren wir nicht», sagt er.






Für Adrian Krummenacher, Bereichsleiter Business Solutions bei Microsoft Schweiz, hat der niedrige Preis des Microsoft-Angebots vor allem zwei Ursachen: «Im Gegensatz zu einigen unserer Mitbewerber arbeiten wir mit mittelständischen Implementierungspartnern, die unter Umständen günstiger arbeiten als grosse Systemintegratoren wie IBM oder Bearing Point. Hinzu kommt auch, dass unser Partner IT&T eine Branchenlösung für öffentliche Verwaltungen auf der Basis von Navision entwickelt hat und somit nach bereits erfolgten Implementierungen bei der Stadt Baden und im Kanton Zug jetzt die Skaleneffekte nutzen kann».


Europa3000 mit lizenzfreiem Einstieg

Lizenzen nicht nur billiger, sondern ganz kostenlos: Das gibt’s seit einiger Zeit beim Schweizer Softwarehersteller Rotron. Im Rahmen seiner «Europa-3000-KMU-Initiative» gibt das Unternehmen den Kernel seiner ERP-Software mitsamt sechs häufig gebrauchten Businessprozessen sowie der Benutzung für bis zu drei Mitarbeiter lizenzfrei ab.




«Inzwischen haben wir auf diese Weise rund 8000 Pakete am Markt plaziert. Aus der Aktion, die zu unserem 25-jährigen Bestehen im März des vergangenen Jahres gestartet wurde, sind bisher etwa 3000 Kundenbeziehungen entstanden», verrät Rotron-Chef Ralph Stucki. Gedacht sei die lizenzfreie Abgabe primär dafür, dass Klein- und Kleinstkunden das Produkt einmal in Ruhe testen könnten: «Die Evaluation und die Inbetriebnahme einer Business-Software ist mit einigen Risiken verbunden, deshalb möchten wir es dem Kunden ermöglichen, die Software im konkreten Einsatz zu prüfen, bevor er weiteres Geld dafür ausgibt. Das ist gerade für kleinere Betriebe wichtig», so Stucki. Natürlich sei die nachträgliche funktionale Erweiterung der Software dann mit dem Kauf von Lizenzen verbunden. Stucki räumt denn auch ein, dass es sich in einem gewissen Sinn um ein «Lock-in» handle: «Wir machen aber die Erfahrung, dass nur begeisterte Kunden das System auch erweitern.» Ausgezahlt zu haben scheint sich die Strategie für Rotron allemal: Nach Angaben von Stucki sind inzwischen rund 30 Prozent des Lizenzumsatzes von Rotron direkte oder indirekte Früchte der KMU-Aktion. Die lizenzfreie Abgabe wird deshalb auch weiterhin fester Bestandteil der Vertriebsstrategie von Rotron bleiben, so Stucki.






Dass die Geschenk-Aktion von Rotron nicht überall ankommt, zeigt ein Eintrag auf der Webseite des Unternehmens: «Um ihre freien Kapazitäten auslasten zu können, haben im August dieses Jahres einige SAP-Business-One-Fachhändler nun auch zu eher fragwürdigen Mitteln gegriffen», heisst es da. Die Händler hätten sich Adresslisten mit den Installationen der wichtigsten Mitbewerber beschafft und diese Kunden dann telefonisch «massiv bearbeitet»: «Bei der Rotron gingen Anfragen von verunsicherten Kunden ein: Sie hätten von SAP-Business-One-Partnern erfahren, dass das Produkt Europa 3000 bald eingestellt oder die Herstellerin bald aus dem Markt austreten werde», heisst es dort weiter.
Der Zweck – soviel ist sicher – heiligt offenbar selbst beim Kampf um die kleinsten Kunden so gut wie alle Mittel.




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