Editorial

Im Konkurs gelten andere Regeln

Aufgeschreckt durch die jüngsten Vorfälle ist das vorzeitige «Ende» des Geschäftspartners zu einem sehr realen Szenario geworden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/24

     

Was haben die Swissair, Kirch und KPNQwest gemeinsam? Sie alle gingen Konkurs und kaum einer hätte dies zuvor noch für möglich gehalten. Zumindest wollte niemand an ein solches Szenario glauben; zuviel hing von diesen Unternehmen ab, und zu gross waren sie, um fallengelassen zu werden. Und doch ist es geschehen.



Diese Vorkommnisse haben auch die Welt der Juristen, die sie noch über Jahre beschäftigen werden, mehr oder weniger überrascht. Der Konkurs von etablierten Unternehmen, die eine gewisse Grösse erreicht haben, war für viele bis vor kurzem zwar ein knapp denkbares Szenario. Es galt aber doch als unwahrscheinlich. Die Folge: Viele Juristen haben für dieses Thema etwa bei der Ausarbeitung von Verträgen oder der Strukturierung von Geschäften nicht viele Ressourcen aufgewendet. Damit sind insbesondere die Kunden dieser Unternehmen gemeint: Sie vertrauten in aller Regel darauf, dass die Gegenseite auch wirklich leisten konnte, wofür sie bezahlt würden - technische Störungen oder Fehler ausgenommen.


Reales Szenario

Das hat sich inzwischen geändert. Aufgeschreckt durch die jüngsten Vorfälle ist das vorzeitige "Ende" des Geschäftspartners zu einem sehr realen Szenario geworden. Dies muss freilich nicht immer ein Konkurs sein. Bereits der Verkauf eines Geschäftsbereichs an ein anderes Unternehmen kann für die Kunden dieses Teils der Firma einschneidend sein: Sie haben es plötzlich mit einem völlig neuen Vertragspartner zu tun, den sie vielleicht nicht wollen.



Folgt dann der Gang zum Juristen, wird deutlich, dass es um eine Materie geht, die überaus komplex und reich an Fallen ist. Für den Konkursfall gilt das ganz besonders, zumal hier noch eine weitere Komponente hinzu kommt, die den Spielraum weiter einschränkt: Jeder wird versuchen, für sich zu retten, was zu retten ist. Für die "optimale" Lösung bleibt dabei oft keine Zeit oder kein Wille übrig.




Das mussten letzte Woche beispielsweise die Konkursverwalter des grössten europäischen Datennetzbetreibers KPNQwest erfahren: Sie hatten sich redlich um die vorübergehende Inbetriebhaltung des grossen europäischen Backbone-Netzes der Firma bemüht. Sie baten dabei die Kunden, ihre offenen Rechnungen trotz Konkurs zu bezahlen, um so das nötige Geld für den vorübergehenden Betrieb zu liefern, weil die Geldgeber dies nicht mehr tun wollten. Damit sollte den Kunden mehr Zeit zum Umsteigen verschafft und ein Wertverlust des Netzwerks erreicht werden.




Der Zugriff der Banken

Es kam anders: Kunden zahlten zwar angeblich 16 bis 20 Millionen Euro ein. Doch der Zugriff auf die dafür benutzten Bankkonten wurde flugs von den Banken, die selbst Ansprüche von 2,2 Milliarden Euro an das Unternehmen haben, gesperrt: Die Gelder würden erst freigegeben, wenn ihre eigenen Ansprüche abgesichert würden, hiess es. Ein Gericht hat die Banken geschützt. Die Kunden haben vergebens bezahlt und dürfen sich ärgern - im Konkurs ist jeder ist sich selbst der Nächste.



Solche "Fallen" existieren auch im Schweizer Recht. Art. 211 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) ist so ein Beispiel: Forderungen, welche nicht eine Geldzahlung zum Gegenstand haben, werden in Geldforderungen von entsprechendem Werte umgewandelt, heisst es da für den Konkursfall - gewisse Ausnahmen vorbehalten. Da das Geld, um solche Forderungen zu bezahlen, einem konkursiten Unternehmen bekanntlich fehlt, hat die Bestimmung zur Folge, dass ein Vertragspartner sich mangels hinreichender Aktiven einen mehr oder weniger grossen Teil der geforderten Vertragsleistung ans Bein streichen muss.




Was das bedeuten kann, zeigt sich erst auf den zweiten Blick. Sieht ein Vertrag zum Beispiel vor, dass der Kunde einer Softwarefirma ein Nutzungsrecht an einem Programm eingeräumt erhielt und dafür Geld bezahlte, so wird nach Art. 211 Abs. 1 SchKG das Nutzungsrecht automatisch in eine Geldforderung umgewandelt, falls nicht eine der Ausnahmen des SchKG greift: Der Kunde darf dann die Software nicht mehr nutzen, weil aus dem Nutzungsrecht eine Geldforderung wurde. Zwar kann dem Kunden unter Umständen das Urheberrechtsgesetz zur Hilfe kommen und ihn mit dem sogenannten Erschöpfungsgrundsatz (Art. 12) vom Zugriff des Rechteinhabers und damit vor den Folgen des Art. 211 Abs. 1 schützen. Doch in diesem Bereich des Rechts gibt es sehr viel mehr Fragezeichen als Antworten, und eine klare Rechtsprechung fehlt weitgehend.



Was bleibt, ist die Möglichkeit, auf vertraglichem Wege währenden guten Zeiten zu versuchen, solche Situationen zu vermeiden - auch wenn wiederum nicht geklärt ist, wie sehr die diversen denkbaren "Tricks" den Bestimmungen des Konkursrechts Stand halten.



Doch selbst wenn es nicht soweit kommen sollte, gilt es, sich schon beim Abschluss von Verträgen Gedanken über neue Verhältnisse der Vertragspartner zu machen: So sind heute manche Verträge im IT-Umfeld von den Anbietern so gestaltet, dass sie von Seiten des Anbieters ohne weiteres "weiterverkauft" werden können. Will oder kann der Anbieter sie nicht mehr weitererfüllen, kann er die Verträge an eine Drittfirma übertragen. Haben die Kunden im Vertrag einer solchen Übertragung schon vorab zugestimmt oder ist eine Zustimmung von Gesetzes wegen gar nicht notwendig (Geschäftsübernahme), so bleiben den Kunden nur noch wenig Abwehrmöglichkeiten, selbst wenn ihnen der neue Vertragspartner nicht passen sollte.



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