Editorial

Gärtchendenken im Bazar


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/15

     

Als ich vor zwei Jahren verschiedene Open-Source-Communities zusammenrief, um über gemeinsame Standards zu sprechen, machte ich eine merkwürdige Entdeckung: Kaum jemand war bereit, über den Zaun zu blicken und mit anderen Projekten ernsthaft an Standards zu arbeiten. «Open Source, yes – open minds, no», fiel mir damals dazu ein.
Der Anlass: Nach der Gründung von OSCOM, einer Open-Source-Content-Management-Interessengruppe, begann ich über offene Standards nachzudenken, und stellte fest, dass die meisten Open-Source-Projekte eine erbärmliche Unterstützung bieten. Man würde denken, dass offener Quellcode und offene Standards zwei Seiten einer Medaille sind, aber dem ist nicht so.





Die Gründe für dieses Verhalten sind so vielfältig wie die Beweggründe einzelner Open-Source-Entwickler, aber einige Themen kristallisierten sich heraus: Allen voran das starke Zugehörigkeitsgefühl (Gärtchendenken?) in einer Community. Standards, welche von ausserhalb kommen, werden oft als fremdartig angesehen und deshalb ignoriert. Ein weiterer Punkt: Je mehr Projekte Standards unterstützen, desto austauschbarer werden sie. Während es für die Benutzer eine tolle Sache ist, wenn eine Software-Kategorie zur Commodity wird, fühlen sich die Communities selber dadurch bedroht. Dies liegt unter anderem daran, dass die Mechanismen der Reputation lediglich eine kleine Gruppe an der Spitze eines Projekts belohnen. Diese bleiben darum lieber an der Spitze eines kleinen, unbedeutenden Projekts stehen, als Teil eines grossen Projekts zu werden.






Als ich diese Argumente vorbrachte, erhielt ich gereizte Reaktionen. Eine Standardantwort war, «die Quellen sind offengelegt, warum machst du die Änderungen nicht selbst». Diese Spontanreaktion ignoriert nicht nur Leute ohne Programmierkenntnisse, sie zeigt auch eine bedenkliche Gleichgültigkeit für die Daten des Benutzers, beziehungsweise die Datenformate, die nicht in jedem Fall kompatibel mit einem anderen Programm sind. In anderen Ecken der Software-Industrie nennt man das Lock-In.





Ich blieb stur und suchte weiter nach Wegen, um verschiedene Content-Management-Communities zur Zusammenarbeit zu bewegen. Der Markt ist reif für eine Konsolidierung – wer braucht schon Hunderte von unvollständigen CMS? Je früher es zu einer Bereinigung kommt, umso besser. Zu Hilfe kam mir, dass OSCOM mittlerweile eine gute Reputation aufgebaut hatte. Es hatte sich gezeigt, dass eine neutrale Organisation die Interessen der Community besser vertreten konnte, als dies die einzelnen Projekte tun können. OSCOM war zum Zugpferd für Open-Source-CMS im Allgemeinen geworden.
Ich suchte, zusammen mit anderen OSCOM-Mitgliedern, nach leicht erreichbaren Zielen für die Zusammenarbeit und baute darauf, dass Projekte, welche ein Interesse an guter Promotion hatten, auf den OSCOM-Zug aufspringen würden. Wir wählten WebDAV, RSS/ATOM und den JSR 170 als die Standards, welche OSCOM fördern sollte. Die zweite Schiene war, die Benutzer der verschiedenen Projekte anzuregen, Standards zu fordern. Die zunehmende Zahl von Nicht-Entwicklern kam uns dabei zu Hilfe.





In der Zwischenzeit haben andere Communities wie KDE oder GNOME begonnen, zusammenzuarbeiten. Denn je mehr Open-Source benutzt wird, desto mehr werden die Marktkräfte spielen und die Projekte dazu zwingen, offene Standards zu adaptieren. Ein Bild vom Stand der Dinge, kann man sich an der OSCOM-Konferenz (www.oscom.org) an der ETH Zürich vom 29. September bis 1. Oktober machen.




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