Vorteile zuhauf: SOA in der Praxis
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/12
Eine Service-orientierte Architektur (SOA) gilt als Fundament für Agilität: Bausteine aus bestehenden Geschäftsprozessen lassen sich wiederverwenden, die Entwicklungskosten sinken, die Innovationsgeschwindigkeit nimmt zu. Diese Flexibilität ist in einem sich rasant verändernden wirtschaftlichen Umfeld nicht mehr nur ein Wettbewerbsvorteil, sondern in zunehmendem Masse eine Grundvoraussetzung, um zu überleben.
Wenn auch die Vorteile einer SOA heute bei Entscheidungsträgern in der IT und im Management hinreichend bekannt sind, setzen sich entsprechende Installationen nur langsam durch. So stellte das US-Marktforschungsunternehmen Saugatuck Technologies kürzlich in einer Untersuchung fest, dass sich nur eine Minderheit von Unternehmen ernsthaft mit dem Konzept beschäftigt. Bei den meisten SOA-Projekten handle es sich um abteilungsbezogene Installationen oder kleinere Vorhaben statt um unternehmensweite, managementorientierte Initiativen, meinen die Marktforscher.
Wie präsentiert sich die SOA-Grosswetterlage in der Schweiz? Ein Blick in die Praxis offenbart Erstaunliches: Auch hierzulande finden sich Cases von mittelständischen Unternehmen, die mit durchdachten Projekten vorpreschen und deren Investitionen sich nach kurzer Zeit schon auszahlen. So setzt etwa die Interkantonale Landeslotterie Swisslos bei ihrer Internet-Plattform, mit der sie den elektronischen Absatzkanal betreibt, auf eine SOA. Und der Schweizer Lieferant von Fahrzeug-Ersatzteilen, Technomag, entwickelte basierend auf einem Service-Hub verschiedene E-Business-Lösungen gleichzeitig.
Der Markt für Online-Wetten ist sehr dynamisch und hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Über das Internet drängen auch grosse, internationale Glückspiel-Anbieter illegal in die Schweiz. Die Interkantonale Landeslotterie Swisslos aus Basel, unter anderem Anbieterin von Swiss Lotto, Euro Millions sowie der Sportwette Sporttip, stand deshalb unter Zugzwang. Mit www.swisslos.ch wollte sie eine moderne Online-Spielplattform schaffen, die als zusätzlicher Absatzkanal das Angebot an den Kiosken komplettieren sollte. Hinzu kommt, dass sich die Kundenbedürfnisse über die Jahre verändert haben. Mit der neuen Internet-Plattform will das Unternehmen vor allem auch eine jüngere Zielgruppe für seine Lotterie- und Wettspiele gewinnen.
Verantwortlich für die Entwicklung der technischen Plattform, das Projektmanagement und die Schnittstellenentwicklung zeichnet der Zürcher Software-Integrator und SOA-Spezialist emineo als Unterakkordant der SCIS. Im Zentrum der Lösung steht eine in der Spezifikation J2EE (Java Platform, Enterprise Edition) und basierend auf einer Service-orientierten Architektur entwickelte Plattform. Diese stellt verschiedene Dienste, die den Verkauf aller Spielprodukte unterstützen, zentral als Web Services zur Verfügung, etwa die Verwaltung der Benutzerdaten und das Führen der Spielerkonten («Wallet») oder die Neuregistrierung. Um diese Services-Plattform herum gruppieren sich die Applikationen für die verschiedenen Online-Wetten. Der gewählte Ansatz hat den Vorteil, dass die zentralen Dienste allen Anwendungen zur Verfügung stehen und nicht überall separat enthalten sein müssen. Die Integration von neuen Spielen an diese «Internet-Spiele-Plattform» gestaltet sich dank dem SOA-Modell mühelos und schnell. Hinzu kommt, dass sich die Benutzer nur einmal anmelden müssen, um verschiedene Spielprodukte zu nutzen.
Über eine Schnittstelle ist die SOA-Plattform an das zentrale Spielsystem von Swisslos angebunden. Auf diesem läuft die gesamte Abwicklung und Verbuchung aller Spiele, für Kiosk- und Internet-Teilnahmen gleichermassen. Zusätzliche Schnittstellen gibt es auch zum Sportinformationsystem «Betradar» sowie zu einem Content Management System (CMS), in dem die Inhalte der verschiedenen Webanwendungen verwaltet werden. Letzteres erlaubt Swisslos einen gezielten Dialog mit den Benutzern. Mit der neuen Plattform wurden die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass künftige Produkte mühelos eingebunden und sofort über den Internetkanal angeboten werden können. Der strikt modulare Aufbau unterstützt nicht nur die Integration neuer Spiele, sondern er erlaubt es auch, schnell und flexibel auf sich ändernde Kundenbedürfnisse zu reagieren. Bereits erfolgt ist seither auch die Integration des in weiten Teilen Europas beliebten Lottoproduktes Euro Millions.
Vor anderen Herausforderungen stand Technomag, der Berner Lieferant von Auto-Teilen. Alle drei Verkaufsgesellschaften des Unternehmens sollten individualisierte E-Shop-Lösungen erhalten. Weil gleichzeitig die bestehenden Host-Systeme durch SAP abgelöst wurden, entschied sich Technomag für den Aufbau einer vollständig neuen E-Business-Infrastruktur auf der Basis einer Service-orientierten Architektur. Emineo ist für den Aufbau dieser neuen Infrastruktur ebenfalls verantwortlich.
Das elektronische Katalogsystem des Unternehmens enthält Daten zu rund 10’000 Fahrzeugen und deren Merkmalen. Diese Daten sind mit den Artikelstammdaten aus dem Host-System verknüpft. Zusammen mit dem Host-basierten Bestellsystem bildeten Katalogsystem und Artikelstammdaten die Grundlage für den Aufbau der neuen Shop-Anwendung. Die drei Verkaufsgesellschaften stützen sich zwar weitgehend auf dieselben Prozesse, unterscheiden sich aber im Unternehmensaufbau und in den Detailfunktionen. Naheliegend war es angesichts dieser Unterschiede also, alle gemeinsamen Funktionen des Bestell- und Katalogsystems in einen Service-Hub zu integrieren und von dort aus als gemeinsame Dienste in Form von Web Services zur Verfügung zu stellen. Dieser Ansatz erlaubt es den unterschiedlichen B2B-Anwendungen, gemeinsame Funktionen wie Katalogsuche oder Bestellungsabwicklung aus dem zentralen Hub heraus zu nutzen. Die Eigenheiten der Verkaufsgesellschaften dagegen werden nur im jeweiligen Shop berücksichtigt.
Dank dem modularen Ansatz kann der Funktionsumfang im Service-Hub problemlos und laufend erweitert werden. Ein späterer Ausbauschritt bestand etwa darin, technische Zusatzdaten wie Einstelldaten für Fahrzeuge, Montageanleitungen oder Arbeitswerte in die E-Shops zu integrieren. Diese Daten werden nicht von Technomag selber gesammelt und gepflegt, sondern von einem externen Lieferanten bezogen. Hier erlaubte die SOA, Funktionen und Daten über den zentralen Service-Hub einzubinden und den E-Shops als einheitliche Services zur Verfügung zu stellen.
Anspruchsvoll war für die Projektverantwortlichen die Umstellung vom Host-System auf SAP, insbesondere deshalb, weil die
E-Business-Umgebung während der Transitionsphase laufend ausgebaut und erweitert wurde und sämtliche Änderungen im neuesten SAP-Gesamtrelease enthalten sein mussten. Der stark modularisierte Ansatz erlaubte es, laufende Anpassungen jederzeit in den SAP-Release einzubinden, ohne die Arbeiten an der
E-Business-Plattform zu stören.
Auch während der Umwandlung konnten die Kunden ihre Bestellungen immer online aufgeben. Weil der Umsatz über die E-Shop-Anwendungen stetig zunahm, implementierte Technomag zusätzlich zu den B2B-Shops auch einen Endkundenshop (www.carfashion.ch). In diesem können Endkunden ihre Auto-Teile direkt bei den B2B-Kunden der Technomag bestellen. Auch dieser zusätzliche E-Shop konnte dank der SOA-Bauweise schnell und einfach am zentralen Service-Hub angebunden werden.
Wie die beiden vorgestellten Cases zeigen, stellt die Implementierung einer SOA-Infrastruktur einen wichtigen Differenzierungsfaktor und Wettbewerbsvorteil dar. Beide machen den grössten Vorteil von SOA deutlich: Die Wiederverwertbarkeit von gemeinsam genutzten Anwendungsfunktionalitäten, die als Web Services an einem zentralen Ort abgelegt sind, ermöglicht es, neue Applikationen viel schneller als bisher zu entwickeln und in die Prozesse einzubinden.
Durch den modularen Aufbau der neuen Web-Plattform sowie der Entkoppelung der zentralen Dienste von den Spiele-Applikationen gewinnt die Lotteriegesellschaft Swisslos ein Maximum an Flexibilität. Während früher jedes neue Online-Spiel von Grund auf neu entwickelt werden musste, vereinfacht jetzt die Auslagerung der zentralen Dienste als Services die Einführung neuer Online-Produkte und verkürzt die Integrationszeiten drastisch.
Auch das Beispiel Technomag verdeutlicht den wichtigsten Vorteil von SOA: Weil die Grundfunktionalitäten jeder E-Business-Applikation im zentralen Service-Hub bereitgestellt sind, müssen diese nicht für jede Shop-Lösung neu programmiert werden. Sollen die Grundfunktionalitäten des Katalog- und Bestellwesens abgeändert werden, genügt es, dies einmal und an zentraler Stelle zu tun. Die ursprünglich gar nicht geplante Einführung eines Endkundenshops bei Technomag ist das Resultat dieser neu gewonnen Flexibilität.
Die beiden Cases verdeutlichen aber auch eine andere überraschende Tatsache: SOA wird zwar oft als Thema für Grossunternehmen wahrgenommen, den grössten Nutzen aus diesem Konzept ziehen heute aber die KMU. Sie haben keine über Jahrzehnte gewachsene, überkomplexe und heterogene IT-Systemlandschaft. Deshalb sind sie auch in der komfortablen Lage, ihre ganze IT oder grosse Teile davon schnell umstellen und ein neues Konzept wie SOA umfassend implementieren zu können. Während die meisten Konzerne derzeit noch unschlüssig sind, wann und wie sie mit der Umsetzung einer SOA-Strategie beginnen sollen, können mutige KMU schon heute auf die Karte SOA setzen und sich einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Firma
Swisslos, www.swisslos.ch
Lösungsanbieter
Swisscom IT Services, www.swisscom.com/it-services;
Emineo, www.emineo.ch
Branche
Lotteriespiele und Sportwetten
Problemstellung
Die interkantonale Landeslotterie Swisslos benötigte eine neue Online-Plattform für ihre Wetten, die als zusätzlicher Absatzkanal das Angebot an den Kiosken komplettieren sollte.
Lösung
Dank einer SOA-Plattform können verschiedene Dienste, die den Verkauf aller Produkte unterstützen, zentral als Web-Services zur Verfügung gestellt werden.
Erzielter Nutzen
Die Anbindung von neuen Spielen an die Plattform gestaltet sich heute mühelos und schnell.
Firma
Technomag, www.technomag.ch
Lösungsanbieter
Emineo, www.emineo.ch
Branche
Auto-Teile-Handel
Problemstellung
Die verschiedenen Verkaufsgesellschaften von Technomag sollten individualisierte E-Shops erhalten.
Lösung
Integration aller gemeinsamen Funktionen des Bestell- und Katalogsystems in einen zentralen Service-Hub, der diese in der Form von Web Services allen Shops zur Verfügung stellt.
Erzielter Nutzen
Problemlose Erweiterung des Funktionsumfangs im Service-Hub und einfache Anbindung von neuen Shops dank der SOA-Infrastruktur.