Editorial

Business-Prozesse: Weniger ist oft mehr!


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/05

     

Kürzlich bei einer
E-Government-Konferenz im Auswärtigen Amt in Berlin: Während einige Wissenschaftskollegen nur zum Essen kamen oder die inhaltlich gehaltvollen, aber unwissenschaftlichen Vorträge verschnarchten, genoss ich folgendes – hier leicht entstellt wiedergegebenes – Schauspiel:



Wirtschaftsvertreter: «IT alleine nützt nix, wir müssen sie anwenden!»



Frau Politik: «Schluss mit Strategie, es müssen Taten folgen!»


Herr Politik: «IT muss zur Integration aller Prozesse genutzt werden!!!»


Und ich hätte fast gerufen: «Sie haben es! Sie sind sehr, sehr nahe dran!»



Doch es wird trotzdem erst dann zu einem effektiven IT-Alignment kommen – egal ob in der Wirtschaft oder in der öffentlichen Verwaltung –, wenn die Geschäftsprozess-Landkarten drastisch vereinfacht werden.
Wenn man sich von übertriebenem situativem Design löst und darauf verzichtet, aus jedem Geschäftsfall einen eigenen Prozess zu machen oder jedes Ablaufdetail explizit im Prozess abzubilden, kann man zugleich die Zahl der Prozesse reduzieren und ihre Beschreibung vereinfachen. In den meisten Organisationen kommt man mit einem guten Dutzend oder weniger Prozessen aus. Diese können bei richtiger Abstraktionswahl (trotz höherer Allgemeinheit und vermeintlich mehr Spezialfällen pro Prozess) einfach und übersichtlich dargestellt werden. Allerdings sind dafür Kreativität, Kenntnis des Geschäftsbereichs und Modellierungserfahrung notwendig. Gerade wissenschaftliche Beiträge zu diesem Thema erfüllen leider oft diese Anforderungen nicht. Sie versuchen durch Komplexität und Kompliziertheit zu punkten, wo die Priorität Einfachheit wäre. Und sie überprüfen an Spielzeugbeispielen, was im wirklichen Leben für ganz grosse Organisationen zuerst spezifiziert und dann von diesen gelebt werden muss. Die wirklich Herausforderung besteht aber im Finden praktikabler Gesamtlösungskonzepte.



Die Vereinfachung der Prozesse ist bei grösseren Organisationen äusserst schwierig, aber der Lohn ist im Erfolgsfall sehr hoch: Die Prozesse werden für die Mitarbeiter einfacher verständlich und können vor allem weitge-
hend – aber natürlich nicht hundertprozentig – durch IT-Standardkomponenten unterstützt werden: nicht nur theoretisch technisch, sondern praktisch organisatorisch und finan­ziell machbar! Überdies wird so eine umfängliche digitale Integration einer Organisation möglich, die sonst an der Schnittstellen-Unzahl scheitert.
Ein wichtiger Nebenaspekt ist, dass eine radikale Vereinfachung der Prozesse die Zusammenarbeit zwischen Business und IT erzwingt. Beide Seiten müssen sich dafür ein Minimum an Fachwissen der anderen Seite erwerben und entweder Lesen oder Zuhören können. Dazu gehört auch das Abtragen einer dicken Isolierschicht an Mythen und zweifelhaften Formalismen. So fördert die Verein­fachung der Prozesslandkarten das IT-Alignment sowohl auf der Kommunikations- als auch auf der Implementierungsebene.




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