Lassen sich Informatikerfolge planen?

Eine Kurzfassung des Referats von Professor Carl August Zehnder vom Departement Informatik der ETH Zürich anlässlich der Verleihung des Swiss IT Award 2004.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/16

     

Innovation und IT-Entwicklung in der Schweiz: Das gibt es sehr wohl. Uns von den Hochschulen wird immer wieder die Frage gestellt, wohin sich die IT entwickelt. In den Industrie- und Hochschul-Labors ist zwar jetzt schon vorhanden, was in den nächsten fünf Jahren auf den Markt kommt. Aber die Hochschule kann nicht sagen, was sich auch wirtschaftlich durchsetzen wird. Denn dafür spielen die unterschiedlichsten Aspekte zusammen, wie Beispiele aus der Vergangenheit deutlich zeigen.
Etwa die Lastwagen-Maut. Das schweizerische System der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe funktioniert seit drei Jahren gut. Die Entwicklung in Deutschland aber verläuft alles andere als positiv, und die Steuer, die pro Monat einige hundert Millionen Euro bringen soll, fällt derweil aus.






Hier merkt man, dass vergleichbare Informatiklösungen von verschiedenartigsten Randbedingungen beeinflusst werden können. Die Frage, ob ein System funktioniert oder nicht, kann nicht a priori beantwortet werden. Es ist klar, dass an beiden Orten qualifizierte Leute dahinterstehen, und dass an beiden Orten sehr viel Arbeit geleistet wurde. Und trotzdem funktioniert das eine System und das andere nicht, vermutlich wegen übertriebenen Anforderungen. Was sicher für den Erfolg immer nötig ist, ist Innovation: neue Ideen und Überlegungen, die über das Bisherige hinausführen. Aber es braucht noch mehr!


Psychologische Akzeptanz

Eine wichtige Hürde für Informatikprojekte stellt die Akzeptanz dar. Werden Innovationen von den Anwendern nicht akzeptiert, haben sie keine Chance. Ein Beispiel dafür ist Videotex, das vor etwa 15 Jahren als eine Art Vorläufer von Internetlösungen auf den Markt kam. Die Idee war dabei, über den im Haushalt bereits vorhandenen Fernseher Informationen abrufen oder auch Banküberweisungen machen zu können. In der Schweiz wurden dreistellige, in Deutschland sogar vierstellige Millionenbeträge in das System investiert. Trotzdem fand es nie breite Anwendung. Der Grund war, dass für Videotex der Familienbildschirm in der guten Stube für Textinformationen umgenutzt werden sollte; das akzeptierte das breite Publikum nicht. Frankreich hingegen verfolgte einen anderen Ansatz. Das Minitel hatte einen kleinen, billigen Bildschirm, der dann wirklich nur für Text und Zahlen gebraucht wurde. Dieses System hat sich problemlos durchgesetzt. Dass Minitel akzeptiert wurde und Videotex nicht, hat psychologische Gründe und nicht technische.
Ein weiteres Beispiel: Seit den 70er Jahren funktionieren technisch sowohl E-Mail als auch Fax. Mitte der 80er Jahre erwartete man den Durchbruch für E-Mail. Stattdessen wurde E-Mail für ein paar Jahre kaltgestellt und der Fax eroberte die Büros. Auch hier waren psychologische Gründe ausschlaggebend: Jedermann versteht, wie ein A4-Blatt Papier funktioniert, auch über Fax. E-Mail hingegen war vor der Erfindung des World Wide Web für die Mehrheit der Anwender noch viel zu unverständlich.


Wirtschaftliche Akzeptanz

Neben der psychologischen Akzeptanz ist die wirtschaftliche Akzeptanz ein weiterer entscheidender Faktor. Sind wir bereit, für elektronische Dienstleistungen und Informationen zu bezahlen?
Ein Beispiel, bei dem die wirtschaftliche Akzeptanz fehlte, war Swisskey. Für die technische Umsetzung der digitalen Unterschrift wurde ein zweistelliger Millionenbetrag ausgegeben. Dann hat sich aber herausgestellt, dass fast niemand bereit war, zwanzig Franken für die Zuteilung einer digitalen Signatur zu bezahlen. Man konnte also die Investitionen nicht decken, und das Projekt wurde abgebrochen.
Betrachtet man das Ganze etwas genauer, muss man feststellen, dass es eigentlich nur eine Anwendung gibt, für die eine öffentliche digitale Signatur wirklich Sinn macht, nämlich der E-Government-Bereich, etwa um elektronisch abstimmen zu können. Hier stellt man sich aber zu Recht die Frage: Muss man wirklich bezahlen, um ein kompliziertes System zu bekommen, wenn man das Gleiche mit der Briefwahl in zwei Minuten bequem erledigen kann?


Das Zeitproblem

Ein weiteres Problem für viele Informatikprojekte bilden zeitliche Fehleinschätzungen, sei es, dass Projekte überladen sind, sei es, dass die Zeit für eine Anwendung nicht reif oder ungünstig ist. Das Projekt «Bank You» der Bank Vontobel wurde abgebrochen, als ungefähr 250 Millionen Franken ausgegeben waren. Die Rentenanstalt hat auch zur Zeit des E-Hypes ein Versicherungsportal entwickelt, mit dem Akquisitionen hätten betrieben werden sollen. Es wurde abgebrochen, als etwa 150 Millionen Franken verbrannt waren. Natürlich hat man die Projekte lanciert, weil man sich einen wirtschaftlichen Erfolg erhoffte. Getrieben durch den Hype wollte man aber unter allen Umständen schneller als die Konkurrenz sein. Auf diese Weise hat man der Zeit eine Überbedeutung zugestanden und ist erst recht abgestürzt, als der ganze Hype einbrach.


Projektführung und Menschen

Schliesslich muss das Ganze auch als Projekt richtig geführt werden. Überblickbare Projektgrössen sind entscheidend. Man sollte darum aus grossen Projekten Teilprojekte bilden und nicht einfach beliebig alles zusammenpacken. Dadurch wird die Aufgabe übersichtlicher, denn die Komplexität ist die grosse Gefahr der Informatik schlechthin. Man muss Altlasten berücksichtigen, aber sich durch diese nicht zu stark binden lassen.
Und schliesslich ist die personelle Seite sehr wichtig. In der Informatik werden die Mitarbeiter häufig nicht richtig in die Projekte hineingeführt. Entweder werden sie überfordert, oder sie werden unterfordert, und man hört nicht auf sie. Sehr oft haben junge Leute eben auch neue Ideen.


Fazit

Aus den hier gewonnenen Erkenntnissen lassen sich im wesentlichen drei Empfehlungen ableiten:


• Massvoll bleiben: Informatiker haben einen Stolz, der manchmal gefährlich ist. Wenn der Auftraggeber noch einen Wunsch anmeldet, denkt der Informatiker «Das sind ja nur zehn Zeilen Code!» und am Schluss wird alles so kompliziert, dass niemand mehr durchblickt.


• Keine Kumulierung von Problemen: Dies illustriert das Beispiel der deutschen Maut. Man wollte ein Spitzenprodukt schaffen, hatte aber technische Probleme und Personalengpässe, und setzte sich schliesslich selbst unter Zeitdruck, obwohl die Engpässe erkennbar waren.


• Geld allein genügt nicht: Gerade in der Schweiz gibt es immer wieder Auftraggeber, die sagen, Geld spielt keine Rolle. Auch das ist gefährlich. Es braucht gute und kompakte Lösungen. Man kann nicht einfach Leute kaufen, die es nicht gibt.




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