Linux-Distributionen im Vergleich

Red Hat, Suse, Mandrake und Debian bieten alle eine umfassende Linux-Distribution – doch im Detail offenbaren sich Unterschiede.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/06

     

Das freie Betriebssystem Linux ist kostenlos im Internet verfügbar. Aufgrund des Umfanges beschafft man sich normalerweise aber im Fach- oder Buchhandel eine Zusammenstellung auf CD, eine sogenannte Distribution. Diese enthält das eigentliche Betriebssystem inklusive einer umfassenden Sammlung freier und zum Teil kommerzieller Software, meist noch ergänzt durch ein mehr oder weniger ausführliches Handbuch.



Die bekannteste Distribution stammt vom amerikanischen Unternehmen Red Hat, das schon fast als Synonym für Linux steht. Vor allem in Europa besitzt Suse aus Deutschland viele Anhänger. Weniger bekannt dagegen ist die französische Linux-Firma Mandrake. Insbesondere unter Freaks und Spezialisten verbreitet ist schliesslich Debian.




Debian fällt in dieser Viererrunde etwas aus dem Rahmen, denn dahinter steht kein Unternehmen, sondern eine grosse Zahl von Freiwilligen, welche diese Zusammenstellung pflegen. Debian steht durch den weitgehenden Verzicht auf proprietäre Software dem Open-Source-Gedanken am nächsten, hinkt aber in der stabilen Version 2.2 alias "Potato" der Entwicklung etwa zwei Jahre hinterher. Das bedeutet, dass sich die "Kartoffel" mit dem - allerdings äusserst stabilen - Kernel 2.2 sowie X Window 3.3.6 zufriedengibt. Dies kann Probleme mit neuerer Hardware verursachen, da insbesondere die Unterstützung für neuere Grafikkarten fehlt. Dafür gilt diese Distribution als sehr sicher und ausgereift und wird beispielsweise für die Serverfarm von Sourceforge.net eingesetzt, der Heimat vieler Open-Source-Projekte.



Auf dem aktuellen Stand der Entwicklung befinden sich dagegen Red Hat 7.2 Deluxe, Mandrake 8.1 Power Pack und Suse 7.3 Professional. Sie verwenden die aktuelle stabile Kernelversion 2.4 sowie X Window 4.1 und unterstützen damit einen Grossteil der aktuell verfügbaren Hardware für Intel-Rechner. Mit KDE 2.2 und Gnome 1.4 verfügen sie zudem über zeitgemässe Versionen der beiden verbreitetsten Desktop-Umgebungen für Linux. Aufgrund der Situation, dass sich Open-Source-Software frei verteilen lässt, warten alle Distributionen mit einem umfangreichen Software-Angebot auf. Red Hat 7.2 Deluxe kommt mit sechs, die anderen Distributionen mit sieben CDs. Zum Lieferumfang gehört jeweils auch das frei erhältliche Officepaket StarOffice 5.2 von Sun.


Kaufen oder herunterladen

Die Installation einer aktuellen Linux-Distribution gestattet sich heute fast genauso komfortabel wie bei den Microsoft-Betriebssystemen, solange man auf nicht allzu exotische Desktop-Konfigurationen setzt. Bis auf Debian bieten alle drei Vertreter eine grafische, menügeführte Installation, zumindest, wenn man ab CD installiert. Diese Datenträger lassen sich entweder im Fachhandel besorgen oder aber in Form von Image-Dateien aus dem Internet herunterladen. Hierbei handelt es sich um Versionen mit bescheidenerer Software-Ausstattung, die ohne Quellpakete und kommerzielle Produkte wie etwa StarOffice daherkommen. Die Download-Editionen von Mandrake und Red Hat umfassen drei respektive 2 CDs. Suse dagegen verzichtet auf diese Verteilform, während Debian nebst Standard-Images auch die Option bietet, gleich eine eigene Version zusammenzustellen.



Alternativ lassen sich alle vier Distributionen auch direkt über eine Internetverbindung installieren, vorzugsweise via FTP. Hierbei müssen vorgängig zwei bis drei Bootdisketten erstellt werden, die ein Basis-System beinhalten. Den Rest holt man sich direkt von einem Server wie etwa der Mirror-Site der Switch. Bei Suse ist dieses Vorgehen die einzige Möglichkeit, die Distribution übers Internet zu beziehen.




Diese Form der Installation kommt allerdings am ehesten für eine schlanke Debian-Installation in Betracht. Aufgrund der Datenmengen und um des Komforts willen lohnt sich bei den anderen Vertretern die Anschaffung einer CD-Distribution.




Hardware entziffert

Die Installation eines Betriebssystems bedingt Software-Komponenten für die Ansteuerung der vorhandenen Hardware. Dieser Punkt galt bei Linux lange als Stolperstein insbesondere für weniger versierte Anwender, da detaillierte Hardware-Kenntnisse vorausgesetzt wurden. Heute verlangt nur noch Debian nach der manuellen Auswahl der für die Hardware-Ansteuerung zuständigen Kernel-Module, gewissermassen dem Pendant zum Treibermodell von Windows. Die anderen drei wickeln diesen Vorgang weitgehend automatisch ab.



Auf einem standardmässigen Desktop-PC gelingt die Hardware-Erkennung denn auch problemlos. Nur auf einem Notebook strauchelten zwei Vertreter, allerdings ohne ganz umzufallen. So bekundeten Red Hat und Mandrake Probleme damit, die korrekten Einstellungen für den LCD-Bildschirm zu ermitteln, während bei letzterer Distribution zusätzlich Schwierigkeiten mit der PC-Card für den Ethernet-Anschluss auftraten. Mit Hilfe der Website "Linux on Laptops" sollten sich solche Probleme aber lösen lassen.




Als einziger Vertreter liess sich Suse ohne manuelle Korrekturen einrichten. Dies dank der Unterstützung des derzeit wohl ausgereiftesten Konfigurationswerkzeugs für X Window, der Suse-Eigenentwicklung Sax2. Aufgrund der kurzen Erscheinungszyklen der Suse-Distribution bietet sie auf neuerer Hardware die grössten Erfolgsaussichten, insbesondere im Desktop-Einsatz.



Eine weitere Hürde stellt die Partitionierung der Festplatte dar, insbesondere, wenn auf der Disk noch eine Windows-Installation vorhanden ist. Mit den aktuellen Versionen von Red Hat, Mandrake und Suse können solche Aufgaben getrost der automatischen Partition des Installationsprogrammes überlassen werden, falls genügend freier Festplattenplatz vorhanden ist. Auch die Konfiguration eines Dual-Boot-Systems stellt keine Schwierigkeiten dar, auch nicht, wenn ein Linux-Bootloader wie Lilo oder Grub verwendet wird. Red Hat, Mandrake und Suse richten automatisch einen Eintrag für Windows ein, über den sich selbst ein Windows XP ohne Murren starten lässt. Dass dies jedoch kein Ersatz für das Backup der Windows-Daten und die Notfall-Bootdiskette darstellt, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Optional kann Linux auch über eine Bootdiskette gestartet werden. In diesem Fall bleibt der Bootsektor der Festplatte unverändert, und Windows behält die alleinige Kontrolle.



Die Installation von Linux selbst kann bei allen Distributionen mit einer Voreinstellung nach Einsatzzweck oder mit dem manuellen Auswählen einzelner Pakete erfolgen. Den besten Eindruck hinterliess dabei das Installationsprogramm DrakX von Mandrake. Es erlaubt eine fein abgestufte Auswahl verschiedener Komponenten. Bei Red Hat und insbesondere Suse führen die Voreinstellungen zu einem eher aufgeblasenen System. Hier empfiehlt sich die manuelle Auswahl der Softwarepakete, was bei weit über 2000 verschiedenen Elementen aber schnell in Arbeit ausartet.



Suse hinterlässt hier einen etwas zwiespältigen Eindruck, der von den Abhängigkeiten zwischen einzelnen Paketen herrührt. Da diese Abhängigkeiten nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich sind, führt dies bei der Suse-Distribution oft dazu, dass auch Pakete installiert werden müssen, die eigentlich gar nicht erwünscht wären.



Erfreulich ist, dass allen Distributionen eine ausführliche Dokumentation beiliegt, wenn auch in unterschiedlicher Form. Red Hat, Debian und Mandrake bieten ihre Installationsanweisungen auch online an, den CD-Distributionen liegt sie bei.



Eine Ausnahmeerscheinung stellt dabei wiederum Debian dar. Hierzulande ist diese Distribution kaum in den Regalen zu finden, sondern liegt allenfalls einem Linux-Buch bei. Der deutsche Online-Händler LinuxLand bietet allerdings ein Komplettpaket an, das nebst den CDs auch ein Debian-Buch beinhaltet.



Am überzeugendsten fällt aber die Dokumentation zu Suse Linux Professional aus. Die insgesamt vier Handbücher helfen weit über die reine Installation hinaus und ersparen die Anschaffung des einen oder anderen Fachbuches. Hinzu kommt, dass Suse mit dem besten Angebot für Installationssupport aufwartet und auf der Website eine deutschsprachige Supportdatenbank anbietet, die wirklich brauchbare Hilfe bietet.




Einstellungssache

Den Abschluss jeder Installation bildet die Grundkonfiguration, welche die Einstellungen für das TCP/IP-Netzwerk und das Anlegen von Benutzern umfasst. In allen Distributionen werden diese Aufgaben gleich mit der Installationssoftware erledigt. Sofern kein DHCP-Server im Netz steht oder vom Internet-Provider angeboten wird, müssen die entsprechenden Einstellungen von Hand eingetragen werden, was Grundkenntnisse von TCP/IP erfordert. Suse und Red Hat bieten darüber hinaus an dieser Stelle die Möglichkeit, gleich eine einfache Firewall einzurichten. Der Vorgang besteht darin, gewisse Dienste wie FTP oder Telnet zu blockieren, was auch weniger versierten PC-Anwendern gelingen sollte. Mandrake bietet eine solche Option erst im laufenden Betrieb.



Die Konfiguration eines Linux-Systems erfolgt über Textdateien und lässt sich mit einem Texteditor vornehmen - entsprechende Systemkenntnisse vorausgesetzt. Aktuelle Distributionen bieten aber Hand zu diesem Vorgang, jedenfalls was die Konfiguration des Systems selbst angeht. Alle Vertreter bis auf Suse liefern hierzu das Open-Source-Konfigurationstool Linuxconf mit, das sich textbasiert über eine Konsole, über eine grafische Oberfläche oder mit dem Webbrowser bedienen lässt. Red Hat bietet zusätzlich für einige Aufgaben wie die Netzwerk-Konfiguration noch eigene Werkzeuge, und Mandrake wartet mit einem kompletten Kontrollzentrum auf, das insbesondere Ein- oder Umsteigern entgegenkommt.




Einen eigenen Weg hat dagegen Suse eingeschlagen. Der deutsche Distributor liefert sein Konfigurationswerkzeug namens Yast ("Yet another Setup Tool") mit, das in Version 1 textbasiert in der Konsole und in Version 2 mit grafischer Oberfläche arbeitet. Insbesondere Yast2 vereinfacht die Konfiguration des Systems erheblich. Sein Funktionsumfang geht vom Erstellen von Benutzern über Netzwerk- und Druckereinrichtung bis hin zur Grundkonfiguration des SMTP-Mailservers Sendmail. Auch die Integration von Hardware wird mit Yast2 erledigt. In der neusten Version wird nun nebst der Einrichtung von Soundkarten auch diejenige von Scannern oder TV-Tunerkarten unterstützt. Damit bietet Suse von den hier vorgestellten Distributionen in diesem Bereich den grössten Komfort. Allerdings hat diese Bequemlichkeit auch eine Kehrseite. So benutzt Suse eine eigene zentrale Konfigurationsdatei, aus der die eigentlichen Linux-Konfigurationsdateien erzeugt werden. Dies kann zu Verwirrung führen, da einige Einstellungen doppelt vorhanden sind. Spezialisten, die Konfigurationen am liebsten per Texteditor vornehmen, dürften eher zu einer anderen Distribution ausweichen.




Kunden und Diener

Alle vier Vertreter erlauben die Einrichtung eines Desktop-Rechners inklusive bevorzugter Benutzeroberfläche. Die Hersteller-eigenen Erweiterungen, wie etwa grafische Konfigurationsprogramme, werden dabei in die Menüstruktur des KDE- oder Gnome-Desktops integriert. Sofern die Installation erfolgreich war, kommt man mit jeder Distribution zu einem betriebsbereiten Desktop-System inklusive Anwendungen.
Etwas komplexer mutet dagegen die Einrichtung eines Linux-Servers an. Zwar ist jede Distribution in der Lage, ein Grundsystem so weit zu konfigurieren, dass Serverdienste wie der Webserver Apache oder der SMTP-Mailserver Sendmail ohne Fehlermeldung starten. Für den Alltagsbetrieb verlangen aber alle Vertreter nach manueller Konfiguration der einzelnen Serverdienste. Am weitesten hilft dabei noch Suse, das über das grafische Yast2 immerhin die Grundkonfiguration von Sendmail oder NFS ermöglicht. Nur dürften die wenigsten Server-Installationen über die hierzu benötigte grafische Oberfläche verfügen.





Systempflege

Obwohl Linux als relativ sicher gilt, wird es wie jede andere Software auch von Fehlern und Sicherheitslücken geplagt. Alle Anbieter bieten deshalb eine Update-Funktion übers Internet, die ausser bei Debian in ein grafisches Konfigurationstool integriert ist. Debian und Suse trennen zusätzlich Patches zur Fehlerbehebung von reinen Software-Updates.



Red Hat bietet Bugfixes und Updates über eine Dienstleistung namens Red Hat Network an. Diese ist für ein einzelnes System kostenlos, jeder weitere Rechner schlägt aber mit einer Jahresgebühr von 60 Dollar pro Jahr für das Basic-Abo zu Buche. Damit ist Red Hat der einzige Anbieter, der einen kostenpflichtigen Update-Dienst bietet. Dies hat darüber hinaus zur Folge, dass menügeführte System-Updates nur über die Server von Red Hat durchgeführt werden können.




Alle anderen Distributionen bieten die Möglichkeit, einen Mirror nach eigenem Gusto auszuwählen. Keine Distribution bietet dabei aber so viel Flexibilität wie Debian. Diese Linux-Variante erlaubt die Angabe verschiedener Quellen, die auch nur einzelne Pakete aus der Distribution oder von einer bestimmte Software enthalten können. Zudem lässt sich relativ einfach ein eigener Mirror aufbauen, was insbesondere in Unternehmen von Vorteil ist, wenn mehrere, idealerweise gleich konfigurierte Linux-Rechner zu betreuen sind. Debian bietet bei der Systempflege die grösste Kontrolle über das Update-Verhalten und zeichnet sich auch in diesem Bereich als sehr flexible Distribution aus.




Geringe Unterschiede

Da sich jede Linux-Distribution im Kern auf die gleichen Softwarepakete stützt, ist es wenig erstaunlich, dass die Unterschiede zwischen Red Hat, Mandrake und Suse vor allem bei den Eigenentwicklungen der drei Anbieter liegen. Dazu gehören beispielsweise die Installations- und Konfigurationstools. Doch auch hier beschränken sich die Differenzen in erster Linie auf den gebotenen Komfort. Eine grafische Installation und weitgehend automatisierte Hardware-Erkennung gehören heute zu einer Linux-Distribution, genauso wie Konfigurationshilfen, die sich wahlweise bequem mit der Maus bedienen lassen oder über die Befehlszeile der Shell.



Erst im professionellen Umfeld, im Servereinsatz, kommen die wirklichen Unterschiede zum Tragen. Und diese liegen weniger bei der Software selbst als vielmehr in den verfügbaren Service- und Supportdienstleistungen. Hier haben Red Hat und Suse die Nase vorn. Sie können auf eigene Dienstleistungsabteilungen sowie die Unterstützung durch Hardwarehersteller zählen.




Eine spezielle Rolle nimmt in diesem Quartett Debian ein. Als Firmen-unabhängiges Produkt spricht es in erster Linie die Spezialisten an, die auf ein manuell massgeschneidertes Betriebssystem setzen. Der Makel, dass die stabile Potato-Ausgabe eher veraltet ist, kann durch die zahlreichen Neuerungen der Betaversion von Debian 3.0 alias "Woody" wettgemacht werden.



Der Entscheid für die eine oder andere Distribution hängt letztendlich von den eigenen Kenntnissen oder, im professionellen Bereich, von den verfügbaren Dienstleistungen ab. Einsteiger sind mit Suse am besten bedient, während Red Hat in Unternehmen den grössten Bekanntheitsgrad geniesst. Mandrake erweist sich als komfortable Desktop-Version, steht allerdings im Schatten von Suse. Debian dagegen dürfte die Sympathien derjenigen Spezialisten gewinnen, die auf Flexibilität und Unabhängigkeit von einem Anbieter setzen.



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