Virtualisierungslösungen im Vergleich

Rund ein halbes Dutzend Programme ermöglicht, ein fremdes Betriebssystem in einer Box laufen zu lassen. InfoWeek.ch hat sie sich näher angesehen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/06

     

Ein Virtualisierer ist ein Programm, das einen vollständigen PC simuliert. Das Ganze funktioniert im Prinzip so: Der Virtualisierer wird beispielsweise auf einem Windows-XP-Computer installiert. Beim Start steht die Möglichkeit zur Verfügung, einen neuen Computer zu kreieren, das heisst vor allem seine RAM- und Festplattengrösse festzulegen. Je mehr RAM der simulierte Rechner erhält, desto weniger steht dem eigentlichen Computer (dem Wirts- oder Host-Rechner) zur Verfügung. Und wenn das Gastsystem viel Festplattenspeicher erhält, dann wird seine Abbilddatei auch extrem viel Platz auf der Platte des Host einnehmen.
Ein solcher neuer Rechner lässt sich dann starten, das heisst, der normale Boot-Vorgang eines Computers läuft innerhalb eines Fensters ab, das wie jedes andere auf dem Desktop angezeigt wird. Solange also keine Installations-CD ins Laufwerk gesteckt wird, erscheint lediglich die Fehlermeldung, dass der Boot-Vorgang scheiterte. Doch nach Abschluss des kompletten Installationsvorgangs steht ein komplettes, zweites Betriebssystem in einer Sandbox zur Verfügung.


Virtualisierung in der Praxis

Es existieren zahlreiche unterschiedliche Einsatzgebiete für Virtualisierer. IT-Journalisten etwa benötigen Virtualisierer, um Screenshots von Installationsroutinen zu machen. Entwickler müssen ihre Produkte testen, ob sie auf unterschiedlichen Systemen (zum Beispiel verschiedenen Windows-Versionen mit oder ohne installierten Service-Packs) laufen. Mit einem Virtualisierer geht dies auf einem einzigen physikalischen PC. Dasselbe gilt für Webdesigner, deren Websites in allen Browsern gut aussehen müssen. Mit einem Virtualisierer lässt sich im Handumdrehen prüfen, ob dies für alle Internet-Explorer-Versionen – die ja nicht parallel installiert sein können – der Fall ist. Sicherheitsexperten können das Verhalten unbekannter Schädlinge in einer kontrollierten Umgebung beobachten. Unternehmen, die für viel Geld massgeschneiderte Custom-Anwendungen programmieren liessen, die unter dem neuen Betriebssystem nicht mehr laufen, können eine virtualisierte Version des alten OS samt der Applikation auf dem neuen Betriebssystem einrichten. Auf professioneller Ebene erleichtern Virtualisierer Backups und Upgrades: Ist der ganze Festplatteninhalt in Realität nur eine einzige Image-Datei, dann erschöpft sich das Systembackup im Sichern der Datei. Und ist die gesamte Hardware nur virtuell, dann lässt sich das gesamte System problemlos auf einen neueren Rechner umziehen, der dann eben dieselbe Hardware wieder simuliert.


Virtualisierungstechnik

Es mag überraschen, aber Virtualisierer sind wirklich so flott, dass sie sich für den Produktiveinsatz eignen. Als (sehr grobe) Faustregel mag gelten, dass ein Virtualisierer ungefähr die Hälfte der Leistung eines Realsystems erreicht. Angesichts der Tatsache, dass heutige Computer ohnehin viel zu viel Performance für die allermeisten Aufgaben bieten, ist das also kein spürbarer Verlust.
Virtualisierer sind deswegen so effektiv, weil die beiden wichtigsten Elemente – RAM und CPU – gar nicht oder fast nicht emuliert werden. Die festgelegte RAM-Menge wird einfach beim vorhandenen RAM reserviert, und die allermeisten Kommandos werden unmodifiziert – und damit ohne Performance-Verlust – an den Hauptprozessor durchgereicht.
Lediglich «kritische» Kommandos müssen abgefangen und gegebenenfalls modifiziert werden. Neuere Prozessortechnologien – Intels VT (besser bekannt als Vanderpool) und AMDs SVM (Pacifica) – sind auf die Virtualisierung bereits vorbereitet und kümmern sich selbst um kritische Kommandos. Dementsprechend laufen virtualisierte Betriebssysteme schneller auf diesen Prozessoren, sofern der Virtualisierer diese Möglichkeiten verwendet.


Qualitätskriterien

Was macht ansonsten einen guten Virtualisierer aus? Wichtig ist zunächst, dass er möglichst viele Input/Output-Schnittstellen des Host-Systems unterstützt. Es versteht sich von selbst, dass jeder Virtualisierer die Möglichkeit bietet, Floppys und optische Laufwerke des Host-Systems dem Gastsystem zuzuweisen. Weniger klar ist dagegen die Angelegenheit bei der Peripherie, die über USB- oder gar FireWire angeschlossen wird. FireWire-Geräte werden bislang von keinem Programm unterstützt, und der USB-Support erschöpft sich bei den meisten Produkten auf den alten 1.1-Standard, der viel zu langsam für externe Festplatten ist.
In dem Fall, in dem der Virtualisierer dazu dient, einzelne Applikationen eines fremden Betriebs­systems auszuführen, ist die Kommunikation zwischen Host- und Gastsystem ganz besonders wichtig. Einfache Formen wie etwa eine Netzwerkverbindung und Zugriff auf Freigaben erlauben alle Programme. Bessere Virtualisierer bieten komfortablere Möglichkeiten wie Kopieren/Einfügen über die Virtualisierungsgrenzen hinweg oder gar Drag&Drop zwischen Virtualisierer-Fenster und Host­system-Desktop. Dazu im nächsten Abschnitt gleich mehr.
Ein wichtiges Kriterium ist auch, in welcher Form der Zustand des virtuellen Rechners gespeichert werden kann. Der Zustand eines normalen PCs lässt sich nur im heruntergefahrenen Zustand konservieren. Es ist nicht möglich, einen Snapshot eines laufenden Systems zu speichern – sieht man vom Stromsparmodus ab. Virtualisierer jedoch bieten regelmässig die Möglichkeit, den Suspend-Zustand als Datei zu speichern, sodass man an dem Punkt weitermachen kann, an dem man die Sitzung stoppte. Einen Schritt weiter geht Vmware Workstation. Dieses Programm erlaubt, jederzeit Snapshots des Systems im laufenden Betrieb anzufertigen, zu denen beliebig gesprungen werden kann.


Windows-Sonderfunktionen

Alle Virtualisierer im Test ausser QEMU boten an, Zusatz-Tools für Windows zu installieren. Der Ablauf ist wie folgt: Nachdem ein Windows-Betriebssystem installiert wurde, wählt man einen Menü­befehl. Der Virtualisierer lädt ein vorgefertigtes CD-Image, das im emulierten Betriebssystem auto­gestartet wird und dann Software unter Windows installiert. Diese Software sorgt für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Host und Gast. So ist es nur mit diesem Zusatz-Tools möglich, dass der Mauszeiger ohne das Drücken einer speziellen Tastenkombination das Virtualisierungsfenster verlässt. Auch werden so die Uhren synchron gehalten, die Videoleistung verbessert und Optionen wie Kopieren/Einfügen oder Drag&Drop erst ermöglicht. Kurzum: Die Installation dieser Zusatz-Tools ist unbedingt notwendig und erfolgte auch bei jedem Testlauf.


Microsoft Virtual PC 2007

Virtual PC war ein Produkt der Firma Connectix, bis Microsoft 2003 die Firma übernahm. Der Einstieg von Microsoft hatte zwei wesentliche Folgen: Erstens wurde die Windows-Version (nicht aber die nach wie vor existente Mac-Version) kostenlos, zweitens verengte sich die Unterstützung von Host- und Gastsystem massiv auf Windows-Systeme. Allerdings braucht man die offiziellen Angaben von Microsoft nicht ganz ernst zu nehmen: Obwohl laut der Voraussetzungsliste Vista Business, Enterprise oder Ultimate erforderlich sind, berichten viele Nutzer, dass das Produkt auch unter Vista Home Premium problemlos läuft (sieht man man einer Fehlermeldung bei der Installation ab). Erst recht ignorabel sind die Microsoft-Angaben zu den als Gästen unterstützten Betriebssystemen: Offiziell werden nur Windows ab 98 bis XP sowie Vista Business, Enterprise und Ultimate sowie OS/2 unterstützt. Faktisch laufen Vista-Home-Versionen, Linux in diversen Distributionen sowie alle anderen getesteten 32-Bit-Systeme problemlos. Ob das auch legal ist, ist eine andere Frage (siehe Kasten «Rechtliches»).
Die 2007-Version brachte wenig Neues. In erster Linie war dieses Update fällig, damit Virtual PC auch für Vista zur Verfügung steht. Ansonsten sind nur die Versionen für 64-Bit-Windows-Versionen sowie die Unterstützung für PXE-Boot (also Starten über das Netzwerk) neu. Sieht man von der mangelnden Unterstützung für USB-Geräte ab, so ist Virtual PC eine rundum ausgereifte und einfach bedienbare Lösung.


Parallels Workstation 2.2

Als einziges Produkt im Testfeld, das nicht kostenlos ist und von dem auch keine Freeware-Variante zur Verfügung steht, hat Parallels Workstation naturgemäss einen ausgesprochen schweren Stand. Auf dem Markt der Virtualisierungsprogramme hat Parallels jedoch seine ökologische Nische gefunden: Es ist das einzige Virtualisierungsprodukt, das auf Mac-OS-X-Rechnern mit Intel-Prozessoren läuft, und wird dort von Apple-Benutzern eingesetzt, die auch die eine oder andere Windows-Applikation benötigen.
Parallels Workstation ist ein grundsolider Virtualisierer, an dem wenig auszusetzen ist. Parallels Workstation erlaubt zwar den Anschluss von USB-Geräten, allerdings maximal zwei gleichzeitig, und auch diese werden nur in 1.1-Geschwindigkeit unterstützt. Für den Einsatz einer externen Festplatte reicht dies nicht wirklich.
Die Bedienung von Parallels Workstation ist angenehm schnell. Leider steht die Oberfläche nur in Englisch zur Verfügung.


QEMU

Wie bei vielen Open-Source-Projekten, weist auch hier das eigentliche Programm keine grafische Oberfläche auf. Für Windows wird sie unter anderem von «Qemu Manager» bereitgestellt. Freundlicherweise bringt Qemu Manager das eigentliche QEMU gleich mit, sodass nur eine Installation nötig ist. Die Bedienung ist schwieriger als bei den anderen Virtualisierern. Zahlreiche Optionen lenken von wesentlichen (und notwendigen) Einstellungsmöglichkeiten ab. Auch die Arbeit mit dem laufenden Emulator ist etwas umständlich, denn der Datenaustausch zwischen Wirts- und Gastsystem erfolgt lediglich über FTP. Wer an Drag&Drop vom einen zum anderen Desktop gewohnt ist, wird mit QEMU kaum glücklich werden. QEMU unterstützt 64-bittige Gastsysteme, was aber natürlich eine 64-Bit-CPU im Wirtscomputer voraussetzt.


VirtualBox

Auch VirtualBox ist ein Emulator, der aus der Linux-Welt stammt. Seine Oberfläche ist aufgeräumt, und es ist recht einfach, mit der Virtualisierung zu beginnen. Weniger schön ist, dass weder Drag&Drop noch Copy&Paste möglich sind. Auch die Installation der Windows-Zusatztreiber («Guest Additions») funktioniert nicht über das Menü, sondern nur per direkten Aufruf des CD-Image. Den Anschluss einer externen USB-Festplatte bei einem Vista-Gast quittierte VirtualBox mit einer Fehlermeldung. Das Programm steht für den persönlichen Gebrauch kostenlos zur Verfügung, was auch für den geschäftlichen Einsatz gilt. Gebührenpflichtige Lizenzen sind nur für einen Roll-out notwendig, bei dem das Programm von zentraler Stelle auf den Desktops eines Unternehmens installiert wird.


VMware Workstation

VMware Workstation ist der Platzhirsch unter den Virtualisierungslösungen. Das zeigt nicht nur die schiere Zahl der Features, sondern auch die happige Downloadgrösse (273 Megabyte) und der genauso happige Preis (ca. 230 Franken). Von Vmware gibt es neben der kostenpflichtigen Workstation noch den Player, der keine eigenen virtuellen Maschinen erzeugen, wohl aber vorhandene «abspielen», das heisst ausführen kann – und den Server, einen älteren Virtualisierer. Beide Produkte sind kostenlos. In diesem Test wurde die Beta der Workstation Version 6 unter die Lupe genommen. Um es kurz zu machen: VMware hat alle Features, die die Konkurrenz bietet, wie Kopieren/Einfügen und Drag&Drop, bietet zudem aber weitere technische Finessen wie Unterstützung für USB 2.0. Dazu kommen ein paar Features, die die Arbeit erheblich erleichtern können. So lassen sich beispielsweise im laufenden Betrieb Snapshots des Systemzustands angefertigen. Zwar können auch die anderen Virtualisierer den aktuellen Zustand sichern, aber sie verlassen dabei den simulierten Rechner. Zudem kann VMware Workstation selbst Screenshots und sogar Bildschirm-Filme erstellen, ohne dass die Dienste eines externen Screenshotters notwendig wären.


Clevere Malware

Für Virenjäger sind Virtualisierer unverzichtbar, können sie doch so den Schädling in einer kontrollierten Umgebung ausführlich studieren und gleichsam virtuell sezieren. Dementsprechend attraktiv ist es für ein Virus, die Matrix zu erkennen: Merkt der Schädling, dass er sich in einer virtuellen Umgebung befindet, kann er sich tot stellen und keinerlei Aktivität entwickeln, um so einen möglichen Virenforscher hereinzulegen. Genau das tun auch schon die ersten Plagegeister. Leider ist es derzeit für einen engagierten Virenautor relativ einfach, seine Schöpfung so zu coden, dass sie virtuelle Umgebungen erkennt. So ist ja die Hardware-Ausstattung emulierter Computer immer gleich, zudem legen diese verräterischere Registry-Einträge an.


Rechtliches

Angenommen, Sie sind Eigentümer einer Windows-XP-Lizenz und installieren auf Ihrem XP-System Virtual PC. Dürfen Sie dieselbe Lizenz noch einmal verwenden, um XP im Virtualisierer zu installieren? Man könnte glauben, es sei erlaubt, denn es handelt sich ja um denselben Computer. Leider sieht die
Realität anders aus: Zwei gleichzeitig verwendete Lizenzen müssen auch zweimal bezahlt werden. Man bräuchte also wirklich eine zweite, volle XP-Lizenz. Das Beispiel gilt auch für alle anderen Windows-Versionen mit Ausnahme von Vista Enterprise, das zusätzlich viermal virtuell installiert werden kann. Die EULA der Vista-Home-Versionen verbieten, diese Betriebssysteme als Gastsysteme zu verwenden. Ob diese Regelungen vor europäischen Gerichten durchsetzbar sind, ist offen. Mehr Informationen zur Lizenzierung unter: http://www.microsoft.com/germany/presseservice/detail.mspx?id=531791.


Flucht aus der Realität

Ein praktisches Beispiel: Sie haben ein laufendes Windows-ME-System, das Sie fast gar nicht mehr benutzen, das Sie aber dennoch gerne verfügbar behalten würden, falls Sie eine alte Applikation wieder benötigen. Anstatt Windows ME erneut im Virtualisierer zu installieren und mühsam die Applikationen aufzuspielen, gibt es einen Trick, um das alte Betriebssystem aus der Realität in die Emulation zu versetzen: Erstellen Sie zunächst ein Image des ME-Systems mit einem Programm wie Acronis True Image. Booten Sie dann im Virtualisierer die Rettungs-CD des Imaging-Tools und spielen Sie das Image in der Emulation zurück. Natürlich muss das Betriebssystem irgendwie mit dem Hardwarewechsel zurechtkommen. Andererseits eignen sich grafik- und soundintensive Applikationen ohnehin nicht recht für die Virtualisierung, und Adressdatenbanken oder Ähnliches werden auch dann weiterlaufen, wenn das Betriebssystem plötzlich mit diversen neuen Geräten konfrontiert wird.


Der Testsieger

VMware Workstation vermag rundum zu überzeugen: Die Lösung bietet als einzige Unterstützung für USB 2.0, kann mit 64-Bit-Gastsystemen umgehen und ist alles in allem ein ausgereifter und einfach zu bedienender Virtualisierer. Einziges Manko ist der vergleichsweise hohe Preis. Wer eine kostenlose Alternative sucht und auf USB-Peripherie verzichten kann, wird bei Microsofts Virtual PC 2007 fündig.






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