Editorial

Webservices: Weder technisch noch geschäftlich ausgereift

Webservices: IBM, Microsoft, Sun und HP haben sie sich auf die Fahne geschrieben und stellen sie regelmässig als den nächsten grossen Entwicklungsschritt der gebeutelten Branche dar.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/18

     

Der Dot-Com-Hype mag zwar vorüber sein. Out sind Schlagwörter damit aber nicht. In der IT-Branche finden Sie nach wie vor einen guten Nährboden. Ein solches Schlagwort sind Webservices: IBM, Microsoft, Sun und HP haben sie sich auf die Fahne geschrieben und stellen sie regelmässig als den nächsten grossen Entwicklungsschritt der gebeutelten Branche dar.



Weltweit vernetzte Internet-Angebote werden da versprochen, eine Online-Service-Infrastruktur, die jede beliebige Online-taugliche Dienstleistung sofort bereithält - ohne zu suchen, und ohne sich um irgendwelche Datenformate oder Standards kümmern zu müssen.




Glaubt man einer Erhebung der Middleware-Spezialistin BEA, so investieren bereits dieses Jahr 60 Prozent der europäischen CIOs einen mehr oder weniger grossen Teil ihres Budgets in die Implementierung von Webservices. 29 Prozent glauben dabei an ein Return-on-Investment noch in diesem Jahr. Und 74 Prozent sollen überzeugt davon sein, dass Webservices bis 2005 Standard geworden sind. Webservices, so das Fazit der BEA-Umfrage, würden von vielen Unternehmen bereits als integraler Bestandteil ihrer Business-Strategie betrachtet werden.



Solchen Studien und Aussagen entnehme ich vor allem eine Erkenntnis: Die IT-Anbieter haben ihre Arbeit gut gemacht. Sie haben die Unternehmen einmal mehr von einer Sache überzeugen können, die zwar als Milchmädchenrechnung oder Vision gut klingt, die aber weder technisch noch geschäftlich ausgereift ist. Es ist einmal mehr ein Schlagwort, das auf einer sehr faszinierenden, aber noch unrealistischen Vorstellung aufbaut: Der Computer eines Unternehmens kann sich mit seinesgleichen via Internet selbständig vernetzen, die für das eigene Geschäft nötigen Online-Dienstleistungen von anderen Computern automatisch irgendwo im Netz finden und einkaufen. Die eigenen Services werden wiederum auf dieselbe Weise anderen Computern via Netz zur Verfügung gestellt.



Diese Vision eines vollautomatischen, weltweiten und von Computern betriebenen Marktplatz der Online-Daten und -Dienste hat viele Haken. Erstens weiss niemand, wie sich damit Geld verdienen lässt. Schlimmer noch: Diese Frage nach dem Business-Modell von Webservices wurde bisher nicht einmal richtig diskutiert. Wie passen Webservices in eine Unternehmensstrategie? Schränkt es sie sogar ein? Was soll wie angeboten werden? Wie werden Webservices abgerechnet? Gibt es überhaupt einen Markt? Wer interessiert sich dafür? Was wird bezahlt?



Auch ich habe die Antworten nicht. Bei Web-Angeboten, die von Menschen und nicht Computern konsumiert wurden, konnte wenigstens noch mit Werbung etwas Geld verdient werden. Webservices dagegen werden hinter den Kulissen von den Computern untereinander abgewickelt, ganz ohne Werbeflächen oder anderem "Balast". Auch für ein Cross-Selling bleibt kaum Raum, da das Webservices-Konzept es praktisch ausschliesst. Es sorgt vielmehr dafür, dass der Kunde seine verschiedenen Bedürfnisse auch aus verschiedenen Quellen abdecken kann, ohne dass dies einen Mehraufwand verursacht oder ein Umlernen erfordert.



Ob dies aber wirklich im Interesse eines Anbieters sein wird, ist ernsthaft zu bezweifeln. Er wird völlig neue Methoden zur Kundenbindung entwickeln müssen, oder aber Webservices nur in unterstützenden Funktionen etwa im After-Sales-Bereich einsetzen. Es ist darum zu befürchten, dass Webservices für die meisten Unternehmen in den nächsten Jahren keine Umsatzquelle, sondern nur ein Kostenfaktor sein werden. Damit will ich weder ihre Berechtigung noch Nützlichkeit in Abrede stellen, doch sollten die Erwartungen realistisch bleiben.



Nebst diesen Überlegungen und vielen Fragezeichen in geschäftlicher Hinsicht stellen sich auch im technischen Bereich viele ungelöste Probleme. Zwar gibt es inzwischen eine ganze Reihe von mehr oder weniger repräsentativen Gremien, die sich mit einer Standardisierung der Schnittstellen, Protokolle und anderen Verfahren rund um Webservices beschäftigen. Noch ist deren Output aber nur lückenhaft. Die Vision der herstellerübergreifenden Webservices lässt sich heute mit im Markt erhältlichen Produkten technisch nicht realisieren, auch nicht auf der grünen Wiese.



Standards wie etwa das "Simple Object Access Protocol" (SOAP) oder die "Webservices Definition Language" gehen zwar in die richtige Richtung. Doch sie sind noch sehr rudimentär und simpel. Die Frage der Sicherheit von Webservices-Transaktionen und die Authentifikation von Benutzern wurde darin zum Beispiel weitgehend vernachlässigt. Das wiederum zwingt Anbieter von Webservices, auf wichtige Funktionalitäten zu verzichten oder sie auf eigene Art zu implementieren. Entscheidet er sich für letzteres, ist es mit der Kompatibilität dahin - und ebenso mit der Idee der Webservices.



Zu guter Letzt fehlt heute auch das technische Know-how zur Realisierung von Webservices. XML ist zwar inzwischen hoch im Kurs. Doch in vielen Unternehmen, bei Integratoren und in Entwicklungshäusern wird das Wissen im Umgang damit noch deutlich vertieft werden müssen. Die Programmierung von Anwendungen wird sich ebenfalls verändern: Es wird modularer entwickelt, mit grösserem Gewicht auf standardisierte Schnittstellen und Formate als bisher.



Fazit: Ob die dargestellte Vision einer Welt der Webservices in den nächsten ein bis zwei Jahren umgesetzt wird, darf bezweifelt werden. Die Idee, mit dem Anbieten von solchen Webservices ein Geschäft zu realisieren, steht auf noch wackligeren Füssen. Wahrscheinlicher ist, dass der Begriff der Webservices mit der Zeit durch die verschiedenen konkurrierenden Anbieter aufgeweicht werden wird. So wird das, was heute via Internet getan wird, in Zukunft eben als Webservices vermarktet werden. Gewonnen ist damit freilich nichts.




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