Editorial

E-Wahlkampf: Jetzt wird's spannend!


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/06

     

Es gibt viele Methoden, mit denen Veränderungen in der Gesellschaft erkannt werden können. Die Marktforscher suchen die Trends der Zukunft, die statistischen Ämter sammeln solide Daten über Geschehenes, die Philosophen spekulieren im Feuilleton der Zeitungen und die Polizei schlägt sich immer wieder mit neuartigen Gesetzes­brechern herum. All diese Methoden funktionieren auch im Bereich von Informatik und Internet, wo in den letzten Jahrzehnten zuerst die Betriebe und Arbeitsplätze, dann die Schulen und zuletzt auch unser Privatleben sichtbar verändert worden sind.



Dieses Jahr haben wir nun Gelegenheit, die Veränderungen aus Informatik und Internet in einer besonders aktuellen Form zu beobachten, also nicht in der Zukunft und nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Im Oktober 2007 sind eidgenössische Wahlen. Und da werden uns die Kandidatinnen und Kandidaten die Beispiele direkt nach Hause liefern.
Noch vor wenigen Jahren war es völlig unrealistisch, an einen Wahlkampf per Internet zu denken. Wer für ein öffentliches Amt kandidierte, pflanzte seinen Kopf und seine wichtigsten Anliegen (falls vorhanden) auf Plakate und Flugblätter, sorgte über Freunde für unterstützende Leserbriefe in der Lokalzeitung und stellte sich «dem Publikum», wo dieses eben zu finden war, eher selten bei eigentlichen Wahlveranstaltungen, immer häufiger vor dem Eingang eines Grossverteilers.
Nun stehen uns aber möglicherweise neue Formen ins Haus. Ich hatte kürzlich Gelegenheit, einen deutschen Wahlfachmann zu hören, der bereits zweimal bei Bundestagswahlen aktiv am «elektronischen Wahlkampf» beteiligt war. Allerdings liegen die deutschen Verhältnisse insofern etwas anders, als im dortigen Bundestag ausschliesslich Berufspolitiker tätig sind, die daher auch den Wahlkampf professioneller führen müssen. Die Schweiz dürfe also ruhig ein paar Jahre später einsetzen, sagte
er – aber jetzt sei es an der Zeit! Einige seiner Vorschläge:





- Selbstverständlich haben Politiker bereits heute ihre eigene Website, aber die ist statisch. Wer etwas auf sich gibt, unterhält jetzt seine Wählerschaft laufend mit einem eigenen Blog.




- E-Mail-Fan-Club: Jede Kandidatin, jeder Kandidat pflegt einen solchen und hält sich dafür einen E-Mail-Propaganda-Leiter, der
E-Mail-Adressen sammelt und deren Besitzer systematisch mit Polit-Informationen aufdatiert.




- Wer mit E-Mails wirbt, muss auch E-Mails beantworten. Tägliche Zusatzarbeit für Kandidaten zwecks Wähler-Mail-Beantwortung: eine halbe bis eineinhalb Stunden – täglich!




Und das alles ist natürlich nicht gratis. Ich habe eine Zahl mitbekommen: Für eine wirklich gut «gestylte» (ich wage nicht zu sagen «wirksame») eigene Website sollten mehrere zehntausend Euro eingesetzt werden.
Der deutsche Referent beleuchtete das Thema aus Kandidatensicht («Wie gewinnt man Wähler?»). Ich stelle dem die Wählersicht gegenüber. Und da gibt es doch zwei Haupttypen, die bereits Überzeugten und die «Andern». Eine Mail-Liste für Überzeugte bringt keine zusätzlichen Stimmen. Und die «Andern» betrachten ein nichtverlangtes Mail wohl meist als Spam. Ich werde den kommenden E-Wahl­-kampf auf alle Fälle mit grossem Interesse beobachten.




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