Editorial

Das Patentrecht abschaffen?


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/16

     

Man sollte das ganze Patentrecht abschaffen, meinte ein junger Mann, mit dem ich mich nach einem Vortrag über Open Source und Recht unterhielt. Vom Patentrecht würden nur die grossen Firmen profitieren. Mit grossen Firmen meinte er Anbieter wie Microsoft, die auf unzähligen Patenten «sitzen» und damit Softwareentwickler, die ihnen in die Quere kommen, mit Patentklagen ausser Gefecht setzen könnten. Diese nicht ganz unberechtigte Befürchtung prägt eine Diskussion, die gegenwärtig die Softwareszene in Europa in ihren Bann zieht: Es geht um die Zulassung von sogenannten Softwarepatenten. Stein des Anstosses ist eine Richtlinie über die Patentierung von computerimplementierten Erfindungen, die in der EU für nationale Patente erlassen werden soll (die in der Praxis kaum von Bedeutung sind). Mit ihr, so wird behauptet, soll es angeblich möglich werden, jene Verfahren zu patentieren, die Softwareentwickler für ihre Arbeit benötigen. Eine freie Softwareentwicklung wäre nicht mehr möglich, und Unternehmen könnten keine Open-Source-Software mehr einsetzen, weil auch sie mit Klagen der Patentinhaber rechnen müssten.





Solche Horrorszenarien sind unrealistisch. Es ist zwar richtig, dass in den USA viele Trivial-Patente im Internet- und Softwarebereich angemeldet werden konnten und können und sich mit Klagedrohungen Druck ausüben lässt. Doch erstens bedeutet eine Patenterteilung nicht, dass ein Patent gültig und durchsetzbar ist. Bei der Erteilung werden nur bestimmte Aspekte geprüft, und auch diese leider oft nicht richtig. Zweitens werden «mächtigen» Firmen wie Microsoft durch das Wettbewerbsrecht Schranken gesetzt (kleine Firmen sind da gefährlicher). Drittens kann in Europa nur patentiert werden, was eine Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln ist, in den USA dagegen auch Lösungen für nicht-technische Probleme wie etwa Geschäftsmethoden. Die Patentvoraussetzung der «Technizität» steht in der EU aber nicht zur Diskussion. Diskutiert wird vor allem, ob der Begriff der Technik klarer definiert werden soll, weil Vertreter der Open-Source-Szene befürchten, dass jedes Element einer Softwarelösung wie etwa eine Benutzeroberfläche erfasst würde. Die Erfahrung zeigt aber, dass eine solche Definition kontraproduktiv wäre, weil sie den Gerichten den Spielraum nimmt, mit dem sie US-Zustände bisher gut verhindern konnten. So hielt der deutsche Bundesgerichtshof kürzlich wieder fest, dass es für ein Patent eben nicht genügt, wenn das technische Element einer «Erfindung» nur darin besteht, dass für ein Zahlungsmodell Computer eingesetzt werden. Da die Technik sich laufend ändert, wären die Folgen einer starren Definition unabsehbar.






Die Eingangsfrage bleibt, ob eine Erfindung kommerzialisiert werden können soll, indem der Erfinder ihre gewerbliche Nutzung kontrollieren kann. Interessanterweise erhebt niemand Einwände, dass Erfindungen wie etwa das Anti-Blockier-System (ABS) patentiert werden können, obwohl auch sie software-basierend sind. Entscheidend ist doch, wo die Grenze gezogen wird: Wer einen echten und neuen Beitrag zur Technik leistet, soll davon etwas haben. Ein Recht der Open-Source-Gemeinde, alle Verfahren einzusetzen, die sie will, nur weil sie selbst ihre Werke Dritten unentgeltlich zur Verfügung stellt, kann es in einer Wettbewerbswirtschaft nicht geben. Für die Trivialpatente aus den USA ist darin aber ebensowenig Platz. Hier sollten sich die verunsicherten Softwareanwender aber keine allzu grossen Sorgen machen: Das Risiko, dass eine Software Rechte Dritter verletzt, besteht bei proprietärer Software genauso wie bei Open Source – und zwar vor allem wegen des Urheber-, nicht des Patentrechts. Dass dabei der Kunde eines finanzstarken Anbieters besser geschützt sein mag als jener einer Ein-Mann-Softwarefirma, ist freilich keine neue Tatsache.




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