Editorial

Willkommen beim MP3-Mann


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/09

     

Als ich jüngst mit Karlheinz Brandenburg beim Kaffee sass, wurde mir bewusst, dass es ohne diesen Mann und sein Team keinen iPod gäbe. Kein iTunes, keine Jogging-Playlisten, kein File-Sharing und keine Podcasts. Es gäbe weder Napster noch Kazaa, und auch die englischen «Arctic Monkeys» oder der französische Rapper Kamini wären ohne Brandenburg wohl noch unbekannte Möchtegerne.
Brandenburg ist der Erfinder von MP3. Klar, wenn MP3 nicht entwickelt worden wäre, wären andere Formate aufgetaucht, die demselben Zweck dienen. Aber Geschichte wird nicht mit «Wenns» gemacht.






Brandenburg erzählte mir seine Geschichte, die in den 70ern begann, als sein Doktorvater, Professor Seitzer von der Universität Erlangen, künftige Anwendungsmöglichkeiten von ISDN erprobte. Seitzer hatte um ein Patent für die Musikübertragung per ISDN nachgesucht; dieses wurde mit der Begründung abgelehnt, derlei sei nicht möglich. Die Thematik landete bei Brandenburg, und dieser startete Versuche mit verschiedenen Kompressions-Algorithmen. Es dauerte einige Jahre, bis er mit einem Verfahren, die Musiksignale mittels psycho­akustischer Maskierung zu komprimieren, einen Durchbruch verzeichnen konnte. Das Prinzip ist simpel: Wenn man Musik abspielt, werden leise Töne von lauten «überdeckt», und Brandenburg machte sich genau das zunutze, indem er verschiedene Frequenzen mit unterschiedlicher Genauigkeit wiedergab – quasi wegschnitt, was eh nicht zu hören war, wie er selber sagt.
Zur gleichen Zeit wurde das MPEG-Videoformat standardisiert. Was fehlte, war eine Methode für die Audio-Kompression. Brandenburg, derweil am Fraunhofer Institut, schickte seinen Vorschlag. Dieser wurde in den MPEG-Standard integriert – und hatte seinen Namen, eine Abkürzung für «MPEG Audio Layer 3».
Das war 1992. Danach war MP3 eine Zeitlang schlicht eine gute Technologie, aber nichts weiter. Es wurde bloss von einigen Radiosta­tionen genutzt, um ihr Programm über ISDN-Leitungen zu verbreiten – ironischerweise genau das, was Seitzer ursprünglich geplant hatte.




Schon bald aber wurde MP3 ins Zentrum des Interesses katapultiert. Zunächst wurden die PCs performant genug, um ohne teure Zusatzhardware die Dekodierung zu schaffen. Gleichzeitig kreierten die Fraunhofer-Leute eine Shareware-Demo, um die Möglichkeiten des Formats zu zeigen. Ein australischer Student benutzte eine gestohlene Kreditkarte, um die Software online zu kaufen – eine Reverse-Engineering-Runde später hatte er ein neues User-Interface zu den Microsoft-APIs und dem Codierungs-Kernel geschrieben und vermarktete seine Kreation als Freeware (mit dem Hinweis «Thank you Fraunhofer»).





Das war natürlich illegal, aber es erreichte das Publikum – und verbreitete sich wie ein Flächenbrand. 1997 begannen amerikanische Studenten, die über High-Speed-Internetanschlüsse verfügten, CDs zu rippen und über Websites zu verteilen. Natürlich fand das die Musikindustrie nicht wirklich amüsant; sie startete zahllose Gerichtsverfahren.
Das führte 1997 zu einem Artikel in «USA Today», in dem die Platten-Label das neue Format als Technologie anprangerte, die «entwickelt wurde, um Musik zu stehlen». Damit sollte MP3 ein negatives Image gegeben werden – doch der Schuss ging nach hinten los. «Der Artikel war fabelhafte Werbung für MP3», sagt Brandenburg. Nur wenig später baute die koreanische Firma Saehan den ersten flash-basierenden MP3-Player mit 16 oder 32 MB Kapazität, den sie «MPMan» taufte. Auch hier sorgte die Musikindustrie mittels Gerichtsverfahren für viel Gratiswerbung.
Dann kam Napster. Es war das erste erfolgreiche File-Sharing-System – entwickelt, um die Angriffe der Musikindustrie gegen die Sites zu umgehen, die Musik anboten. Napster basierte auf dem Peer-to-Peer-Prinzip und benötigte keinen zentralen Server, der ausgeschaltet hätte werden können. Allerdings gab es einen zentralen Katalog – und hier lag Napsters Schwach­punkt. Seine Nachfolger wie etwa Kazaa konnten auch diesen Nachteil ausmerzen. Das war allerdings nie so geplant, wie Brandenburg erklärt: «Wir bei Fraunhofer vertraten immer die Meinung, dass die Rechte an geistigem Eigentum respektiert werden müssen.»





Ich fragte Brandenburg, was er von Apples iPod und iTunes halte: «Die haben einen guten Job gemacht, indem sie Dinge, die es bereits gab, verpackten und vermarkteten. Der erste MP3-Player war bereits 1998 erhältlich, und die Deutsche Telekom eröffnete ebenfalls 1998 einen ‚MOD‘ genannten Online-Shop für Music on Demand. Es gäbe weitere Beispiele, aber Apples Timing und Bundling – und natürlich das Design – waren schlicht unschlagbar.»




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