J2EE-Markt im Umbruch: Schweizer tendieren zu .Net

Der J2EE-Markt ist in vielerlei Hinsicht in Bewegung geraten. IBM und BEA Systems reagieren mit entsprechenden Angeboten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/16

     

Zwei Messen haben in den letzten Monaten gezeigt, dass der J2EE-Markt, der hauptsächlich ein Applikationsservermarkt ist, unter erheblichen Druck geraten ist. Die beiden Messen waren die BEA E-World und die LinuxWorld, beide in San Francisco. Die Ankündigungen der Hersteller bestätigen zwei Haupttrends, die Rob Hailstone in seiner IDC-Marktanalyse bereits im April dieses Jahres festgestellt hat. Er untersucht darin den westeuropäischen Markt für Applikatinonsserver-Softwareplattformen (ASSP).





«Es gibt deutliche Anzeichen», so Hailstone, «dass eine wachsende Zahl von Benutzerorganisationen sich ASSP-Software zuwenden, die als (quell-)offene Systeme angeboten werden. Sie wollen damit die Kosten für die Einrichtung von Anwendungen reduzieren.» Der Open-Source-Applikationsserver JBoss geniesse die grösste Unterstützung durch die Software-Industrie, berichtet Massimo Pezzini von der Gartner Group, und werde häufig gebündelt angeboten, so etwa von WebMethods. Doch auch Red Hat hat nun mit Red Hat Application Server (RHAS) einen J2EE-kompatiblen Open-Source-Applikationsserver, der zwar auf Red Hat Linux aufsetzt, aber kompatibel zu Java 2 Enterprise Edition (J2EE) ist. Dabei handelt es sich um das Produkt JONAS, das vom französischen Open-Source-Konsortium ObjectWeb angeboten wird. Pezzini meint dazu: «Red Hat will mit der Unterstützung beider offener Standards seinen Markt vergrössern und JBoss Konkurrenz machen. Sehr interessant wird es im Herbst, wenn auch die Apache Software Foundation (ASF) ihren Open-Source-Applikationsserver namens 'Geronimo' vorstellt». Mindestens drei Applikationsserver buhlen dann um Kunden. Die Meta Group hält es (in Metaspectrum 13.2) für sehr wahrscheinlich, dass in Kürze ein Grossanbieter seinen Applikationsserver der Open-Source-Gemeinde übergibt. In 2006 werde Linux die bevorzugte Ausführungsplattform für J2EE-Anwendungen sein, sagt die Meta Group voraus.






Am Rande der LinuxWorld war zu erfahren, dass Novell die Entwicklung seines Extend-J2EE-Applikationsservers, den es mit Silverstream gekauft hatte, einstellt. Die Version 4.0 unterstützt J2EE 1.3, Corba 2.3 und Web Services. Auch der Zugriff auf Legacy-Technik wie CICS, 3270, 5250, EDI, Telnet und WebSphere MQ sei möglich. Dennoch bietet Novell auch weiterhin auf dieser Basis eine SOA-Suite namens Extend 5.2 an. Kein Wunder, wird sie doch mit dem Open-Source-Appserver JBoss gebündelt.


Service-orientierte Architekturen (SOA)

«Diese Open-Source-Angebote zwingen die Anbieter kommerzieller Produkte dazu, den Kostenunterschied durch wirtschaftliche Vorteile zu rechtfertigen», schreibt IDC-Analyst Hailstone. «Die Konvergenz von Anwendungsplattform und Integrationsmöglichkeiten wird zu einem einheitlichen Ansatz Richtung SOA führen.»
SOAs beruhen auf verschiedenen Prinzipien und Praktiken für die gemeinsame Nutzung, Wiederverwendung und Orchestrierung der Geschäftslogik als Services oder Komponenten. Ein Unternehmen, dessen IT auf Services aufbaut, kann flexibler und schneller auf geschäftliche Herausforderungen reagieren. Weitere Vorteile sind eine bessere Wiederverwendung von IT-Ressourcen, schnellere Wertschöpfung und eine hohe Anpassungsfähigkeit. Laut Gartner Group werden bis 2008 sechzig Prozent der Unternehmen auf SOA setzen, wenn es um geschäftskritische Anwendungen und Prozesse geht. Für den BEA-CIO Rhonda Hocker besteht der Wert von Web Services und darauf basierenden SOAs vor allem in der Umsetzung von Geschäftsprozessen.





Was vorerst noch in Ansätzen zu sehen sei, wird laut Meta Group um 2006/2007 herum Standard sein: Die grundlegenden Infrastrukturdienste werden sich über SOAs hin zu Business Frameworks entwickeln. In diesen Frameworks können Entwickler neue oder geänderte Geschäftsprozesse rasch in Kompositanwendungen umsetzen, deren Bausteine bereits bereitliegen. Dann werde Java selbst weniger wichtig werden als die eingesetzte SOA. Die Hersteller adressieren diesen Bedarf unterschiedlich.
BEA Systems bietet seit Jahresmitte mit der Process Edition seiner J2EE-Integrationsplattform WebLogic 8.1 ein erstes Zusatzpaket zu seinem WebLogic-Appserver an, damit Kunden nicht die komplette J2EE-Plattform installieren müssen. Die nächste WebLogic-Version mit dem Codenamen Diamond soll einen Service Manager (für SLAs) und einen Message Manager (für Messaging) sowie den QuickSilver Enterprise Service Bus umfassen. Die beiden Manager werden mit Metadaten versorgt, die sich über eine Konsole verwalten lassen. Der Message Server werde neben Web Services auch Legacy-Middleware wie MQSeries unterstützen, hiess es. Die Process Edition vereint Anwendungsentwicklung und Business Process Management (BPM). Sie soll J2EE-Entwicklern leistungsfähige BPM-Tools und -Frameworks bereitstellen, mit denen sie in WebLogic Workshop Business-Lösungen erstellen können.






IBM hat sich sehr für offene Standards wie Linux, XML und Web Services eingesetzt, sich aber mit einem SOA-Paket bis April 2004 zurückgehalten. Die J2EE-basierte «WebSphere Business Integration Server Foundation» ist eine Weiterentwicklung der mit CrossWorlds eingekauften Produkte um den «WebSphere Business Integrator» und umfasst unter anderem «WebSphere Studio Application Developer – Integration Edition». Damit kann der Entwickler Web Services und Kompositanwendungen entwickeln sowie Services erstellen, um Geschäftsprozesse mit Applikationen zu verknüpfen. Dies erfolgt über die Business Process Execution Language (BPEL), deren Java-Variante BPEL4J zur Zeit entwickelt wird.





Oracle hat durch die Übernahme von Collaxa eine native BPEL Engine (Business Process Execution Language) erworben, um Mehrwert liefern zu können, und mit dem Oracle BPEL Process Manager eine SOA angekündigt. Collaxa verfügt über eine Technologie zur vereinfachten Koordination von Web Services und Automatisierung von Geschäftsprozessen. Die Lösung baut auf den Web-Services-Fähigkeiten des Oracle Application Server 10g auf, so dass Oracle nun der Ansicht ist, eine Integrationslösung einschliesslich Web Services, SOA- und BPEL-Unterstützung, Business-Activity-Monitoring, Rules Engine, Business Process Monitoring und traditioneller Enterprise Application Integration (EAI) zu haben. Sie soll es Unternehmen ermöglichen, adaptive Transaktionen und kollaborative Geschäftsprozesse auf Basis verschiedener Applikationen zu implementieren. Die Geschäftsprozesse sind auf einen J2EE-Appserver wie den Oracles angewiesen.





Bei der SAP AG bildet die angekündigte Integrations- und Applikationsplattform für heterogene IT-Umgebungen, SAP NetWeaver, einen der Schwerpunkte der Produktstrategie. Der Web Application Server in NetWeaver unterstützt sowohl J2EE als auch .Net. Ziel von SAP ist eine Enterprise-Service-Architektur (ESA), doch Voraussetzung dafür ist nicht nur die Web-Services-fähige Version 3.0 der Exchange Infrastructure (XI), die für Herbst 2004 erwartet wird, sondern auch die Integration mit den ARIS-Tools von IDS Scheer. Erst diese dürften leistungsfähige Funktionen für Business Process Management und Business Activity Monitoring beitragen.
Neben diesen Generalisten entwickeln diverse Spezialisten SOA-Plattformen oder Vorstufen dazu. Zu ihnen gehören WebMethods, Tibco, Seebeyond, Pervasive Software, Novell, PolarLight und andere. Sie im einzelnen zu beschreiben würde zu weit führen. Ihre Marktanteile sind zudem verschwindend gering. Zusammen kontrollieren IBM und BEA 70 Prozent des Applikationsserver-Marktes auf J2EE-Basis.



Verteilung des J2EE-Einsatzes nach Branchen


Entwicklungsumgebungen

Jede ASS-Plattform verfügt laut Definition von IDC auch über eine Entwicklungsumgebung. Das gilt auch für Microsofts .Net. Im J2EE-Markt finden sich die wichtigsten kommerziellen Tools bei IBM, BEA und – als Spezialist – bei Borland. «Die J2EE-Entwicklungsumgebungen erhalten nun die Investitionen, die sie verdienen», schreibt Bob Hailstone von IDC. «J2EE-Entwicklerproduktivität wird nun endlich zu .Net konkurrenzfähig werden, was zu verstärkter firmeneigener Entwicklung von J2EE-Anwendungen führen wird.»
IBM hat seine Suite von Rational-Entwicklungswerkzeugen hinsichtlich einfacherem Teamwork, höherer Softwarequalität und schnellerer Programmierung ausgebaut. Seit Juni 2004 ist der Rational Rapid Developer ab 6000 Dollar Einstiegspreis verfügbar. Rational XDE Tester dient der Software-Prüfung und Rational XDE Developer Plus der Fehlersuche und -beseitigung (Debugging).





Sowohl BEA als auch Borland haben Programmierschnittstellen für wichtige Internetplattformen wie Amazon.com und Ebay.com bereitgestellt. Borlands J2EE-Entwicklungsumgebung JBuilder 2005 wurde vollständig in das Application Lifecycle Management, das Borland zusammen mit der gekauften Firma Togethersoft anbietet, integriert. Dadurch sind nun nicht nur plattformübergreifendes Java-Entwickeln möglich, sondern auch Profiling zwecks Performance-Optimierung sowie die Suche nach Sicherheitslücken in der Software.
Java-Entwicklung nimmt auch in der Open Source Community stark zu, und zwar nicht erst, seit IBM seine Entwicklungsumgebung Eclipse (aktuell in Version 3.0 für Java und C/C++) zur Verfügung gestellt hat. Diese Projekte kommen schnell voran und werden stark beachtet. Auch das Tool Axis von Apache ist in der Open Source Community beliebt, um damit Web Services in Java und C++ zu entwickeln. Allerdings muss es auf die jeweilige Projektsituation eingestellt werden. Es unterstützt EJBs (Enterprise Java Beans) und das Protokoll IIOP. Übrigens versteckt sich Axis hinter dem Zusatzmodul JBoss.Net in JBoss ab Version 3.0.






Dass die Open-Source-Entwickler sehr rege sind, hat sich herumgesprochen. Deshalb wohl hat auch BEA sein Applikations-Framework Beehive an die Apache Software Foundation (ASF) übergeben. Beehive sollte praktisch das Visual Basic für Java ermöglichen, um so das schwierige Entwickeln für Java zu vereinfachen, aber zugleich der Weblogic-Entwicklungsumgebung Workshop keine Konkurrenz machen. Für Gartner-Analyst Massimo Pezzini stellt die Übergabe an die ASF allerdings lediglich eine «Marketingaktion» dar, mit der BEA Aufmerksamkeit für seinen eigenen J2EE-Industriestandard erregen wollte. «Doch Beehive könnte im Zusammenspiel mit einer leistungsfähigen J2EE-Entwicklungsumgebung auch .Net und Visual Studio.Net Konkurrenz machen», erläutert er.





Der J2EE-Markt hat nach Ansicht von Gartner-Analyst Yefim Natis weltweit bereits seine Konsolidierungsphase abgeschlossen, was an der Tatsache abzulesen ist, dass nur noch eine Handvoll Grossanbieter von kommerziellen J2EE-Applikationsservern übriggeblieben ist: IBM, BEA, Oracle und Sun. IBM und BEA Systems kontrollieren mehr als 70 Prozent dieses Marktes. Damit die Preise nicht ins Bodenlose fallen und die Produkte zu einer «Commodity» werden, haben IBM und BEA angekündigt, ihre jeweilige J2EE-Plattform durch eine Reihe von neuen Spezifikationen zu ergänzen, die über den von Sun kontrollierten Java-Entwicklungsprozess (JCP) hinausgehen. Damit heben sie sich vom Wettbewerb ab, doch die neuen Programmierschnittstellen (APIs) bedeuten für die Käufer eine Bindung an den jeweiligen Anbieter – bis 2008, wie Natis vorhersagt. Dann werden über 40 Prozent der J2EE-APIs proprietär sein.




Schwerzer Markt für J2EE und .Net


Der Schweizer Markt für J2EE

IDC hat den westeuropäischen Markt für Applikationsserver-Softwareplattformen (ASSP) untersucht und dabei Lizenzen und Wartungsverträge berücksichtigt. Der Schweizer Markt ist demnach von 2002 auf 2003 um 1,4 Prozent geschrumpft, so dass sein Umfang noch 25,2 Millionen Dollar betrug. Demgegenüber dürfte der ASSP-Markt zwischen 2003 und 2008 nach IDC-Prognosen wieder wachsen, nämlich um 6,6 Prozent, so dass 2008 ein Volumen von 34,7 Millionen Dollar erzielt wird.
Der J2EE-Markt der Schweiz teilt sich Meta-Group-Angaben zufolge nach Jahresumsatz (Lizenzen plus Service/Support) wie folgt auf: Auf J2EE entfallen rund 39 Prozent (Westeuropa: 40 Prozent), auf .NET ca. 37 Prozent (Westeuropa: 30 Prozent) und auf sonstige 24 Prozent.






«Der META Group liegen gegenwärtig keine gesicherten J2EE-Gesamtmarktzahlen für die Schweiz vor», sagt Analyst Alexander Hemzahl. «Legt man allerdings die Zahlen der IDC und Giga Group zugrunde (ASSP Gesamtmarkt zwischen 26,9 und 27,3 Millionen Dollar), dann ergibt sich für J2EE in der Schweiz ein Wert von ca. 11 bis12 Millionen Dollar für 2004.» Im Vergleich zu anderen Länderergebnissen ist diese Zahl plausibel. «Industrie, Dienstleistungen und Finanzwesen teilen sich demnach den J2EE-Markt zu je einem Viertel, während auf den Handel 13 Prozent und die Öffentliche Verwaltung 7 Prozent entfallen. Seit Anfang 2002 hatte sich das Wachstum von J2EE abgeschwächt», berichtet Alexander Hemzahl. «Ab Mitte 2002 kam es zu einer Angleichung der Marktentwicklung von .NET und J2EE. .NET konnte danach weiter aufholen.» Zum einen seien die Anschaffungskosten für .NET-basierte Systeme in den meisten Fällen günstiger als für Java/J2EE – bei vergleichbarer Leistung. «Diejenigen Bereiche, in welchen Java eindeutig die Nase vorne hat, etwa hinsichtlich Skalierbarkeit, sind für die meisten Unternehmen wenig relevant. Ausserdem sei die Unterstützung für Web Services bei den Entwicklungstools für .NET besser.» Microsoft habe es darüber hinaus verstanden, durch ein aggressives Marketing auf die enge Verknüpfung zwischen .NET und den Web- Services-Technologien aufmerksam zu machen. Ferner existiere in den meisten Unternehmen eine weitverbreitete Microsoft-Infrastruktur, deren Integration mit .NET-Systemen wesentlich kostengünstiger zu bewerkstelligen sei als bei vergleichbarer Java-Software. Hauptleidtragender dieser Entwicklung ist BEA Systems, so Hemzahl. Während IBM durch seine Kompetenz in Hardware, Software und Services hohes Vertrauen geniesse, treffe es BEA besonders hart, wenn das Wachstum im J2EE-Sektor stagniert. Was Open-Source-Software wie JBoss angeht, so stelle sie in absehbarer Zeit keine Gefahr für J2EE und .NET im Schweizer Markt dar.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wie hiess im Märchen die Schwester von Hänsel?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER