Selbstverteidigung in Worten
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/38
Etlichen Führungskräften fehlen zur rechten Zeit die rechten Worte. Viele wünschen sich, am Arbeitsplatz, in Meetings oder im Alltag den Frontalangriffen der Kollegen oder des Chefs mit souveränem Witz zu begegnen. Denn Schlagfertigkeit erweist sich oft als beste Waffe im Kampf gegen die feinen und groben verbalen Nadelstiche. Schlagfertigkeit ist aber nicht nur ein Instrument, um sich selbst zu verteidigen.
Wer schlagfertig ist, erwirbt sich auch leicht die Sympathien seiner Mitmenschen. Doch das ist schwieriger, als man annimmt. Denn es ist immer ein Balanceakt zwischen Originalität, Selbstironie und Nervensägerei - sehr viele stürzen ab. Die Gefahr zu scheitern, ist wesentlich grösser als bei der schlagfertigen Selbstverteidigung. Woran liegt das? Wer sich schlagfertig verteidigt, hat einen guten Grund. Wenn er sich mit Witz aus der Affäre zieht, bringt ihm das Sympathien ein. Wer hingegen aus dem Stand schlagfertig ist, Fragen grundsätzlich verblüffend, originell und mit Humor beantwortet, hat einen schwereren Stand. Ihm unterstellt man leicht Geltungssucht und Selbstgefälligkeit und das oft nicht grundlos.
Heute geben die sogenannten "weichen Faktoren" wie kommunikative Kompetenz, Sozialverhalten und Teamfähigkeit den Ausschlag für den beruflichen Erfolg. Gute Zeugnisse und Fachkompetenz werden meistens einfach vorausgesetzt. Amerikanische Erfolgstrainer behaupten sogar, der berufliche Erfolg basiere nur zu 20 Prozent auf Fachwissen.
Gekonnt zu kontern ist weniger die Kunst, ironische Bemerkungen auszuteilen, als die Fähigkeit, mit rhetorischem Geschick verbalen Attacken zu begegnen. Souveränität ist auch deswegen das Fundament einer gelungenen Kommunikation, weil souveräne Menschen seltener angegriffen werden. Sobald sie auftreten, ändert sich etwas im Raum. Sie flössen anderen nicht nur Respekt ein, sondern haben auch ihre Überzeugungs- und Wirkungsmittel im Griff. Erfolgreiche Verhandlungskünstler verdanken ihre Wettbewerbsvorteile ihrem kommunikativen Geschick. Oft kommt es darauf an, ein klein wenig besser zu sein als die anderen. Gerald Lanzerits, Regional Director Central Europe von Salesforce.com betrachtet Schlagfertigkeit als notwendiges Feature um Karriere zu machen. "Fehlende kommunikative Kompetenz und ein Defizit an emotionaler Intelligenz sind im Berufsleben grosse Hindernisse", vertritt er seine Meinung und weiter: "Schlagfertigkeit heisst für mich, eine Situation schnell zu erkennen und sofort zu reagieren." Gerade bei internationalen Meetings müsse man sich im Augenblick der Situation stellen. Es gebe kaum eine zweite Gelegenheit für eine Reaktion. Und Tage danach wären Äusserungen zu einem bestimmten Thema oft unangebracht.
"Der Ton macht die Musik" - dieses Sprichwort bringt es auf den Punkt: Es kommt auf die Formulierung an und letztendlich ist es der andere, der entscheidet, wie es bei ihm ankommt. Schlagfertige Menschen brauchen zunächst ein intaktes Selbstbewusstsein, sie müssen Ängste und Hemmungen ablegen, um frei, spontan und kreativ auf ihr Umfeld zuzugehen. Psychologische Tricks, rhetorische Kniffe und logisches Vorgehen können das überzeugende Auftreten dann abrunden - sie sind aber kein Ersatz für ein stabiles Ego.
Schlagfertigkeit lässt sich trainieren - in Kommunikationsseminaren ebenso wie im täglichen Umgang mit Mitarbeitern, Vorgesetzten und Kollegen. Allerdings bringt es wenig, sich im Schnellverfahren nur einige Patentrezepte anzueignen. Beim Trainieren eines wortgewandten, sicheren Auftritts geht es auch nicht um Techniken, wie man andere Menschen "mundtot macht", "niederbügelt", oder "an die Wand drückt". Zumindest sollte es das nicht, auch wenn etliche Menschen genau das erwarten. Worauf es dagegen wirklich ankommt, ist, in kritischen Situationen mehr Souveränität auszustrahlen. Denn der Grund für mangelnde Schlagfertigkeit liegt oft darin, dass sich Menschen in unangenehmen oder ungewohnten Situationen unsicher fühlen. Und wer unsicher ist, findet keine überzeugenden Worte. Greifen verunsicherte Menschen in ihrer Hilflosigkeit auf angelesene Floskeln und Phrasen zurück, so nimmt der Gesprächspartner sie ihnen nicht ab. Denn ein verlegener Mensch kann Schlagfertiges nicht schlagfertig rüberbringen, Ausstrahlung und Worte klaffen auseinander. Der Projektleiter kann inhaltlich noch so gut kontern, mit rotem Kopf und nervöser Stimme macht er sich lächerlich.