Editorial

ITIL als wirkungsvolles Mittel gegen KMU-Überstunden


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/07

     

Es ist wieder einmal soweit: Der IT-Verantwortliche M. wird eine Nachtschicht einlegen. Nach einem nervenaufreibenden Arbeitstag mit zahlreichen Störungsmeldungen lässt sich das nicht vermeiden. Eine fehlende Druckerkonnektivität bei S., ein
E-Mail-Blackout bei B. und beide Fehler gleichzeitig bei K. müssen behoben werden. M. ist ein gewiefter Techniker und weiss darum, dass er die Sache in den Griff bekommen wird. Nach fünf Überstunden wird er am nächsten Tag Lob und Schulterklopfen von allen Seiten ernten. Er wird als Held gefeiert werden, der aufgrund seines Genies einmal mehr «das Problem gelöst» hat. Das entschädigt ihn – bis zum nächsten Mal – für seine Überstunden.
So gut das Lob für das Selbstbewusstsein von M. sein mag, so problematisch ist der Fall für sein Unternehmen. Hätten er, seine IT-Mitarbeiter und auch das Firmenmanagement damit begonnen, die Betriebsprozesse nach den ITIL-Richtlinien (IT Infrastructure Library) aufzubauen, wüssten sie eines mit Bestimmtheit: Überstunden sind kein Ruhmesblatt, wenn sie aufgrund intransparenter Abläufe geradezu vorprogrammiert sind. Zudem wäre ihnen dann beispielsweise auch bewusst, dass «Störungen beheben» und «Probleme lösen» zwei Paar Schuhe sind.




Der obige Fall macht klar, dass die Diskussion überflüssig ist, ob ITIL auch für KMU geeignet sei oder nicht. Die simple Frage lautet vielmehr: Wie können KMU die in ITIL enthaltenen Angebote aus den «Best Practices» für sich nutzen und damit ein sinnvolles IT-Service-Management realisieren? Auf der einen Seite macht es keinen Sinn, das Rad ständig neu zu erfinden. Andererseits ist die Library ursprünglich für Grossunternehmen entwickelt worden. Eine Umsetzung in allen Details wäre darum für KMU schlicht ein Overkill. Gefragt sind also Pragmatismus und gesunder Menschenverstand, gemäss dem Grundsatz «adapt and adopt».





Wesentlich bei der Einführung von ITIL ist die Einsicht, dass es sich dabei nicht um ein IT-Projekt im herkömmlichen Sinn handelt. ITIL sollte vielmehr als Gelegenheit gesehen werden, nachhaltige Arbeitsprozesse innerhalb der Firmen-IT und an den Schnittstellen zwischen IT, Mitarbeitern und operativem Management einzuführen. Selbstverständlich lässt sich, gerade in einem KMU, nicht alles rundum erneuern. Bewährte Prozesse können aufgrund der aus ITIL gewonnenen Erkenntnisse entsprechend modifiziert werden. Aber Achtung: Auch wenn KMU unbedingt eine pragmatische Haltung gegenüber ITIL einnehmen sollten, darf nicht wild gebastelt, abgeändert und uminterpretiert werden. Die Kernaspekte von ITIL müssen unbedingt bewahrt werden. Berücksichtigt man sie nur halbherzig oder werden sie gar so lange umgebogen, bis sie in die bestehenden Abläufe und Denkmuster passen, bleibt am Ende einfach alles beim alten.




Pragmatisches Vorgehen bedeutet vielmehr: Evaluieren, welche ITIL-Prozesse der IT-Abteilung und der ganzen Firma beim jeweiligen Stand der Dinge am meisten bringen. Es empfiehlt sich, «klein» anzufangen und darauf aufbauend kontinuierliche Verbesserungen und Erweiterungen vorzunehmen. Sind die Prozesse einmal richtig im Unternehmen verankert und werden regelmässig aussagekräftige KPI (Key Performance Indicator) ausgewertet, verbessert sich die Qualität der IT-Dienste nämlich praktisch automatisch.




M. wird dann auf das eine oder andere Schulterklopfen verzichten müssen. Dafür kann er seinen Feierabend geniessen, und die anderen Mitarbeiter werden merken, dass IT nicht ein unverständlicher Organismus sein muss, sondern eine berechenbare und zuverlässige Infrastruktur sein kann. Damit sich diese Selbstverständlichkeit etablieren kann, müssen allerdings auch die Chefs ihre Wertvorstellungen hinterfragen und die Serviceorientierung in ihrer täglichen Arbeit vorleben.




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