Editorial

Die Welt 2.0 beruht auf Vertrauen


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/16

     

Meine Ferien buche ich schon seit Jahren übers Internet. Das ist an sich nichts besonderes, denn das machen heute viele. Allerdings haben genauso viele Angst davor, weil ihnen das Vertrauen fehlt. Mit dem Medium Internet an sich hat das immer weniger zu tun.




Statt dessen drängt sich ein genereller Vertrauensverlust in Anbieter und deren Marketing in den Vordergrund. Denn – und das haben inzwischen fast alle gelernt – auch das moderne Papier ist geduldig. Schöne Bilder und eine fancy Website sind keine Garantie für ein gutes Produkt. Und angesichts aktueller Skandale um bleibelastete Spielzeuge und Kleidungsstücke schwindet die Gunst des Konsumenten im allgemeinen und im besonderen. Weiterhin vertrauenswürdig sind Freunde und Familie sowie die guten Erfahrungen anderer. Dass das Vertrauen in dieses «Meinungswissen» (z.B. Wikis) zunimmt, geht aus der Studie «Vertrauen 2.0» des Gottlieb Duttweiler Instituts hervor. Die gesammelte Meinung anderer Konsumenten zählt heute mehr als jeder noch so brillante Experte. Auch ich habe mich diesen Sommer in einen Verbraucher 2.0 verwandelt, der ein Häuschen mit schlechten Bewertungen gar nicht erst anklickt.




In unserer Gesellschaft, in der nicht einmal mehr die Hälfte glaubt, dass man Menschen im allgemeinen vertrauen kann, wird die individuelle Konversation, die gegenseitige Vernetzung und die reibungslose Zusammenarbeit immer grösser geschrieben. So gross, dass man bereits jetzt vergisst, dass die Individuen, mit denen man es beispielsweise in Web-2.0-Bewertungen zu tun hat, genau zu dieser Allgemeinheit gehören, die man gar nicht kennt und der man generell ja eben nicht mehr vertraut. Es scheint ausreichend zu sein, dass ein Name bei einer Meinung steht und die ja jemand geschrieben haben muss; ein Mensch also, der genau zu dem, was mich interessiert, seine Erfahrungen veröffentlicht hat. Das entbehrt jeglicher Logik – es muss wohl ein psychologisches Problem sein.




Interessant dürfte sein, wie die vielgescholtenen Anbieter auf das Web 2.0 reagieren und vor allem wie deren Marketing 2.0 sich die neuen Errungenschaften zunutze macht. Web 2.0 ist ganz klar Teil des Lebens der nächsten Generation, und wenn einige Experten meinen, dass RSS dem E-Mail das antun wird, was
E-Mail damals dem Fax angetan hat, könnten sie damit Recht haben – obwohl man denen
ja eigentlich nicht mehr vertrauen sollte, weil sie noch zur Welt 1.0 gehören.




Web 2.0 ist für Unternehmen ein mächtiges Instrument für die interne Kommunikation und ein neuer Kommunikationskanal nach aussen. Findige 2.0-Leute bauen an neuen Werkzeugen und Theorien, und so entstehen in rasendem Tempo Blikis, Glogs, Vlogs, Moblogs, Wiki­nomics und andere interessante Dinge, die die Welt 1.0 bedrohen. In Zukunft ist «Peering» wichtiger als Hierarchien und «Sharing» bringt mehr als Patente. Denn nur wer bis zu einem gewissen Grad offen ist – und zwar wesentlich offener als heute –, wird von den Vorzügen des Web 2.0 profitieren können. Ein Blog allein macht noch kein Unternehmen 2.0, aber es ist ein guter Anfang und schafft bekanntlich Vertrauen 2.0. Mein Arbeitskollege 2.0 ist übrigens schon einen Schritt weiter: Er ist «Couch Surfer» – der teilt sogar sein Wohnzimmer 2.0.




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