Erfolgsfaktor Privatleben

Karriere vorantreiben ja, aber nicht um jeden Preis.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/42

     

Täglich 16 Stunden im Büro, keine Freizeit und durchgearbeitete Wochenenden - das waren bis anhin wichtige Faktoren für den Aufstieg auf der Karriereleiter. Doch ein Umdenken hat begonnen: Die Führungskräfte wollen mehr Lebensqualität. Das spüren auch viele Unternehmen und gehen verstärkt dazu über, über neue Formen der "sanften Karriere" für ihre Mitarbeiter nachzudenken. Denn immer mehr Arbeitnehmer lehnen eisernes Ellenbogen-Denken und (über)lange Arbeitszeiten mit wenig Freizeit ab.




Engstirnige Karriere-Streber, die - oft auf Kosten anderer - die Hierarchieleiter erklimmen, sind out. Grundsätzlich gilt: Geld und Prestige alleine reichen als Anreiz zur Berufswahl nicht mehr, vielmehr zählen heute Werte wie attraktive Arbeitszeiten, Sozialleistungen und Identifizierung mit den Grundsätzen der Firma. Die Studie "United States @ work 2000" belegt, dass 56 Prozent von 1800 befragten US-Managern statt einer Lohnerhöhung zielgerechte Benefitprogramme wünschen.


Nicht nur der Mitarbeiter profitiert

Auch Unternehmen können von der neuen Definition der Karriere profitieren. Mitarbeiter, denen Arbeitsinhalte wichtiger sind als nur ein möglichst hohes Gehalt, sind motivierter, leistungsbereiter und stehen zu ihrer Tätigkeit. Die neuen Werte lauten: Eigenverantwortung, wenig Hierarchien, Weiterbildungs-Chancen, Zeit für Hobbys und vor allen Dingen Spass an der Arbeit.



Und noch etwas ist neu bei der sanften Karriere: Der Karriereweg muss heute nicht zwangsläufig nach oben führen, sondern er kann auch die ganze Breite der Möglichkeiten abdecken. Der Zeitraum spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle, denn es ist auch möglich, sein ganzes Berufsleben hindurch Karriere zu machen, Schritt für Schritt in ein- und derselben Firma oder aber in unterschiedlichen Branchen.





Öfter mal abschalten

Viele Menschen sind ungeheuer diszipliniert, was ihr Zeitmanagement im Berufsleben anbelangt, überlassen aber ihre privaten Belange völlig dem Schicksal. Berufliche Termine haben immer Vorrang, so dass das Privatleben permanent zu kurz kommt. Lebensqualität heisst aber, sich mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben zu nehmen.



Um dieses Ziel zu erreichen, sollte man sich konsequent auch Privates in den Terminkalender eintragen und diese Termine als genauso wichtig erachten und wahrnehmen wie die geschäftlichen. Oder wie wäre es, wenn man Geschäftliches mit Privatem vermischt: Beispielsweise ein Meeting auf dem Golfplatz oder eine Besprechung in der Sauna?
Auch anspruchsvolle Hotels haben die Bedürfnisse der stressgeplagten Manager erkannt und setzen bei ihrer Marketingstrategie zunehmend auf das besondere Servicepaket für Wochenendbesucher und Kurzurlauber, die gezielt nach einem Ausgleich zum oft allzu stressigen Job suchen. Möglich ist beinahe alles: Wellnessweekends, Vitalworkshops, Tai Chi-Kurse und andere Programme versprechen schnelle Regeneration.





Wieviel Job verträgt die Beziehung?

Die grösste Herausforderung für Frauen und Männer im Business-Stress liegt im richtigen Gleichgewicht zwischen beruflichen Ambitionen und emotionalen Bedürfnissen des Familienlebens. Das ist nicht unmöglich, aber schwierig. Das Konfliktpotential ist schier unerschöpflich. Ehe und Beruf, Beziehung und Job sind nicht nur vielfältig miteinander verknüpft, sondern strahlen auch gegenseitig aufeinander aus, im guten wie im schlechten und manchmal unberechenbar.



"Viele Menschen entfliehen Eheproblemen, indem sie sich völlig in ihre Arbeit einbringen," sagt Ayala M. Pines, eine amerikanische Psychologin und Buchautorin. "Solche Menschen kommen meistens sehr früh zur Arbeit, gehen sehr spät wieder nach Hause und nehmen Arbeit mit nach Hause, um der Möglichkeit aus dem Weg zu gehen, sich mit ihrem Partner unterhalten zu müssen."




Wenn im Beruf ein Problem auftaucht oder sie eine Krise durchmachen, brechen sie tief ein: Denn wenn der Partner oder die Partnerin innerlich gekündigt hat, bleibt zu Hause nichts und niemand, auf den sie zurückgreifen können. Es kommt auf die Balance an: "Menschen, die Karriere und Familie erfolgreich miteinander verbinden, finden eine Möglichkeit, ein Gleichgewicht zu schaffen, und dieses Gleichgewicht schützt sie davor, sich zu stark in einer der beiden Rollen einzubringen", erklärt Pines. Wie eine sehr belastende Karriere sich auf die Beziehung auswirkt, hängt auch von den subjektiven Kosten und Belohnungen ab, die die Karriere des Mannes seiner Partnerin und die der Frau ihrem Partner bietet. Auf einem Bein kann keiner allein, aber auch kein Paar lange stehen.




Noch nicht überall gern gesehen

Es bleibt eine individuelle Entscheidung, welche Prioritäten sich ein Mensch in seinem Leben setzt. Sich bewusst mehr Zeit für das Privatleben zu nehmen, erfordert nach wie vor Mut. Denn wer das tut, muss leider weiterhin eher Nachteile im Beruf und besonders im Karriereverlauf in Kauf nehmen.



Persönliches Engagement wird zwar gern gesehen, doch bitte für die Firma und nicht auf Kosten der Arbeitszeit. Kaum jemand kann sich vorstellen, dass ein sogenannter High Potential, der jeden Mittag zwei Stunden im Fitnessstudio verbringt, einen besseren Eindruck macht als derjenige, der 14 Stunden arbeitet. Es gibt auch kaum einen Topmanager, der sich mit seiner Partnerin die Babypause teilt oder seine Arbeitszeit flexibel gestaltet, um regelmässig sein Kind zu betreuen.




Gerade in der heutigen Krise steigt in den meisten Firmen der permanente Leistungsdruck, besonders in den oberen Etagen. Diesem Druck entziehen sich die wenigsten, aus Angst vor Karriereverlust. Und welche Führungskraft hält sich nicht für unverzichtbar? Da ist es mit einem Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben noch nicht weit her und alte Muster haben längst nicht ausgedient.



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