ITIL Version 3: Zurück in die Zukunft
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/13
Der erste Blick vermag den einen oder anderen etwas verwirren. Insbesondere die Farben der neuen Bücher können möglicherweise Depressionen auslösen. Der zweite Blick stellt die innere Ruhe des ITIL-Jüngers wieder her, denn die Inhalte von ITIL haben sich nicht wirklich geändert. Der Erfolg der Best Practice Empfehlungen basiert immer noch darauf, dass die Services auf den Nutzen des Kunden ausgerichtet werden, die Risiken von Änderungen minimiert und Störungsmeldungen korrekt und vollständig erfasst sowie erkannte Fehler systematisch eliminiert werden.
Version 2 war also in acht Bücher unterteilt. Zum Einsatz kamen dabei meist nur die beiden Bücher des Service-Management, das heisst Service Delivery und Service Support. Das hat natürlich viel damit zu tun, dass sich die ITIL-Trainings und auch die Zertifizierungen auf diese Management-Disziplinen in Kombination mit Security-Management beschränkten. Dabei gingen viele wertvolle Hinweise aus der ganzheitlichen Betrachtung verloren.
Mit der Version 3 ist das Ausbildungsspektrum breiter geworden. Waren es bisher 11 «Prozesse», so sind es künftig 25 Kernbereiche, die ausgebildet und geprüft werden. Durch die Abstraktion der Leistungen der IT in den Service-Management-Prozessen hat sich dem Markt ein vollständig neues Bild der IT-Prozesslandschaft gezeigt. Bestehende Arbeitsstrukturen wurden in der Folge zerstört und mussten neu aufgebaut werden. Der Mitarbeiter wusste am Ende oft nicht mehr, in welchem Prozess er sich gerade befindet. Dabei wollte er doch wie bis anhin einfach eine Störung beseitigen.
Ein Risiko in der Zukunft dieser Version (ich nehme dies aber nicht allzu ernst) sind die Ewiggestrigen, die sich nicht lösen und die nicht zu Fehlern der Vergangenheit stehen können. Sie machen die neue Version schlecht und nörgeln an allem herum. Sie bemängeln die unvollständige Konzeption und den zu grossen Raum für Interpretation. Natürlich sind einige Redundanzen erkennbar, und manchmal kann man sich den Eindruck nicht verwehren, dass die Schreiber die Tinte nicht halten konnten. Die Autoren der Version 3 – viele von ihnen waren schon an der Entwicklung von ITIL v1 beteiligt – haben im Laufe der Zeit immer mehr Wissen gesammelt. Sie tun sich offenbar schwer, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich auch an die selbst geforderten Prinzipien zu halten.
So sind zum Beispiel die Ziele der einzelnen Service-Management-Disziplinen anstatt smarter in der neuen Version eher unklarer geworden. Unklarheiten haben jedoch seit jeher bestanden, und das Business um ITIL herum lebt gut mit, oder besser gesagt, gerade wegen dieser Tücken.
Die derzeitige Unsicherheit in der Trainingssituation, verursacht dadurch, dass es zwei Akkreditierungsstellen mit zwei unterschiedlichen Ausbildungskonzepten gibt, macht mir etwas mehr Kopfzerbrechen. Nicht die Situation selber, sondern schon eher die Tatsache, dass der Markt durch unverantwortliches Verbreiten von offensichtlichen Unwahrheiten zusätzlich verunsichert wird.
Die IT kann aber mit der Version 3 aufatmen. ITIL spricht mehr denn je die Sprache der Praxis. Alle Inhalte sind als Ganzes zusammengefasst und auf den Lifecycle fokussiert. Mich stört dabei nicht, dass dieser Lifecycle schon in einer ähnlichen Form in ISO9004-2 im Jahre 1990 als weltweiter Standard publiziert worden ist, und noch weniger, dass das GAP-Modell von Parasuraman/Zeithaml und Berry aus dem Jahr 1988 endlich seinen Platz in ITIL gefunden hat. Das gibt mir die Gewissheit, dass nicht alles, was älter als zwei Monate ist, gleich schlecht sein muss und dass das Glück dieser Erde nicht nur in den Erkenntnissen der Zukunft liegt.
Die Chance der Version 3 liegt also darin, Service-Management als Ganzes zu betrachten, die abstrakte Ebene zu verlassen und das Vorhandene mit kleinen Schritten verbessern zu können – auch und besonders in kleinen und mittleren Organisationen.
1. Besinnen Sie sich wieder auf das, was Sie schon immer getan haben. Gewinnen Sie Vertrauen in Ihre Stärken und in Ihren Beruf.
2. Nehmen Sie den Service-Lifecycle (dabei spielt es keine wesentliche Rolle, ob Sie sich für den aus ITIL V3 oder den aus ISO 9004-2 entscheiden).
3. Schreiben Sie die Geschäftsvorfälle auf, die Sie aus der täglichen Praxis kennen, und ordnen Sie diese dem Service-Lifecycle zu. Vermeiden Sie dabei wenn immer möglich das Wort Management. (Wenn das Ergebnis mit Ihrem bestehenden Prozessmodell übereinstimmt, haben Sie Glück gehabt; wenn nicht werfen Sie das Prozessmodell einfach weg und zeichnen es neu).
4. Stellen Sie fest, wo Sie auf dem Lifecycle anhand der Symptome oder des festgestellten Impacts die grössten Defizite im Zusammenhang mit der Leistungserstellung erkennen können.
5. Konsultieren Sie ITIL oder besuchen Sie einen guten Kurs bei einem seriösen Anbieter, um Anregungen für Verbesserungen zu erhalten. Widerstehen Sie dem Versuch, Ihr Wissen auf einer «Kaffeefahrt» oder einem «Social Event» zu erweitern.
6. Prüfen Sie, welche Best-Practice-Empfehlungen in dem festgestellten Problembereich ungenügend umgesetzt sind.
7. Definieren Sie das Verbesserungsziel und initialisieren Sie eine entsprechende Initiative oder Projekt. Wenn Sie nicht unbeschränkt über Ressourcen verfügen, sollten Sie den grossen Wurf vergessen. Legen Sie kleine Entwicklungsschritte fest und definieren Sie, unter welchen Bedingungen Sie erkennen werden, dass Sie mit den Massnahmen Erfolg haben.
8. Setzen Sie die Verbesserungsmassnahmen um, kontrollieren Sie den Fortschritt und geben Sie der Organisation regelmässig Feedback. Zeigen Sie den Mitarbeitern, dass Sie als Führungskraft auch in schwierigen Zeiten zur Entwicklung stehen.
9. Lassen Sie sich gegebenenfalls von einem professionellen Organisationsentwickler helfen (Berater haben hier nichts verloren; Sie brauchen jemanden, der konstruktiv zupacken kann). Vergewissern Sie sich, dass der ausgewählte Experte wirklich zu Ihnen passt, das Lifecycle-Konzept tatsächlich verstanden hat und dass er Ihr Geschäft nicht nur vom Zusehen kennt. Scheiden Sie Trittbrettfahrer und Goldgräber aus.
10. Helfen Sie Ihren Mitarbeitern über die Hürden. Räumen Sie Motivationshindernisse aus dem Weg. Lassen Sie Routinearbeiten üben, bis es so klappt, wie Sie es möchten.
11. Zelebrieren Sie die Erfolge. Lassen Sie sich durch die Kritikaster die Freude an der kontinuierlichen Verbesserung nicht nehmen.
12. Wenden Sie sich dem nächsten Problem zu und beginnen Sie wieder bei Punkt 4.