Personalschwund und keiner weiss warum

Vorgesetzte wundern sich über die häufiger werdenden Kündigungen langjähriger Mitarbeiter. Dabei liegen die Gründe auf der Hand.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/34

     

"Für die Gabe, Menschen richtig zu behandeln, zahle ich mehr als für jede andere Tätigkeit unter der Sonne" - diese Aussage eines chinesischen Kaisers sollten sich Führungskräfte immer wieder vor Augen halten. Dass in Unternehmen Mitarbeiter durch Mobbing vergrault werden, ist bekannt. Dass auch sehr gute Mitarbeiter durch unbewusste Managementfehler und falsche Personalpolitik zur Kündigung getrieben werden, weiss eigentlich auch jeder - aber keiner spricht es aus. Ruedi Sprecher ist zusammen mit seinem Partner Marzio Medici von der Unternehmens- und Personalberatung Medici & Sprecher in Luzern nach vielen Interviews mit Führungskräften und Fachspezialisten zum Schluss gekommen, dass der häufigste Grund, warum jemand seinen Job wechseln will, nicht ein als zu tief empfundenes Einkommen, sondern in Mängeln in der Führung zu suchen ist.


Neue einstellen statt Alte pflegen

Gute Mitarbeiter, diese Aussage würde jeder Chef unterschreiben, sind unverzichtbar. Ohne ausreichend viel gut qualifizierte Menschen läuft weder in Fabriken noch in Dienstleistungsbetrieben etwas. Auch keine noch so teure und vollautomatische Maschine kann ohne Bedienungs- und Wartungspersonal auskommen. Nur mit guten Leuten kann sich ein Unternehmen heute im harten Kampf behaupten. Für die Rekrutierung dieser Mitarbeiter wird ein beträchtlicher Aufwand betrieben: angefangen bei teuren Stelleninseraten, über spezielle Scouting-Veranstaltungen bis hin zu Abwerbung per Headhunter.



Der Spruch "Gute Mitarbeiter sind unbezahlbar" scheint allerdings nicht für Mitarbeiter zu gelten, die bereits in der Firma angestellt sind und über Jahre hinweg gute Leistungen gezeigt haben. Für die Chefetage sind sie ein Teil des Inventars, in dessen Pflege sie möglichst wenig investieren möchten. So werden Bitten um eine Gehaltserhöhung oder um Förderung durch Schulung und Kurse vom Management als nichtig abgetan.




Wenn sich die Führungskräfte nur ein klein wenig sensibler verhielten und bestehende Mitarbeiter zu schätzen wüssten, wäre es völlig unnötig, dass Neueinstellungen zum Anlass von Kündigungen bestehender Kollegen werden.




Zuviele Regeln verhindern die Selbstverantwortung

Wo viele Menschen zusammen kommen, ist Organisation unerlässlich. Gerade in grossen Unternehmen sind Regeln die Grundvoraussetzung für die funktionierende Zusammenarbeit. Sie sind ein Mittel zum Zweck. Allerdings tun viele Unternehmen zu viel des Guten. Vor lauter Organisation und Regeln wird vergessen, was Ziel und Aufgabe ist. Zu viele Regeln nehmen dem Mitarbeiter jede Selbstverantwortung. Sie degradieren den Mitarbeiter zum kleinen Rädchen, das seine Funktion zu erfüllen hat. Auch wenn Firmen so etwas natürlich nie laut äussern würden, spricht die detaillierte Regelung eine eigene Sprache: "Um selbst Entscheidungen zu treffen, sind unsere Mitarbeiter zu dumm. Deshalb übernehmen wir das für euch. Wir brauchen nicht eure ganze Person, sondern nur eure Funktion." Es verwundert angesichts dieser Tatsache nicht, dass sich die Mitarbeiter nicht besonders stark mit den Unternehmen identifizieren. Sich als Sklave gewisser Regeln zu sehen, frustriert und ärgert. Fast täglich werden Kündigungen geschrieben, weil es Mitarbeiter nicht aushalten, dass Regeln wichtiger genommen werden als ihre eigenen Bedürfnisse.





Wissen ist Macht

Wer das Wissen hat, besitzt die Macht. Viele Chefs sind sich dieser Aussage sehr wohl bewusst. Leider ändert das nichts an ihrem Verhalten ihren Mitarbeitern gegenüber. Sie enthalten ihnen wichtige Informationen - sei es absichtlich, sei es aus Bequemlichkeit oder einfach aus Nachlässigkeit. Damit unterdrücken Vorgesetzte beim Mitarbeiter jedes Gefühl der Wichtigkeit und der Wertschätzung. Leider kommt dieses "Vorenthalten wichtiger Informationen" viel häufiger vor, als man denkt. Die Spitze wird allerdings erreicht, wenn dem Mitarbeiter nicht gesagt wird, was seine Aufgabe ist oder woran der Erfolg gemessen wird. Gerade viele Neueingestellte sitzen tagelang an ihren Schreibtischen und fragen sich, was eigentlich von ihnen erwartet wird. Zum Glück findet sich in solchen Situationen oft ein Kollege, der sich ihnen annimmt und sie informiert.





Mangelndes Vertrauen

Es gibt nichts Schlimmeres als Vorgesetzte, die glauben, ihre Mitarbeiter auf Schritt und Tritt kontrollieren zu müssen. Gleichgültig ob Planung, Entscheidung, Ausführung oder Kontrolle: Sie sind immer zur Stelle und kümmern sich um jedes Detail. Sie wissen alles besser und löchern selbst bei den unbedeutendsten Sachen die Mitarbeiter mit tausend Fragen. Nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg dahin wird genauestens überprüft. Dieses Micro-Management, wie es in der Fachsprache genannt wird, löst bei dem Mitarbeiter eine Flut von Gefühlen aus. Zuerst ist er ärgerlich, dann verunsichert und zu guter Letzt völlig gleichgültig - er geht nur noch zur Arbeit, um Ende Monat seinen Lohn zu empfangen. Je länger dieser Zustand andauert, desto unselbständiger wird der Mitarbeiter. "Die Leute in unseren Interviews beklagen sich beispielsweise oft darüber, dass der Chef alle Macht an sich reisse und alles bis ins letzte Detail selbst entscheiden wolle", erzählt Ruedi Sprecher und fährt fort: "Die logische Konsequenz daraus: Das Vertrauen in die Führung geht verloren."



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