Der Rechtsschutz des DRM stellt die digitale Privatkopie in Frage

Die Vernehmlassung zur Revision des Urheberrechts steht an. Hält sich die Schweiz an die Umsetzung in Deutschland, bedeutet dies das faktische Ende der digitalen Privatkopie.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/09

     

Die Schweiz steht davor, ihr Urheberrechtsgesetz (URG) zu revidieren. Auslöser sind zwei Verträge der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), die von der Schweiz demnächst ratifiziert werden. Diese verlangen, dass Systeme zur digitalen Rechteverwaltung (Digital Rights Management; DRM) selbständig geschützt werden. Bei der Umsetzung der WIPO-Verträge steht die Balance zwischen Urheber- und Nutzerinteressen auf dem Spiel, wie das Beispiel EU zeigt. Durch die Einführung eines exzessiven DRM-Schutzes wie in Deutschland werden anerkannte und bewährte Schutzausnahmen wie namentlich der Privatgebrauch geopfert. Die Frage ist, ob die Schweiz eine ausgewogene Regelung findet.



Wir alle sind es gewohnt, Kopien aus Büchern, Zeitschriften oder von Musiksongs für den privaten Gebrauch herzustellen und zu nutzen. Obwohl die Urheberrechte und damit auch das Reproduktionsrecht an solchen Werken und Leistungen dem Schöpfer oder einem späteren Rechteinhaber zustehen, sind Vervielfältigungen zum Zweck der privaten Nutzung durch die Schranke des sogenannten Eigengebrauchs gerechtfertigt und somit zulässig. Bei digitalisierten Werken ist die Herstellung von Privatkopien besonders attraktiv, da sie einfach, rasch, kostengünstig und ohne Qualitätseinbusse erfolgen kann.




In jüngerer Zeit sind Hersteller und Rechteinhaber jedoch vermehrt dazu übergegangen, die Vervielfältigung ihrer Werke und Leistungen durch den Einsatz von Kopierschutzsystemen faktisch zu unterbinden. Solche technischen Schutzmassnahmen stellen eine Komponente von DRM-Systemen dar. Diese können nicht zwischen an sich zulässigen und unzulässigen Vervielfältigungen unterscheiden und verhindern damit auch Privatkopien. Die Vergangenheit hat zwar gezeigt, dass nahezu jeder technische Schutz früher oder später überwunden werden kann; aber es stellt sich die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit einer solchen Umgehung.


Die WIPO-Verträge ...

Die WIPO-Verträge wurden im Jahre 1996 abgeschlossen und sind im Jahre 2002 in Kraft getreten. Die Verträge sehen einen rechtlichen Schutz gegen die Umgehung technischer Massnahmen vor, sofern die Umgehung nicht für eine vom Gesetz zugelassene Nutzung begangen wird. Wenn man von einer grundsätzlichen Zulässigkeit der Privatkopie ausgeht, müsste somit die Umgehung einer technischen Schutzmassnahme zur Anfertigung einer Privatkopie grundsätzlich mit den Verträgen vereinbar sein. Die bisherige Umsetzung der WIPO-Verträge in verschiedenen Ländern zeigt jedoch, dass dem bei weitem nicht so ist.


... deren Umsetzung in der EU ...

Die EU-Urheberrechtsrichtlinie aus dem Jahr 2001 enthält eine optionale Schutzausnahme für die Privatkopie im digitalen Bereich. Bei der Onlineverbreitung geniessen technische Schutzmassnahmen in jedem Fall Vorrang gegenüber den urheberrechtlichen Schranken. Im übrigen überlässt die Richtlinie es den Mitgliedstaaten, ob sie gesetzliche Mechanismen zur Durchsetzung der digitalen Privatkopie beim Einsatz technischer Schutzmassnahmen vorsehen wollen. Die EU-Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten somit, ein in erheblichem Umfang über die Anforderungen der WIPO-Verträge hinausgehendes Schutzniveau für DRM-Systeme einzuführen. In Deutschland wurde die Urheberrechtsrichtlinie so umgesetzt, dass digitale Privatkopien grundsätzlich zulässig bleiben; jedoch lässt sich die Schranke der digitalen Privatkopie beim Einsatz technischer Massnahmen nicht durchsetzen. Die Überwindung eines Kopierschutzes zur Herstellung einer - an sich zulässigen - digitalen Privatkopie ist somit verboten. Damit wird die Schranke der digitalen Privatkopie in Deutschland weitgehend illusorisch. In zahlreichen anderen EU-Staaten gelten ähnliche Regelungen.




Der restriktive Umgang mit der digitalen Privatkopie wird vor allem damit begründet, die private Kopiertätigkeit habe im analogen Zeitalter nicht kontrolliert werden können und ein Verbot der analogen Privatkopie hätte sich somit schon gar nicht durchsetzen lassen. Mit dem Einsatz digitaler Technologien seien die Kontrollmöglichkeiten nun aber gegeben. Hatte die Privatkopie ihre Rechtfertigung somit einzig in der Kapitulation der Rechteinhaber vor den ungenügenden Schutzmöglichkeiten? Dem ist zu widersprechen: Wohl bildete die mangelnde Kontrollmöglichkeit mit einen Grund dafür, an die Stelle eines Verbotsrechts einen Vergütungsanspruch (in Form der Kopier- oder Leerträgerabgabe) treten zu lassen. Die Schranke der Privatkopie lässt sich aber auch mit grundrechtlich geschützten Positionen (z.B. Anspruch des Individuums auf freien Informationszugang) und durch zahlreiche weitere Argumente rechtfertigen, die den Interessen der Rechteinhaber nicht entgegen stehen und auch in der digitalen Ära ihre Berechtigung behalten. Beispielsweise ist schwer einzusehen, weshalb es dem Erwerber einer Musik-CD verboten sein soll, die auf der CD enthaltenen, bezahlten Songs auf sein MP3-Gerät zu überspielen, um diese nicht nur zuhause, sondern auch unterwegs hören zu können.


... und in der Schweiz?

Ein informeller Entwurf zur Revision des schweizerischen URG aus dem Jahre 2000 orientierte sich noch stark an den Gesetzgebungsarbeiten zur EU-Urheberrechtsrichtlinie und sah ebenfalls vor, dass der Schutz technischer Massnahmen gegenüber der Schutzschranke der Privatkopie Vorrang geniesse. Damit hätte auch die Schweiz ein Schutzniveau eingeführt, das weit über den von den WIPO-Verträgen verlangten Standard hinausgeht und wohl das Ende der digitalen Privatkopie bedeutet hätte. Der informelle Entwurf kann heute - namentlich wegen der weitverbreiteten Kritik an der EU-Richtlinie und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten - als überholt gelten. Ein neuer Vorentwurf zur Revision des URG soll in der zweiten Hälfte dieses Jahres in die Vernehmlassung gehen. Es ist zu hoffen, dass dieser Vorentwurf die Unzulänglichkeiten der EU-Urheberrechtsrichtlinie berücksichtigt und eine ausgewogene Regelung vorsieht, die sich näher an der Vorgabe der WIPO-Verträge orientiert und die private, digitale Kopie weiterhin legal möglich macht.


Der Autor

Roland Mathys, lic.iur. et lic.oec.publ., LL.M., ist diplomierter Wirtschaftsinformatiker und arbeitet als Rechtsanwalt in der Wirtschaftsanwaltskanzlei Wenger Plattner in Basel mit Spezialgebiet IT und Immaterialgüterrecht. Er ist Co-Autor eines kürzlich erschienenen Buchs "IT-Vertragsrecht".




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