Editorial

Firmenübernahmen: Warum die IT mitreden soll

Dem Top-Management in den Unternehmen ist die Welt der Zahlen, Finanzen und des Gesellschaftsrechts vertraut, aber viele unterschätzen die Komplexität der heutigen Informatik und Telekommunikation.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/14

     

Firmenzusammenschlüsse oder -übernahmen, die sogenannten Mergers & Acquisitions (M&A), sind in den letzten Jahren in der Wirtschaft zum Alltag geworden. Das gilt auch jetzt, in wirtschaftlich schwächeren Zeiten. Mit Fusionen aller Art hoffen Unternehmen auf die nötigen Umsätze zu kommen, neue Synergien zu schaffen oder Kosten zu senken. Das wirft immer viel Arbeit für Banker, Finanz- und Steuerexperten und auch für Juristen ab.




Dem Top-Management in den Unternehmen ist diese Welt der Zahlen, Finanzen und des Gesellschaftsrechts denn auch vertraut: Es hat damit oft täglich zu tun. Entsprechend intensiv wird in M&A-Transaktionen über solche Fragen diskutiert. Anders schaut es dagegen im Bereich der Informatik und Telekommunikation aus. Zwar sind sich heute die meisten Führungskräfte in den Unternehmen bewusst, dass ihr Unternehmen ohne die Informationstechnik nicht mehr auskommen kann.


Komplexe IT-Systeme

Viele unterschätzen jedoch die Komplexität der heutigen Informatik und Telekommunikation. Sie haben oft das Gefühl, dass es letztlich nur eine Frage des Know-how und der Motivation der eigenen IT-Mitarbeiter ist, ob ein Unternehmen seine IT im Griff hat. Viele Top-Manager sind sich bestenfalls bewusst, dass im Rahmen eines "Deals" möglicherweise ein Systementscheid gefällt werden muss, sollten nicht beide Firmen dieselben Systeme einsetzen. Doch ist der Entscheid einmal gefällt, halten viele den Rest für Routine, die keiner weiteren spezielleren Beachtung oder gar einer Thematisierung in den Verhandlungen bedarf. So geschieht es, dass die heiklen Fragen der IT-Integration erst nach der Ankündigung einer Transaktion ernsthaft besprochen werden, und nur noch die böse Überraschung bleibt.



Die Zusammenführung von zwei Betrieben mit verschiedener Informatik ist denn auch keineswegs einfach. Probleme stellen sich auf mehreren Ebenen: Oft bestehen langfristige Verträge und Lizenzen. Anwendungen, die miteinander nicht kompatibel sind, werden benutzt. Das IT-Personal jedes Betriebs hat Erfahrung mit seinen Systemen gesammelt, das es nicht verlieren will. Um alles neu aufzubauen steht nicht genug Geld zur Verfügung. Die grüne Wiese ist eine Illusion, erst recht, wenn ein Deal letztlich der Einsparung von Kosten oder Erhöhung der Effizienz dienen soll. Hinzu kommen die Schwierigkeiten bei der Integration von verschiedenen Kulturen und die Organisation der Ressourcen und des Personals.




Ein weltweit tätiges und in den letzten Jahren stark gewachsenes Logistikunternehmen kämpft heute zum Beispiel mit dem Problem, dass seine diversen Sparten derart unterschiedliche Ansprüche haben, dass eine einzige Geschäftsapplikation sie einfach nicht abdecken kann. Selbst dort, wo dies möglich ist, wurden die Bedürfnisse im Betrieb nur einseitig berücksichtigt: Der "Systementscheid" wurde von Personen gefällt, die damit primär die Ansprüche ihres eigenen Umfelds erfüllen wollten und sich um andere Bedürfnisse nicht kümmerten. Ergebnis: Das neue, grössere Unternehmen hat zwar mehr Mitarbeiter, mehr Umsatz und mehr Kunden. Doch die Effizienz ist gesunken, wo immer das Geschäft IT-Unterstützung erfordert. Das ist bei Logistikunternehmen oft der Fall.



Die Schuld ist in solchen Fällen nicht in erster Linie bei den IT-Verantwortlichen zu suchen. Ihre Aufgabe wäre es aber, die Firmenspitze auf diese Fragen zu sensibilisieren, um im Falle einer Transaktion auf einen frühzeitigen Beizug hinzuwirken. Aufgaben gibt es dabei genügend, und in aller Regel wird ein eigenes Team abgestellt werden müssen, da der normale Betrieb ja weiterlaufen muss und in manchen Fällen Geheimhaltung erforderlich ist.




Die Vision im Zentrum

Wird die Informatik zweier Betriebe zusammengeführt, so ist das nicht nur eine Frage von Datenkonvertierung und Koppelung von Netzen, Systemen und Anwendungen (die gut geplant sein will). Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Vision eines Firmenzusammenschlusses oder einer Übernahme immer auch im Bereich der Informatik, und zwar je mehr, je stärker ein Betrieb von der Informatik abhängt. Ein Teil der Vision - und der Strategie - ist eben auch die Informatik. Wird dem in einem Deal nicht früh Beachtung geschenkt, droht die IT-Integration teuer zu werden oder aber sie unterstützt das neue Geschäft, das da entstehen soll, nicht wirklich. Aus den erhofften
Synergien wird dann nichts.



Die sogenannte Due Dilligence gerät ebenfalls häufig unter die Räder. Übernimmt ein Unternehmen ein anderes, muss es nicht nur die Vermögenswerte, den Geschäftsgang und Rechtsverhältnisse des anderen Unternehmens prüfen können. Die Informatik gehört genauso zwingend dazu, und zwar nicht nur zur Abschätzung etwaiger Risiken und der richtigen Bewertung der Firma. Es geht bereits in dieser Phase um erste Arbeiten zur Planung einer möglichen Zusammenführung, sollte es dazu kommen. Bereitet sich ein Unternehmen nicht vor, sollte es sich später über zu hohe Kosten oder Verzögerungen nicht beschweren.




IT-Verantwortliche und ihre Mitarbeiter müssen in diesen Fragen künftig aktiver mitwirken können und die Integration als ihr Projekt ansehen dürfen. Werden ihnen stattdessen die wichtigen Entscheide "von oben" ohne vorherige Rücksprache oder Plausbilitätscheck vorgegeben, wird sich eine Unternehmensführung über Umsetzungsprobleme nicht wundern dürfen.



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