IT-Rechtsnormen: Schweizer Nachzügler
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/12
In einer Diskussionsrunde beklagte sich vor kurzem ein Vertreter aus der Schweizer IT-Branche, dass unser Land bei der Entwicklung von Rechtsnormen im IT-Bereich schon lange nicht mehr mitreden könne. Es müsse das übernommen werden, was aus den USA oder der EU diktiert wird. Autonomer Nachvollzug nennt sich das.
Das trifft freilich nur auf den ersten Blick zu. Gerade im IT-Umfeld zeigt sich, dass der Modus operandi sich verändert hat. Geht es um die Regulierung des Internets oder anderer technischer Errungenschaften, so hat die Schweiz zwar in der Tat den Ruf langsam mahlender Mühlen. Jahrelang kann da zum Beispiel um die Anerkennung der digitalen Signatur gekämpft werden, und es geschieht nichts. Erst nachdem die restliche Welt aktiv geworden ist, "bequemt" sich auch der Schweizer Gesetzgeber, etwas zu tun. Doch diese unbestreitbare Eigenart der helvetischen Politik und Gesetzgebung hat auch ihre guten Seiten. Die Schweiz macht viele Fehler nicht, die im Ausland unter dem politischen Druck des jeweiligen Hype unweigerlich geschehen. Sie kann von den Erfahrungen in den USA oder der EU profitieren und die Fehler, die sie machten, selbst vermeiden.
Die Anerkennung der digitalen Signatur, wenn auch nicht mehr im Trend, soll etwa in der Schweiz anders als in der EU umgesetzt werden. Zwar wurden gewisse Begriffsdefinitionen übernommen, was letztlich auch sinnvoll ist. Konzepte wie etwa die Regelung der Rechtswirkung sind aber anders angepackt worden.
Die Enthaftung von Access-Providern für Internetinhalte ist ein gutes Beispiel: In der EU gilt sie als vorbildlich gelöst. Das ist bei genauem Hinsehen aber mitnichten so. Zwar gibt es durchaus Bestimmungen, die Provider für fremde Inhalte ausserhalb ihres Machtbereichs von einer Haftung befreien wollen. Doch nicht nur sind dieser Bestimmung tückische Ausnahmen beigefügt, auch ihr Geltungsbereich ist nicht klar. Der Grund ist simpel: Die Regelung ist ein Produkt hochpolitischer Diskussionen und nicht von Spezialisten. Die Zeit drängte, und so blieb die saubere Gesetzgebung auf der Strecke. Inzwischen sind auch in der Schweiz die Arbeiten für eine solche Enthaftung angelaufen. Zwar liegt das Ergebnis noch nicht vor, doch schon die jetzigen Experten-Diskussionen lassen hoffen, dass der künftige Regelungsvorschlag sehr viel mehr Rechtssicherheit schaffen wird, als sie heute in der EU besteht.
Manchmal entzieht sich die Schweiz dem internationalen Regulierungsdruck auch ganz. So ist eine Anpassung des Urheberrechtsgesetzes, die den Schutz digitaler Inhalte verbessern soll, von der zuständigen Bundesstelle vor kurzem mangels unüberbrückbarer Differenzen "auf Eis" gelegt worden - trotz entsprechender internationaler Abkommen, die diese Anpassungen vorsehen. Wie nützlich solche Denkpausen sind, zeigt die Vorgeschichte: Die USA setzten besagte Abkommen relativ rasch in Form des Digital Millennium Copyright Act um; als dies geschah, hatte nur das Lager der Rechte-Inhaber eine funktionierende Lobby. Entsprechend einseitig zu ihren Gunsten ist das Gesetz ausgefallen - und entsprechend rasch wurden seine Schattenseiten für die Nutzer von urheberrechtlich geschützten Werken klar. Der bekannte Streit eines US-Professors um das Recht, seine Forschungsergebnisse über Kopierschutzmechanismen zu publizieren, ist nur ein Beispiel. Als sich die EU mit der Umsetzung der Abkommen befasste, zeitigten diese Erfahrungen aus den USA bereits Wirkung: Die EU-Urheberrechtsrichtlinie ist schon deutlich moderater ausgefallen. Und in der Schweiz setzt sich dieser Trend fort.
Dabei wird auch klar, dass das Internet keineswegs alles auf den Kopf stellt. Das gilt etwa auch für den Bereich der Internetregulierung. Die von den USA eingerichtete und einst hochgefeierte ICANN macht vor, wie es nicht sein sollte. Mit viel Vorschusslorbeeren gestartet, entwickelt sich die ICANN immer mehr zu einem unkontrollierten und rechenschaftslosen Regime einiger selbstherrlicher Internet-Autokraten. Mit der jüngst bekanntgegebenen Abschaffung der "öffentlichen" Wahlen sollen die letzten kritischen Stimmen aus dem Direktorium entfernt werden. Und was tut die Schweiz? Als eines der ersten Länder überhaupt regelt sie die Vergabe von Domain-Namen explizit in einer Verordnung des Bundes. Sie schreibt darin zwar wie die ICANN private Streitschlichtungsstellen für Domain-Konflikte vor, weil sich diese bewährt haben. Sie behält jedoch die Oberaufsicht und garantiert auf diese Weise, dass die ausführenden Stellen weder bei den Preisen noch den Geschäftsbedingungen oder in anderer Weise über die Stränge schlagen.
Tut eine solche Regulierung von IT-Belangen unserer Wirtschaft gut? Noch vor einigen Jahren wäre sie verworfen worden. Inzwischen wurde eingesehen, dass staatliche Beteiligung an der Regulierung nicht a priori negativ ist und dass ein regulatorischer Gleichzug mit dem Umland der Schweiz keinerlei Vorteile bringt - erst recht nicht, wenn er unbedacht erfolgt. Schafft es die Schweiz jedoch, durch eine "bessere" gesetzliche Basis mehr Rechtssicherheit, klarere Verhältnisse oder tiefere Kosten zu schaffen oder dabei Hindernisse abzubauen, wird die Schweiz als Wirtschaftsstandort auch attraktiver.